Ⅴ ~ Die Nachtwache

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»Mir war gar nicht klar, dass du so verschmust bist, Kätzchen. Ich wecke dich wirklich nur sehr ungern, aber ich bin leider mit der Nachtwache an der Reihe. Also, wenn du allenfalls dein Bein ... Obwohl es sich in der Tat nicht schlecht anfühlt.«

Irritiert runzle ich die Stirn. Wer zum Kuckuck erzählt mir mitten in der Nacht solche Romane? Flatternd öffne ich die Lider und blicke in das vom Feuerschein erhellte, überaus attraktive und noch dazu selbstgefällig grinsende Gesicht von Alexander Prinz, das ganz nah vor meinen Augen schwebt. Viel zu nah.

Vorsichtig hebe ich den Kopf, um nicht wieder mit seiner Stirn zu kollidieren, und stelle mit Grauen fest, dass ich mich im Schlaf eng an ihn geschmiegt, meine Hand auf seiner Brust platziert und mein Bein besitzergreifend über seines drapiert habe. Blitzschnell rolle ich mich auf den Rücken und bin schlagartig glockenhell wach. Meine Wangen glühen und verlegen bearbeite ich mit den Schneidezähnen meine Unterlippe.

»Oh bitte, das muss dir doch nicht peinlich sein, Kätzchen.« Sein leises Lachen dringt an mein Ohr, während er sich aus seinem Umhang wickelt, sein Waffenarsenal wieder an seinem Körper verstaut und in seine Stiefel schlüpft.

»Du nennst mich Kätzchen? Wie kannst du es wagen?«, fahre ich ihn an, stütze mich auf meinen Ellbogen ab und beobachte misstrauisch sein Tun. Es kann ja wohl nicht sein Ernst sein, dass er mir nun zu allem Überfluss auch noch einen Kosenamen verpasst.

Er zuckt mit den Schultern. »Schien mir treffend. Mal fauchst du mich an, dann kuschelst du dich wieder in meine Arme und schnurrst. Genau wie ein wildes Kätzchen. Du kannst übrigens ruhig weiterschlafen, aber ich muss Joris ablösen.«

»Du meinst mit der Nachtwache? Und was ist mit mir? Ich habe schon beim Aufbau des Lagers kein bisschen geholfen. Solange ich gezwungen bin, mit euch durch den Wald zu trampen, möchte ich wenigstens meinen Teil dazu beitragen.«

Die Worte sprudeln nur so aus mir heraus, ohne dass ich groß darüber nachdenke, was ich ihm da eigentlich anbiete. Will ich wirklich allein im Dunkeln sitzen und die unheimlichen schwarzen Bäume anstarren? Der Gedanke kommt mir nicht gerade verlockend vor. Hier am Feuer ist es mir wesentlich wohler. Und wärmer ist es hier auf jeden Fall auch.

»Aber du bist ein Mädchen, Katharina.«

Unglaublich! Aber das ist so typisch für ihn. Was für ein Macho!

Womit nun auch klar ist, dass ich diese Wache definitiv übernehmen werde, denn natürlich muss ich ihm beweisen, dass ein Mädchen selbstverständlich in der Lage dazu ist, still dazusitzen und in die Dunkelheit zu glotzen. Auch wenn mir diese Tätigkeit eher sinnfrei erscheint. Schließlich sind wir hier im Schwarzwald und nicht in den Rocky Mountains.

»Was willst du damit sagen? Kann ich deshalb schlechter sehen? Oder hören? Glaub mir, wenn hier was faul ist, kreische ich lauter als ihr drei zusammen.«

Er lacht. »Oh ja, das kann ich mir lebhaft vorstellen.« Dann seufzt er leise und verdreht die Augen. »Was für ein dickköpfiges Weibstück! Schön, wenn du es unbedingt tun willst. Deine Entscheidung, Katharina.«

»Siehst du, ›stures Weibsstück‹ klingt schon eher nach dir. Das mit dem Verstellen schaffst du eben doch nicht auf die Dauer.«

In seinen Augen blitzt etwas auf, und für einen Moment habe ich die Hoffnung, dass es mir gelungen ist, ihn wütend zu machen. Wenn ich ihn aus der Reserve locke, verrät er sich vielleicht, und wir können dieses Schmierentheater endlich beenden. Oder ich gehe ihm so sehr auf die Nerven, dass er mich freiwillig los werden will und zu den anderen zurückbringt. 

Doch schließlich schüttelt er nur den Kopf, zieht den Dolch aus seinem Stiefel und hält ihn mit dem Griff in meine Richtung. »Hier, damit du nicht gänzlich wehrlos bist. Aber wenn du etwas Ungewöhnliches hörst oder siehst, wirst du unverzüglich zu mir kommen. Keinesfalls gehst du alleine los, um nachzusehen. Hast du das verstanden, Katharina?«

Im Spiegel zu dirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt