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Kyra, acht Monate zuvor.

Es war der 30. September, der Tag nachdem meine beste Freundin ihren Geburtstag gefeiert hatte. Genau genommen war der neue Tag erst anderthalb Stunden alt. Michaela hatte nach einer anstrengenden Arbeitswoche auf ihrer eigenen Geburtstagsfeier geschwächelt und weil es den anderen an diesem Freitagabend nicht anders erging, hatte sich die Clique frühzeitig aufgelöst. So kam es, dass Liam und ich um halb zwei an diesem Samstagmorgen vor Michaelas Wohnung im Auto saßen und uns fragten, was wir mit dem angebrochenen Abend anfangen sollten. Das Wochenende hatte doch gerade erst begonnen. Und es im Bett zu verschlafen, war für uns beide keine Option.

„Ich habe eine Idee", sagte Liam mit einem vieldeutigen Lächeln, das mir bis in den Unterleib ging. „Hast du Lust auf eine Spritztour?"

„Eine Spritztour mitten in der Nacht? Wohin?", fragte ich vorwitzig.

„Vertraust du mir?"

„Kein bisschen", log ich. „Jetzt sag schon!"

„Hängt davon ab, wieviel Zeit du hast?"

Natürlich hatte ich Zeit. Und Lust sowieso. Und selbstverständlich vertraute ich ihm. Mit ihm würde ich überall hin. Trotzdem legte ich ein Maximum an Bedauern in meine Stimme, als ich ihm antwortete: „Zeit ist so eine Sache. Leider muss ich Montagfrüh um acht wieder in der Schule sein."

„Das wird knapp, sollte aber reichen", antwortete er trocken. Ich lachte. Und er drehte den Zündschlüssel. Kurz gurgelte der Anlasser, dann sprang mit einem tiefen Grollen sein uralter Sportwagen an. Liams Fuß spielte am Gaspedal und ließ den alten V6-Motor wie einen gereizten Drachen fauchen.

Liam schloss versonnen die Augen mit einem verliebten Lächeln um die Mundwinkel. „Dieses Schnurren ist Sex pur!"

„Hey!" Ich boxte ihm empört gegen den Oberarm.

Er lachte. „Etwa eifersüchtig auf Kitty?"

„Ein bisschen", gab ich zu.

Liam lachte erneut. Ein Lachen zum Verlieben, wenn ich mich nicht schon vor einem Jahr in ihn verliebt hätte. Schon kurz nach unserem Kennenlernen hatte ich herausgefunden, dass dieser orangefarbene Ford Capri sein größter Schatz war. Es war der erste Neuwagen, den sich sein Vater Mitte der 1980er gekauft hatte. Und er hatte ihn auch als Zweitwagen behalten, als fünfzehn Jahre später Liam zur Welt gekommen war und ein Kombi angeschafft werden musste. Vermutlich würde Liams Vater den Wagen heute noch liebevoll pflegen, wäre er nicht vor anderthalb Jahren an Krebs gestorben. Das alles wusste ich nur aus Liams Erzählungen, weil ich ihn erst ein halbes Jahr danach kennengelernt hatte. Wie bedeutend sein Vater für ihn war, zeigte sich in so vielen Situationen, aber vor allem darin, wie er diesen Wagen pflegte. Ich hatte Liam nie gefragt, wieso er dem Wagen ausgerechnet den Name Kitty verpasst hatte, nahm aber an, dass er ihn von seinem Vater übernommen hatte.

Liam fingerte eine altmodische Cassette aus der Mittelkonsole und schob sie in den Schlitz des Abspielgeräts. Ich kannte niemanden, der so noch Musik hörte.

Ein wütender Gitarrenriff brach in die Stille ein, gefolgt von einem treibenden Schlagzeug und dem Schlachtruf: „Don't wanna be an American idiot!"

Mit Green Day fuhren wir los, mit Papa Roach und „Last Resort" nahmen wir zehn Minuten später die Auffahrt auf die A40 Richtung Westen. Nach einer Dreiviertelstunde im Geschwindigkeitsrausch, Liam hatte gerade sein Punkrock-Mixtape gewendet (oder das seines Vaters, ich fragte nicht nach), überquerten wir bei Venlo die Grenze zu den Niederlanden.

„Was hast du vor? Kiffen in Amsterdam?"

Liam verzog das Gesicht. Hätte auch nicht zu ihm gepasst. Ich kannte ihn ein gutes Jahr und hatte ihn noch nie Drogen konsumieren sehen. Er trank auch kaum Alkohol, weshalb er sich bereitwillig als Chauffeur für den Abend angeboten hatte.

Bad Beat - VerspieltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt