Kapitel [8]

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In den nächsten Wochen war es ihnen kaum möglich, auch nur einmal gesellig zusammen zu sein. Immer tauchte Fähnrich Grant auf und zerstörte ihre friedliche Atmosphäre. C.J. ließ sich entnervt auf den Barhocker in ihrer Eckkneipe fallen und stöhnte. "Grant hat noch untertrieben, mir ist noch nie solch eine penetrante Person untergekommen. Ich glaube, sie stalkt mich regelrecht. Egal, wo ich hingehe, sie ist da. So langsam leide ich schon unter Verfolgungswahn, ich seh' mich sogar bereits im Flur zu unseren Quartieren ständig um." Koga, McGee, Slaine sowie Santiago fühlten mit ihm, auch wenn es C.J. wohl am härtesten von ihnen getroffen hatte, auch sie wurden nicht verschont. Dankbar nahm er das Glas Whiskey entgegen, das ihm gebracht wurde und leerte es in einem Zuge. Er rieb sich seine Schläfen, die wieder einmal heftig anfingen zu pochen. Er schloss seine Augen und dachte an Choi. Seit dem Nachmittag, als sie unschön an ihrem Lieblingsplatz gestört worden waren, hatte er ihn nicht mehr gesehen. "Ich denke, wir sollten dem Admiral davon berichten, oder zumindest einen Raum für uns beantragen, wo wir ungestört die Bewerbungen sichten können, ohne ewig von dieser Person gestört zu werden." McGee war sichtlich angefressen, was man unschwer aus seiner Tonlage heraushören konnte, sah er doch wie sehr sein Freund darunter litt. Die übrigen waren mit seinem Vorschlag einverstanden, da es sie mittlerweile auch immens störte. Da C.J. nicht reagiert hatte, schüttelte McGee ihn leicht an der Schulter, worauf dieser zusammenzuckte. "Was sagst du dazu?" "Mh? Bitte? Was hast du gesagt?" McGee wiederholte seine Äußerung, worauf C.J. nur zustimmend nickte, aufstand und den Waschraum aufsuchte. Nachdem er sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht gespritzt hatte, betrachtete er sich gedankenverloren im Spiegel. Was macht Choi bloß? Wo ist er die ganze Zeit? Will er mit uns, mir, jetzt nichts mehr zu tun haben? Hat er es sich anders überlegt? C.J. schreckte regelrecht auf, als die Tür aufgestoßen wurde und jemand hineintrat. Er wischte sich schnell mit der Hand durch sein Gesicht, so als wolle er diese trübsinnigen Gedanken damit verscheuchen, griff zum Handtuchspender und trocknete sich ab. "Commodore." Mitten in seiner Bewegung hielt C.J. inne. Choi! Ohne sich umzudrehen, sah er ihn durch den Spiegel an. Auf dessen stoischen Gesichtszügen lag etwas, was C.J. nicht wirklich deuten konnte. Ihre Blicke trafen sich und C.J. sah Besorgnis in seinen dunklen Augen. Worüber sorgt er sich? Ist etwas geschehen? Wird er mir jetzt eröffnen, dass er die Mission verlässt? Weiß er nicht, wie er es mir erklären soll? C.J. schluckte den aufkommenden Kloß in seinem Hals herunter, bevor er sich umwandte, gegen den Waschtisch lehnte und seine Arme vor der Brust verschränkte, damit Choi nicht bemerkte, wie nervös er wieder einmal war. "Wir müssen reden", unterbrach Choi die Stille, die eingetreten war, nachdem er den Waschraum betreten hatte. "Ja, dann, raus mit der Sprache, ich bin ganz Ohr." C.J. bereitete sich innerlich auf das Kommende vor, doch als Choi sich umdrehte und mit den Worten 'nicht hier' den Raum verließ, folgte C.J. ihm mit leichter Verwirrung. Den Übrigen, die mittlerweile am Dartautomaten standen, gab er ein Zeichen, dass er später zurück sei, riss seine Jacke im Lauf von der Stuhllehne und beeilte sich Choi einzuholen, der mittlerweile vor dem Lokal wartete. "Was gibt es denn so Dringendes, dass wir das nicht drinnen bereden konnten, Choi?" Ohne auf die Frage zu antworten, setzte sich Choi in Bewegung. C.J. schnaubte kurz und folgte ihm dann grummelnd. 

