Alesia

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(Rückblick, Alesia, Gallien im September 52 v. Chr.)

Bereits vor Sonnenaufgang hatte man Caesar benachrichtigt, dass die Tore der feindlichen Festung Alesia sich geöffnet hatten und hunderte von Menschen herausgeströmt waren. Doch diesmal handelte es sich nicht um gallische Krieger, die einen Ausfall versuchten. Nein diesmal waren es keine Krieger.

Da die Vorräte in der belagerten Festung zur Neige gingen, hatte der Avernerfürst Vercingetorix eine überaus kaltblütige Entscheidung getroffen.

Mit undeutbarem Ausdruck blickte Caesar von einem der Türme des römischen Belagerungswalls auf die Gallier herab, die sich dort hinter den mit Wasser und Pfählen gesicherten Gräben versammelt hatten. Die Anhöhe war von einem kalten Nebelschleier überzogen, trotzdem konnte er erkennen, dass es sich bei der Menschenmenge vor allem um kriegsuntaugliche Männer sowie Frauen und Kinder handelte.

„Berichtet!", wandte er sich an seine beiden Legaten, die bereits von einem der Übersetzer über die Lage informiert worden waren.

Titus Labienus verzog höhnisch sein wettergegerbtes Gesicht. „Alle , die nicht kämpfen können, sind aus Alesia verbannt worden, um Nahrung zu sparen. Sie bitten darum, dass wir sie aufnehmen und durchfüttern. Dafür sind sie sogar bereit, uns als Sklaven zu dienen - wahrscheinlich, um uns nachts die Kehlen durchzuschneiden!"

„Vercingetorix' Vorräte sind offenbar aufgebraucht, Imperator", ergänzte Marcus Antonius, der jüngere der beiden Legaten, bevor er entrüstet hinzufügte: „Ein Averner namens Critognatus soll sogar Kannibalismus vorgeschlagen haben, um die Belagerung durchzustehen, bis das gallische Entsatzheer eintrifft."

„Ich hab mal von einem Gallier gehört, Menschenfleisch soll was Süßes an sich haben, oder war es was Saures? Diesen Barbaren ist wirklich alles zuzutrauen!", äußerte sich Labienus verächtlich und fügte seinem geschmacklosen Vergleich gleich noch weitere makabre Details hinzu.

Caesar nahm das Gesagte stirnrunzelnd zur Kenntnis, sagte aber nichts dazu. Die Lage war ernst - auf beiden Seiten - und die Entscheidung über Sieg und Niederlage in diesem Krieg stand unmittelbar bevor. Der Feldherr ließ seinen Blick über die Befestigungsanlagen schweifen. Hinter den Zinnen der Brustwehr waren die Legionäre unermüdlich damit beschäftigt, Pfähle zu bearbeiten und im Feuer zu härten, um die beiden Belagerungswälle zu verstärken. Caesar hatte rund um Alesia zwei Belagerungswälle errichten lassen. Einen inneren Wall, der das Lager gegen Ausfälle aus der Festung schützte, und einen äußeren Wall, um auf den Angriff der gallischen Verstärkungstruppen vorbereitet zu sein, die jeden Tag eintreffen konnten. Die Römer belagerten Alesia, drohten aber selbst zu Belagerten zu werden. Und auch die römischen Vorräte gingen zur Neige, da Vercingetorix alle umliegenden Dörfer und Felder verbrannt hatte, um die Römer auszuhungern. Dieser Strategie der verbrannten Erde war er nun selbst zum Opfer gefallen. Wie verzweifelt seine Lage war, zeigte sich daran, dass er die Frauen und Kinder aus der Festung geschickt hatte.

Kurz entschlossen trat der Feldherr näher an die Zinnen des Turms, sodass die Menge ihn sehen konnte. Bei seinem Anblick wurde es so still, dass seine auf Gallisch gesprochenen Worte deutlich vernehmbar zu ihnen herüberdrangen.

„Leute vom Stamm der Mandubier! Rom kann euch nicht aufnehmen, da euer König Vercingetorix alle Nahrungsmittel vernichtet hat. Geht zurück zur Festung Alesia und überzeugt euren Anführer, sich zu ergeben. Wenn er das tut, verspreche ich Schonung für die Bevölkerung. Doch bis dahin gibt es kein Entrinnen. Die römischen Tore bleiben verschlossen und jeder, der versucht, die Belagerungswälle zu durchbrechen, ist des Todes!"

„Lasst uns wenigstens passieren!", brachen sich nun einzelne Frauenstimmen in gebrochenem Latein Bahn. Ihre verschlissenen Kleider erinnerten an verwelkendes Herbstlaub und die ausgemergelten Gesichter waren gezeichnet von Angst und Entbehrung. Mütter mit ihren kleinen Kindern im Arm und an den Händen, alte Menschen, die sich kaum mehr aufrecht halten konnten. Ein Bild des Jammers. Viele der sonst so stolzen Gallierinnen sanken auf dem nassen Boden auf die Knie und baten weinend um Gnade, indem sie immer wieder Caesars Namen intonierten.

Für einen Moment spürte der Feldherr einen Funken von Mitgefühl. Diese Alten, Frauen und Kinder waren von ihren eigenen Männern, Vätern und Verwandten aus der Stadt getrieben worden und der Gnade des Gegners ausgeliefert. Hier knieten sie nun vor den Toren des Feindes. Kurz fragte sich Caesar, ob er selbst zu diesem Schritt bereit gewesen wäre. Hätte er es über sich gebracht, Julia und Aurelia der Gnade des Feindes auszuliefern? Die Antwort war einfach: Niemals! Doch es war müßig, darüber nachzudenken. Seine Mutter und seine Tochter waren beide tot, gestorben in der fernen Hauptstadt, während er hier als Statthalter in dieser unwirtlichen Provinz weilte. Die beiden Frauen, die seinem Herzen am nächsten gestanden hatten. Grimmig vertrieb er die aufkommende Sentimentalität aus seinen Gedanken. Seine Soldaten waren nun seine Familie und allein für ihr Überleben hatte er Sorge zu tragen! Seine Männer hungerten, was scherten ihn da die Frauen und Kinder des Feindes? Vercingetorix sollte ein schlechtes Gewissen haben, dass er sie in der Kälte verhungern ließ! Und dieses schlechte Gewissen würde seine Gegner schwächen. Caesar hingegen würde alles kühl und taktisch planen, trotz der verzweifelten Lage, in der sie sich befanden. Und er würde die römische Armee zum Sieg führen!

Als die Sonne an diesem Abend unterging, färbte sie den Himmel rot wie Blut. Ein Vorzeichen auf das Blut der gallischen Krieger und römischen Legionäre, das bald vergossen werden würde. Und noch immer klang das Flehen der zwischen den Fronten gefangenen über die Wälle. Sie waren im Laufe des Tages zurück zur Festung geeilt, doch der Avernerfürst war eisern geblieben und hatte ihnen den Zutritt verwehrt. Viele der alten Leute hatten sich bereits entkräftet zum Sterben niedergelegt, während die jüngeren Frauen und Kinder verzweifelt an den Berghängen nach Nahrung suchten. Gefangen zwischen den Fronten und ohne Chance auf Rettung, während die Soldaten beider Seiten sich auf die finale Schlacht vorbereiteten.

Am Hof der Ptolemäer. Geschichten aus der Welt von Caesar & KleopatraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt