Kapitel 9

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Jan konnte nicht anders als immer wieder auf Moritz Bildschirm zu schauen. Die Zeit verging und noch immer hatte sich niemand gemeldet. Durch Kim hatten sie erfahren, dass Moritz noch lebte, als Charlie freigelassen wurde, was zumindest ein Anfang war. Doch weshalb hatten sie nur die Teenagerin laufen lassen, nicht auch seinen Kollegen, obwohl die gesamte Summe bezahlt worden war? Noch immer war Jan von der Tatsache überrascht, dass Bent persönlich in die Tasche gegriffen hatte, damit Charlie und Moritz freigelassen wurden. Gleichzeitig hatte er schon häufig gesehen, wie Menschen Sachen taten, die ihnen niemand zutrauen würde. Er selbst könnte das perfekte Beispiel sein mit seinem Ausrutscher damals. Hätte Tom ihm damals nicht geholfen, wer weiß, ob er jetzt noch hier stehen würde. ,,Hat sich schon wer gemeldet?", erkundigte sich Ina. Sie hatte die letzten zwei Stunden damit verbracht, Bent zu seinem ehemaligen Team zu befragen. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte sich Bents Kooperation allein auf finanzielle Seite beschränkt. ,,Nein, noch nicht. Aber mich stört was bei der Sache. Wieso haben sie nur Charlie freigelassen?" ,,Vielleicht ist es etwas persönliches. Auch wenn ich Bent dazu befragt habe und er meint, Berlin hätte nichts damit zu tun, könnte es gut sein. Ich habe Kim gebeten, bei sich in Moritzs Sachen zu schauen, ob sie etwas findet", bekräftigte sie seinen Verdacht, während sie zu ihrem eigenen Computer ging. ,,Ich habe bereits die Bahn angefragt, ob sie uns die Überwachungsvideos der Bahnstrecke zu dieser Zeit zuschicken. Rettig sollte eigentlich bereits dran sein."

Ein Anruf holte die Beiden aus ihren Gedanken heraus. Zuerst blickten die Polizisten auf den Laptop, doch da tat sich nichts. Die Melodie kam von Inas Handy, welche den Anruf annahm und auf laut stellte. ,,Hallo Kim, du bist auf laut. Was hast du für uns?", begann sie das Telefonat und gespannt wartete Jan auf die Antwort der jungen Kollegin. Wie als müsste sie sich verstecken antwortete Kim: ,,Ihr werdet nicht glauben, wer aufgetaucht ist. Angelika Brenner sitzt gerade bei uns im Wohnzimmer und versucht gerade zu verdauen, dass sie Großmutter ist." ,,Was?" Verwundert sahen sich die langjährigen Freunde an. Ihres Wissens nach hatte sich Moritz nach Bents Fluchtversuch von seiner Familie losgesagt, weswegen stand also Frau Brenner nun wieder auf der Matte? ,,Und ihr glaubt es wahrscheinlich nicht, doch anscheinend hatte sie keine Ahnung, dass ihr jüngster Sohn von einem seiner ehemaligen Kollegen entführt wurde", fügte Kim hinzu und Jan konnte förmlich ihre Verachtung hören. ,,Nun ja, Moritz hatte gesagt, dass er nichts mehr mit ihr zu tun hat. Kim, versuch bitte aus ihr etwas herauszukriegen." ,,Da hab ich noch etwas", unterbrach Kim Ina kurz: ,,Ich habe ein Bild von Moritzs altem Team gefunden. Abgesehen von Lela, Bent, Moritz und Hans sind noch zwei weitere Männer zu sehen. Ich schicke euch ein Bild und frage auch Frau Brenner, ob sie vielleicht weiß, wer die Männer sind." ,,Gut. Wir bleiben hier und versuchen über die polizeilichen Kanäle mehr über die Männer zu erfahren. Wie geht es Charlotte?", fragte Ina. Kurz pausierte Kim, bevor sie antwortete: ,,Mittlerweile schläft sie in Moritzs Zimmer. Frau Brenner konnte sich nicht wirklich leise halten."

Im Schneidersitz saß Charlie auf der Matratze, welche Kim ihr in das Zimmer gelegt hatte. Sie war aufgewacht, als die ältere Frau plötzlich laut geworden war und bevor es zu einer Vorstellungsrunde kam, hatte Kim sie bereits in das Zimmer gebracht. Doch nun konnte sie nicht mehr schlafen. Ihre Gedanken waren der reinste Wirbelsturm, ein unbeschreibliches Chaos. Wieso war sie Moritz nicht zur Hilfe gelaufen? Wieso hatte sie ihn allein gelassen? Doch was sie noch mehr verwirrte, war der Fakt, dass ihre Mutter log. Johanna hatte ihre Mutter doch angerufen gehabt und ihr erzählt, dass Charlie flüchten konnte und nicht freigelassen wurde. Wieso erzählte sie dann Moritzs Kollegen, dass die Entführer sie freigelassen hatten? Auch warf die Entführung selbst ein paar Fragen bei ihr auf. Charlie wusste, ihre Mutter war eine Meisterin im Nahkampf, wie hatte der Entführer sie so schnell niederschlagen können? Je mehr Gedanken sich Charlie machte, desto wirrer wurde alles. Sollte sie der Polizistin davon erzählen? Lieber nichts, es war ja nur eine Vermutung, ein Bauchgefühl. In Gedanken vertieft begann sie mit dem Ring zu spielen, welchen Frau Nowak ihr gegeben hatte. Wie es Moritz nun ging? Würden die Entführer ihn für ihre Flucht bestrafen? Von hinter der Tür ertönte laut eine Stimme, welche Charlie der älteren Frau zuordnen konnte. ,,Mein Sohn setzt alles daran, seinen Bruder wiederzukriegen und Sie erlauben es sich, ihn zu verdächtigen?" ,,Frau Brenner", versuchte die junge Polizistin die Frau zu beruhigen: ,,Bitte etwas leiser. Charlotte braucht Ruhe." ,,Dieses Balg kann mir gestohlen bleiben. Bestimmt hat sich die Zendersky das nur erfunden, um noch etwas Geld abzugreifen. Nie und nimmer ist das Bents Tochter!" Leicht spürte Charlie einen kalten Stich in ihrem Herzen, als sie realisierte, dass die Frau vielleicht recht hatte. Sie wusste ja selbst nicht, ob ihre Mutter ihr die Wahrheit über ihren Vater sagte.

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