Nachdem sie eine Weile still nebeneinander hergelaufen waren, bemerkte C.J., dass sie nicht zurück zum Stützpunkt, sondern eine vollkommen andere Richtung eingeschlagen hatten. Er wollte ihn gerade fragen, wohin sie denn gehen wollten, als Choi auf ein Haus zusteuerte, die Türe aufschloss und C.J. hineinbat. Mit hochgezogenen Brauen ging er an Choi vorbei und staunte nicht schlecht, als er die Eingangshalle betrat. Wao, was für ein Haus! Wohnt er etwa allein hier? Der Bereich war größer als sein Quartier. Eine geschwungene Treppe zur rechten Seite führte in das erste Stockwerk. C.J. konnte von seiner Position aus in das Wohnzimmer sehen, da die Doppeltür geöffnet war. Gegenüber zur linken Seite hin gab es zwei weitere Türen, da diese jedoch geschlossen waren, konnte er nur vermuten, was sich dahinter befand. Die Einrichtung war schlicht in schwarz-weiß gehalten, jedoch strahlte sie einen Hauch von Eleganz aus. Choi trat nun an ihn heran und führte ihn weiter in sein Arbeitszimmer, das nach hinten hinausging. Noch immer hatten sie kein einziges Wort miteinander gesprochen, worüber sich C.J. jedoch nicht wunderte. Choi war schon immer ein recht wortkarger Mensch, obwohl er auf ihrer Marsmission mit der Zeit geselliger geworden war. Choi wies auf den bequem aussehenden schwarzen Ledersessel, der vor seinem Schreibtisch stand und setzte sich selbst dahinter. C.J. nickte, setzte sich und wartete gespannt darauf, warum Choi so geheimnisvoll tat und was er mit ihm unbedingt unter vier Augen besprechen wollte. Jetzt, wo sie sich gegenübersaßen, konnte C.J. förmlich sehen, wie es hinter der Stirn von Choi arbeitete. C.J. holte hörbar Luft, doch Choi kam ihm zuvor. "Commodore, ich habe eine verschlüsselte Nachricht bekommen, die würde ich ihnen gerne zeigen." C.J. neigte seinen Kopf daraufhin leicht zur Seite. "Zum Ersten, Choi, wir sind nicht auf dem Stützpunkt, also lass das mit der Förmlichkeit, wir waren bereits per du und zum Zweiten. Warum so geheimnisvoll? Dürfen die anderen davon nichts erfahren? Und wenn dem so ist, weshalb?" C.J. hielt Chois starrem Blick stand, bevor dieser zur Seite auswich, sein Log aus der Schublade ans Tageslicht beförderte und die Datei aufrief, die er C.J. zeigen wollte. Nachdem C.J. den Inhalt gelesen hatte, sah er Choi verwirrt an. Die Geschehnisse, die sie in der ersten Woche auf dem Mars erlebt hatten, drangen erneut in C.J.s Bewusstsein. Eine leichte Gänsehaut kroch an seinem Rücken empor, hatte er doch bis zum heutigen Tage alles, was damit zu tun hatte, verdrängt. Wie durch Watte hörte er Chois Stimme, konnte jedoch die Worte nicht recht verstehen. Erst als Choi aufsprang, um den Schreibtisch herum kam und C.J. sachte an der Schulter rüttelte, wachte er aus seinem tranceähnlichem Zustand auf. "C.J., alles in Ordnung? Du bist ganz blass geworden. Soll ich dir ein Glas Wasser holen?" Benommen hob C.J. seinen Kopf und nickte stumm. Als Choi den Raum eilig verließ, sah er ihm gedankenverloren nach. Warum geschieht das jetzt erneut? Was ist so besonders an Nuomar? Von wem stammt diese Nachricht?  C.J. zuckte regelrecht zusammen, als Choi so plötzlich wieder vor ihm stand und ihm ein Glas mit Wasser reichte. Seine Gedanken waren erneut so weit von der Realität abgedriftet, dass er nicht einmal mitbekommen hatte, dass Choi zurück war. Eilig nahm er das Glas entgegen und trank hastig, da sich seine Kehle extrem trocken anfühlte. Choi nahm es ihm, nachdem C.J. es geleert hatte, ab und bemerkte dabei das leichte Zittern dessen Hand. "Ich frage dich noch einmal, ist alles in Ordnung? Du zitterst!" "Sorry, die Erinnerung an die Geschehnisse waren unmittelbar wieder da. Das Skelett, die Worte, die Proben und dann das Verschwinden der Überreste. Es hat mich damals schon sehr beschäftigt, doch konnte ich es von mir fortschieben. Ich hätte nicht gedacht, dass mich das jetzt alles so schnell einholt und dazu auch noch erschüttert. Woher hast du die Datei? Von wem ist sie? Wie lange hast du sie bereits?" Die Worte sprudelten nur so aus C.J. heraus. Choi nahm den Hocker, der etwas abseits stand, heran, setzte sich neben ihn und legte seine Hand fürsorglich auf dessen Unterarm. "Beruhige dich erst einmal." Doch C.J. schüttelte darauf nur heftig den Kopf und entzog ihm seinen Arm. Er wollte es jetzt wissen. Beruhigen konnte er sich nicht, solange Choi so nah bei ihm saß und ihn obendrein auch noch berührte. Choi nahm dies mit einem Seufzer hin und erzählte ihm, dass er diese Nachricht vor circa zwei Wochen von der Mars Basis verschlüsselt erhalten hätte und sie direkt an seinen privaten Log verschickt wurde. C.J. zog daraufhin seine Augenbrauen zusammen, worauf sich eine steile Falte dazwischen abzeichnete. "Zwei Wochen bereits? Warum erst jetzt? Warum nur ich?" Die Wangenmuskeln in Chois Gesicht begangen zu zucken und man konnte ihm ansehen, dass er genausten überlegte, wie er darauf antworten sollte. Er wusste, wer sie verschickt hatte, doch konnte er dieses Wissen C.J. mitteilen, ohne dass er ihn für vollkommen verrückt hielt? Choi hatte ihm nur einen kleinen Teil der Nachricht zu lesen gegeben, die Sprachnachricht, die sich noch im Anhang befand, war selbst für ihn zu verwirrend gewesen. "Choi?" "Mh?" Choi, der zuvor seinen Blick gesenkt hatte, erhob ihn und sah C.J. an. "Möchtest du darauf nicht antworten?" C.J. hatte wohl bemerkt, dass Choi mit etwas haderte, doch konnte er sich nicht vorstellen, was es sein könnte. Warum spricht er nicht mit mir? Vertraut er mir etwa nicht? Wie kann ich ihm nur helfen? Was beschäftigt ihn so sehr? Ein leichtes Lächeln huschte kurz über Chois Gesicht, erstarb jedoch sofort wieder. C.J. sah Choi forschend an, doch leider verriet ihm sein Ausdruck wieder einmal nichts. Schlimmer noch, sein Blick wurde erneut abweisend und kalt. Er erhob sich von dem Hocker, schritt zum Fenster und blickte hinaus, bevor er ausweichend antwortete. "Ich kann es ihnen nicht sagen, Commodore, denn trotz meiner Nachforschungen, konnte ich nicht herausfinden, wer mir diese Nachricht zukommen ließ." C.J. seufzte und stand ebenfalls auf. Ich weiß, dass er mir etwas verheimlicht, doch was und warum, kann ich wieder einmal nicht erkennen. Wieso verschließt er sich ständig vor mir? "Nun gut, wenn es nichts Weiteres gibt, dann werde ich zurück zu den anderen gehen. Ich finde allein hinaus." C.J. wartete noch kurz, doch als keine Reaktion seitens Choi kam, machte er auf dem Ansatz kehrt und verließ wehmütig das Haus. Daher bekam er auch nicht mehr mit, dass Choi seine starre Haltung aufgab und sich verzweifelt durch das Haar strich. 

C.J. lief die dunklen Straßen entlang, die nur stellenweise von einer Laterne beleuchtet wurden. Seine Gedanken waren bei Choi und dieser verdammten Nachricht. Gamma Quadrant, Koordinaten des Planeten Nuomar sowie der Hinweis, sich von ihm auf jeden Fall fernzuhalten. Aber aus welchem Grund? Weshalb wurde nicht erwähnt, warum man sich fernhalten sollte. War das wirklich die gesamte Nachricht? Oder gab es da doch mehr, was Choi jedoch vor ihm geheim hielt? Und warum diese Stimmungsschwankungen? Fragen über Fragen, worauf C.J. einfach keine Antworten fand. Als er aufblickte, bemerkte er, dass er nicht wie er es zuvor wollte zurück zur Eckkneipe gegangen war, sondern sich jetzt vor dem Stützpunkt befand. Was soll's, ist vielleicht besser so. Die anderen würden nur Fragen stellen, die ich nicht beantworten kann. Jedenfalls noch nicht. Denn er hatte die Entscheidung getroffen, Choi erneut damit zu konfrontieren und er würde nicht eher loslassen, bis er ihm geantwortet hätte. C.J. nickte dem wachhabenden Offizier zu und lief, mit den Händen in seinen Taschen vergraben, über den großen Platz. Am Park vorbei und wollte gerade das Gebäude betreten, als ihn jemand am Arm fasste und zu sich umdrehte. Aus Reflex heraus packte er den vermeintlichen Angreifer, wirbelte ihn herum, um ihn schließlich auf dem Boden zu fixieren. Er realisierte erst, wer ihm aufgelauert hatte, als er die Person erkannte, die dort quiekend und zappelnd unter ihm lag. "Verdammt, Fähnrich Grant, ich hätte sie ernsthaft verletzen können. Was machen sie um diese Uhrzeit beim Offiziersgebäude?" Schimpfend rappelte sie sich auf und funkelte C.J. wütend an. "Wie soll ich denn sonst an sie herankommen? Sie weichen mir ständig aus. Ich will mit ihnen über meine Ablehnung sprechen. Sie können bei ihrer nächsten Mission nicht auf mich verzichten. Ich bin die Beste meines Jahrgangs, wenn nicht die Beste der gesamten Akademie." C.J. blies genervt seine Wangen auf und hörte ihr nicht einmal mehr zu. Das hatte ihm nach dem heutigen Abend auch noch gefehlt. Eine überaus anstrengende und penetrante Enkelin des Admirals. Erneut wollte sie ansetzen, doch C.J. hielt sie mit einer entschlossenen Handbewegung auf. Mittlerweile war auch der Sicherheitsdienst, der durch die Kamera den Vorfall mitbekommen hatte, vor Ort. Sie salutierten vor C.J. und sahen den Eindringling finster an. "Zum allerletzten Mal, Captain Choi hat sie für untauglich befunden. Ah, ich rede jetzt" als sie erneut protestieren wollte "und ich teile seine Entscheidung, ebenso mein Team. Sie werden nicht mit uns an Bord gehen, selbst wenn sie die Kaiserin von China wären. Nein, heißt nein, finden sie sich damit ab und nun, abführen", wandte er sich darauf an die Sicherheit. Mit lautem Gezeter wurde Fähnrich Grant in Gewahrsam genommen. Das Einzige, was er aus ihrem Geschrei heraus hörte, war, dass es ihm noch leidtun würde, bevor er die Türe öffnete und zu seinem Quartier ging. 

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The mystery of the red PlanetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt