Kapitel 10 - Aus dem Bauch der Bestie

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Ein leidvolles Wimmern rollte über die spröden Lippen des Piraten. Die schmalen Schultern vom Smee schlotterten und kein klarer Gedanke wollte von den Wellen der Angst in seinen Geist gespült werden.

Die Kreatur indes schob ihren massigen Leib aus dem Gewässer. Ein tiefes Gurgeln und Grollen drang aus seinem Maul, der Schweif schlug wild umher und immer wieder riss es den Kopf von einer zur anderen Seite. Die gewaltigen Kiefer schnappten in die Lüfte, als kämpfte es gegen einen unsichtbaren Feind. Ein ekelhaftes Geräusch erklang immer dann, wenn die gewaltigen Kiefer aufeinander schlugen, sobald das Maul sich von neuem öffnete und wieder schloss. Das Krokodil brüllte und tobte, drehte und wand sich.

Es war dieser Moment, als der Bootsmann verstand, dass es besser an der Zeit wäre, die Flucht zu ergreifen, wenn ihm etwas an seinem Leben läge. Was hier auch vor sich ging - wenn die Sterne fielen und das Krokodil seinem Gewässer entstieg, konnte etwas nicht mit rechten Dingen zugehen!

Smee sammelte gerade alle seine Kraft zusammen, um sich aus dem Wasser zu erheben, als die Bestie ein dröhnendes Brüllen ausstieß. Es ging dem Piraten durch Mark und Bein, so wütend und unmenschlich klang es in seinen Ohren. Dann drang ein unheimliches Gurgeln aus dem mit Reißzähnen besetzten Maul. Ein gewaltiger Schwall von Blut ergoss sich wie verschüttete Tinte über den elfenbeinweißen Strand. Es färbte die gelben Zähne und grünlichen Schuppenplatten in ein dunkles Rot, über welches die Lichter der fallenden Sterne wie Flammen tanzten.

Mit weit aufgerissenen Augen sah Smee, wie das Biest die rot glühenden Augen verdrehte, die lange, glitschige Zunge aus dem Maul hängend taumelte und schließlich in sich zusammensank. Das wilde Pochen in seinem Brustkorb klopfte auch dann noch weiter, als das Röcheln und Brüllen des Krokodils bereits verstummt war. Blut floss dem Biest aus Nüstern und Maul und färbte den weißen Sand in ein rubinfarbenes Rot. Nur noch das Rauschen der Wellen, ferne Klänge aufgescheuchter Tiere war zuhören und ...

Da war es wieder. 

Sein Name?

Aber das konnte nicht sein.

Hatte das Krokodil ihn gerufen?

Smees Beine waren schwächlich vor Furcht. Sie bebten wie Espenlaub, als er ihnen befahl, sich zu bewegen. Ganz langsam setzte er einen Fuß vor den anderen und wider aller Vernunft trat er näher an die Bestie heran. Kalter Angstschweiß stand auf seiner Stirn und glänzte im fahlen Licht der Nacht. Die ledrige Stirn des Mannes zog sich in tiefe Falten. Nur noch ein paar Schritte trennten ihn von der gewaltigen Kreatur, die groß genug war, ein Beiboot mit Leichtigkeit in zwei Teile zu beißen.

Der Gestank von Meerwasser, Fisch und Reptil stach ihm in die Nase und mischte sich auf eine ekelhafte Art und Weise mit verrottendem Fleisch, Kadaver und der metallischen Nuance von Blut. Nicht einmal der Wind schaffte es, diesen Geruch zu vertreiben, sodass Smees Gesicht sich angewidert verzog und die knollige Nase sich rümpfte. Übelkeit drängte dem Seemann in den Rachen. Ob es von der Furcht oder dem Gestank kam, hätte er nicht zu sagen vermocht. Sein eigener Herzschlag trommelte in seinen Ohren. Smees Blut rauschte zusammen mit den Wellen und verschmolz alles zu einem wilden, chaotischen Klang. Doch zwischen all diesem Durcheinander war noch etwas anderes.

Ein Ton in einem Rhythmus, der sich immer wieder gleichmäßig wiederholte ...

Tick. Tack. Tick. Tack...

Smee war dem Monster nun so nahe, dass er es deutlich hören konnte. Das Ticken im Bauch des Monsters, das von dem alten Wecker herrührte, den es einst versehentlich verschlang, als es seinen Durst nach Menschenfleisch zu stillen suchte. Der Klang jagte einen eisigen Schauer über Smees Rücken.

„Ist es ... tot?", raunte der alte Seemann, als könnte ihm irgendetwas oder irgendjemand eine Antwort geben.

Da ging unvermittelt ein Ruck durch den Leib der Bestie und ließ ihn erzittern. Smee stieß einen heiseren Schrei aus, taumelte zurück und landete ein zweites Mal rücklings im Sand.

Wenn Sterne FallenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt