Kapitel 20 - Der Schatten des Berges

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Peter klammerte sich an den schönen Gedanken. Er sackte zusammen mit dem Stern in die Tiefe, spürte den freien Fall und die Arme des Mädchens, die sich bang, mit einem erstickten Aufschrei fester an seine Schultern klammeren. Doch dann zog warmes Kribbeln wie ein leuchtendes Funkenmeer aus unsichtbarem Feenstaub durch seine Adern und trug ihn in die Höhe.

Peter trudelte die ersten Meter, dann donnerten Schüsse in der Dunkelheit. Seine Muskeln spannten sich automatisch, doch so sehr er auch versuchte an Höhe zu gewinnen, um sie über den Wolken in Sicherheit zu bringen, wollte es ihm heute nicht gelingen.

'Sei verdammt Titania, du hinterlistige Hexe!', dachte Peter bitter. Wegen der Feenkönigin war er nun in diesem Zustand und konnte die imaginären Steine förmlich spüren, welche die Jahre ihm in die Taschen gestopft hatten. Schwere Gedanken des Erwachsen-Werdens, dem er sich noch immer mit Händen und Füßen erwehren wollte ... und es doch nicht verhindern konnte.

Irgendwo in seinem Hinterkopf geisterte ein Gedanke umher, der ihn mahnte, dass er etwas Wichtiges vergessen hatte ... aber wie so oft scherte er sich nicht lange darum. Normalerweise verschwand dieses Gefühl schnell, denn was Erwachsene lange umtrieb, war schnell aus der Aufmerksamkeit von Kindern verschwunden. Diesmal jedoch vertrieben Mündungsfeuer am Waldboden die Fäden, ehe er danach greifen konnte.

Peter musste sich anstrengen, um den knallenden Schüssen der Pistolen rasch zu entkommen. Nochmal konnte ihnen kein Stern das Leben retten und es war besser, schnellstmöglich Abstand zwischen sich und das Piratenpack zu bringen.

Der Wind trieb sie voran, schien Peter helfen zu wollen und jener trug sie über die finsteren Wipfel der Bäume, die sich wie ein schwarzes Meer aus Blättern unter ihnen erstreckten.

„Wohin fliegen wir?", rief der Stern gegen das Rauschen des Windes an.

„Zum Stamm der Ipixkih(*)! Wir müssen sie vor Hook warnen und überlegen, was wir jetzt tun, wo der Stern weg ist...!", antwortete Peter und beobachtete das blaue Haar, welches im Wind um die Züge des Sterns flatterte. Der Wind fand sichtlich gefallen darin, die langen Strähnen immer wieder zu greifen und damit zu spielen. Es ließ die kleinen Lichter darin tanzen wie Glühwürmchen, die im Zickzack vor dem blauen Nachthimmel umherschwirrten. Vor allem, als sie den Kopf schüttelte und die Wellen um ihre Schultern sprangen.

Plötzlich rollte ein ohrenbetäubender Lärm über die Insel. Es klang wie das dunkle, wütende Knurren eines gigantischen Biestes in einer tiefen Höhle. Vögel schreckten auf und stoben trotz der Nacht aus den Bäumen empor. Wie eine schwarze Wolke erhoben sie sich plötzlich aus allen Richtungen gleichzeitig und das Kreischen und wilde Schlagen mischte sich Zischen, Knacken und Grollen.

„Was ... ?!" stieß Peter atemlos aus, als sich knackende Risse durch den Berg zogen, als wäre er nicht mehr, als eine unter zu viel Druck berstende Nuss. Gigantische Brocken lösten sich aus dem Gestein des Berges und rollten mit Tosen und Grollen in die Tiefe. Unter ihnen eröffnete sich von jetzt auf gleich ein Bild blanker Katastrophe.

Rissen zogen sich vom Berg aus über das Land und eröffneten gewaltige, schwarze Schlünde. Zischend wie Schlangen stieß sengender Dampf aus den Erdspalten und spätestens als ein fauliger Geruch die Luft erfüllte, wussten jeder Bewohner der Insel, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.

Der Gipfel des Never-Peak-Berges war in eine dicke Asche- und Rauchwolke gehüllt, und das tiefe Grollen war im ganzen Land zu hören. Ihre Augen brannten und ihre Nase stach von Qualm und Dämpfen. Hustend verlor Peter rasch an Höhe. Doch immerhin besaß er genug Selbstkontrolle, seinen Passagier nicht fallen zu lassen. Er versuchte, an Geschwindigkeit zuzulegen. Er musste den Berg schnell in einem Bogen zu umfliegen, um nicht in die Wolke aus Staub und Qualm zu geraten, die vom Berg aus nach außen rollte.

Wenn Sterne FallenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt