Camille drehte sich zu der Person, die sie angesprochen hatte. Es war der Perser. Er wirkte verwundert, aber Camille konnte erkennen, dass er sehr erschöpft war. Fast so, als hätte er sich mit letzter Kraft in Eriks Versteck getragen. Vom Nahen konnte sie seine markanten Gesichtszüge ausmachen, warme braune Augen starrten sie an, altersbedingte und stressgeprägte Falten hatten sich in seinem braungebrannten Gesicht gebildet.
„Mademoiselle Camille Lemaire, Monsieur", entgegnete sie ihm. Sie faltete das Laken, das sie in ihren Händen hielt und legte es auf dem Tisch ab. Camille befand sich im Musikzimmer, als der Perser sie erwischte. Sie lächelte verschmitzt. „Möchten Sie eine Tasse Tee?" Noch ehe der Perser antworten konnte, verschwand sie in der kleinen Küche um etwas Tee zu zubereiten und ihre Gedanken zu sammeln.
Sie strich sich über die Schürze, die sie täglich trug, um ihr Kleid während des Aufräumens nicht dreckig zu machen. Was sollte sie ihm sagen?, fragte sie sich und biss sich auf die Unterlippe. Dass sie ihm zuvor gefolgt war und dass sie ihrer Neugierde nachgekommen war, sicherlich nicht. Sie brauchte auf jeden Fall eine wasserdichte Geschichte, der Perser hatte genug Erfahrung, um ihre Lügen von der Wahrheit zu unterscheiden.
Schließlich seufzte sie und goss Tee in einer Kanne auf. Sie müsste ihm einige Wahrheiten erzählen, nur so konnte sie glaubwürdig erscheinen. Mit einem Tablett auf dem zwei Tassen, eine Kanne und etwas Zucker platziert waren ging sie mit einem aufgesetzten Lächeln zurück in den Musikraum.
Der Perser hatte sich auf einem der Stühle am Tisch gesetzt und schaute sie durchdringend an, als sie das Tablett auf dem Tisch stellte und seine und ihre Tasse mit dem heißen Tee füllte. „Ich nahm mir die Freiheit, Ihnen Tee einzuschenken. Ich hoffe, Sie vergeben mir meine Unverfrorenheit, Monsieur." Sichtlich nervös setzte sich Camille zu ihm an den Tisch, ihre Finger zitterten, als sie die Tasse in die Hände nahm. Die heiße Tasse biss in ihre Haut.
„Gewiss lässt sich bei einer Tasse Tee das Gespräch angenehmer gestalten", antwortete der Perser. „Aber Mademoiselle", begann er und sah kurz auf seine Tasse Tee und dann wieder zu ihr auf. „Sie sind mir einige Fragen schuldig."
Camille nickte und nahm einen Schluck des Getränkes und verbrannte sich glatt ihre Zunge daran. Sie verzog ihr Gesicht und stellte die Tasse samt Untertasse auf den Tisch ab. Seufzend faltete sie ihre Hände in ihrem Schoß.
„Wissen Sie, Monsieur, ich bin eher zufällig auf dieses Haus gestoßen", erklärte sie ihm und zwang sich, eine Träne aufzubringen. Was sich als nicht allzu schwierig erwies, wenn sie an ihre richtigen Eltern dachte und an alles, was sie in ihrer Zeit zurückgelassen hatte. Schon bald kullerte die erste Träne über ihre Wangen.
„Es war eines Abends als ein Herr...", schluchzte sie. Das Abschweifen signalisierte ihrem Gegenüber, das sie von ungeheuren Taten sprach. Sie vergrub ihr Gesicht in ihre Hände und spürte schon bald darauf eine warme Hand auf ihren Schultern.
„Ich konnte mich losreißen. Ich weiß noch, dass ich die dunklen Gassen Paris entlanggelaufen bin, er dicht auf meinen Fersen. Und dann habe ich diesen Schacht entdeckt, in der Hoffnung, dort würde er mich nicht finden. Es war so kalt und dunkel in diesen Katakomben."
Sie holte einmal tief Luft und spürte die Hand auf ihrer Schulter, wie sie beruhigend ihre Schultern entlang strich. „Aber ich hörte, dass er mir gefolgt war." Camille schüttelte den Kopf. „Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie ich hierher gelangt war. Ich war nur froh, dass ich ihn abgehängt hatte. Und dann..." Sie sah auf und schweifte mit ihrem Blick zu der Tür, die zu Eriks Zimmer führte.
„Habe ich ihn da liegen gesehen. Er war bewusstlos. Ich habe ihn dort vor einigen Tagen aufgefunden, seitdem liegt er im Wohnzimmer auf der Chaise Longue. Monsieur, wenn Sie wüssten, was das für ein Schock war! Zuerst dachte ich, er wäre tot!"
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Love between light and shadow (eine Phantom der Oper Fanfiction)
RomanceChristine hatte ihn verlassen! Und hat sein Herz dabei mitgenommen. Erik versteckte sich in den Katakomben und gaukelte der Polizei vor, er sei tot. Und irgendwann war er auch tot - innerlich tot, mit gebrochenem Herzen und ohne Gefühle. Bis ein Mäd...