Kleopatra und Arsinoe

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Rückblick – Memphis im Winter 55 v. Chr.

Kleopatra und Arsinoe

In Ägypten waren die Wintermonate angenehm mild. Es war die beste Jahreszeit für eine Reise in den Süden, um allen Untertanen vor Augen zu führen, dass Pharao Ptolemaios Neos Dionysos, der allerhöchste Gottkönig zurückgekehrt war. Das Steuerruder der Regierung lag wieder fest in seiner Hand. Die Thalamegos, das königliche Prunkschiff der Ptolemäer glich mit seinen Festsälen und Säulenhallen einem schwimmenden Palast und schaukelte sanft an ihrem Anlegeplatz in der Strömung des Nils. Die königliche Barke und Flotte hatten gegen Mittag die alte Hauptstadt Memphis erreicht und würden ihre Reise nach Oberägypten erst morgen fortsetzen.

Der Pharao führte gerade eine private Unterhaltung mit Psen-Ptah, dem Hohepriester des Ptah von Memphis. Für den Abend war ein Besuch in der Stadt und im Tempel geplant.

Kleopatra, die 14-jährige Kronprinzessin saß auf dem obersten Deck des Schiffes unter einem Sonnenschatten und versuchte sich auf den Text auf ihrer Papyrusrolle zu konzentrieren. Wie so oft, fand ihr täglicher Unterricht auch während der Reisen statt. Und die Prinzessin war viel gereist in den vergangenen Jahren. Mit einem Ohr lauschte Kleopatra auf die Geräusche des Hafens, die gedämpft zu ihr heraufklangen. Rufende und lachende Arbeiter, das Wiehern von Soldatenpferden und die Geräusche einer Rinderherde, die gerade am Ufer entlanggetrieben wurde.

Die Wintersonne verbreitete eine angenehme Wärme und das sanfte Schaukeln des Schiffs in der Strömung wirkte beruhigend. Kleopatra liebte diese Jahreszeit, die hier in Ägypten so anders war, als im weit entfernten Rom. In der Hauptstadt des Römischen Reiches, auf der anderen Seite des Mittelmeers, war nun sicherlich alles mit winterlichem Frost überzogen. Die Tage waren dort grau und kalt. Manchmal wurde dieses seltsame Wetter von Schneeflocken begleitet, die alles in ein blendendes, strahlendes Weiß hüllten. Denn in den nördlichen Provinzen Roms war es im Winter so kalt, dass nicht nur Regen vom Himmel fiel, sondern auch gefrorenes Wasser, das man Schnee nannte und die Spitzen der Alpen bedeckte. Kleopatra wusste das von ihrem Besuch in Rom, der nun zwei Jahre zurück lag. Nicht nur die Kultur, sondern auch das Wetter war dort so anders als hier in ihrer Heimat.

Von einem der unteren Decks klangen nun Gesang und Gelächter zu ihr herauf. Wahrscheinlich übte der Chor für den abendlichen Empfang. Alle feierten in diesen Tagen und schienen die Kämpfe der Vergangenheit vergessen zu haben. Alle außer Kleopatras jüngerer Schwester Arsinoe, die in diesem Moment mit lauten Schritten das Deck betrat und sich mit verschränkten Armen vor ihr aufbaute. Kleopatra sah irritiert von ihrem Papyrus auf und betrachtete den trotzigen Gesichtsausdruck ihrer 11-jährigen Halbschwester. Doch bevor sie etwas sagen konnte, fuhr neben ihr Sosigenes mit einem Ruck aus seinem Stuhl auf und blinzelte. Kleopatra unterdrückte ein Schmunzeln. Ihr Mathematik- und Astronomielehrer war doch tatsächlich in der Sonne eingenickt, aber nun anscheinend umso wacher.

„Prinzessin Arsinoe", richtete er sich sogleich in würdevollem Ton an ihre Schwester, „Wie schön, dass du die Güte hast, auch noch zu erscheinen. Der Unterricht hat vor einer halben Stunde begonnen."

„Und Ihr habt anscheinend die letzte halbe Stunde geschlafen", entgegnete die Prinzessin ungerührt.

„Erspar uns deine Frechheiten, junge Dame!" Sosigenes blieb ruhig und deutete resolut auf einen leeren Stuhl und eine Papyrusrolle. „Setz dich hin und löse die dort vorbereiteten Aufgaben!"

Arsinoe funkelte ihn einen Moment lang trotzig an, setzte sich dann aber schweigend und entrollte die Papyrusrolle so brutal, dass sie dabei das bereitstehende Tintengefäß aus Goldglas erwischte, das mit einem hellen Klirren auf den hölzernen Planken des Decks zerschellte. Farbe spritze über das Deck und besudelte nicht nur Arsinoes blauen Chiton und das dunkle Himation des Astronomen, sondern auch das weiße Gewand der Kronprinzessin.

Am Hof der Ptolemäer. Geschichten aus der Welt von Caesar & KleopatraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt