Kapitel 23 - Zeugen der Vergangenheit

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Raschelnd bogen sich Zweige, schnappten dann wieder zurück und das Raunen der empörten Blätter erlosch irgendwann, fügte sich in den dumpfen Klang ihrer Schritte auf dem Waldboden. Sie liefen eine ganze Weile. Der Wald umschloss sie eng und gnadenlos. Überall nichts als finstere Flecken unter dem dichten Grün, Baum an Baum und nur hin und wieder kleinere Lichtungen, die sie erst misstrauisch absuchten und dann vorsichtig überquerten.

Jedes Rascheln ließ sie alarmiert innehalten und Peter den Griff seines Dolches fest umschließen, der in den Händen des Mannes sehr viel kleiner und wenig bedrohlich wirkte. Es gab schon unter normalen Umständen genug abenteuerliche Gefahren auf dieser Insel. Nun jedoch mussten sie ständig damit rechnen, dass eine Kreatur wie jene zuvor sie aus den Schatten attackierte, die merklich finsterer und schwärzer geworden waren als sonst. Auch deshalb war das alles andere als ein einfacher Spaziergang, noch ehe sie die ersten Erdrisse erreichten. Umso näher sie dem Berg kamen, umso schlimmer wurde es. Bäume waren entwurzelt worden. Sie lagen kreuz und quer, als hätte ein wütendes Kind sie herausgerissen. Manche Stellen mussten sie komplett umgehen, weil zischende, stechende Dämpfe aus der Tiefe nach oben drangen.

„Komm, es ist nicht mehr weit", sagte Peter immer wieder und hielt ihre Hand in festem, sicherem Griff. Er half ihr über die umgefallenen Giganten der Bäume, schwebte mit ihr über jene, denen sie nicht ausweichen konnten, hinweg und führte sie mit einer Selbstsicherheit über einen umgefallenen Mammutbaum über einem Schlund voller glühender Lava hinweg, als sie vor Angst erstarrt war. „Ich bin bei dir. Ich fange dich immer auf", versprach er ihr immer wieder und irgendwie beruhigte es Sitara wirklich. Peters Nerven und Muskeln waren angespannt.

„Da vorne geht es aus dem Wald. Dort sind schon die Ausläufer des Never-Peak-Berges!", erklärte ihr Peter und beschleunigte seinen Schritt.

Abenteuer lag ihm im Blut, das merkte man bei jedem Schritt. Und doch hatte etwas begonnen, diesen Jungen in den letzten Stunden und Tagen zu etwas zu schleifen, das er selbst nie in sich sehen wollte.

Der Wald lichtete sich vor ihnen und ging in flaches Land über. Sitara schluckte schwer und Peters Züge wurden härter beim Anblick des Berges, denn von hier konnte man die gewaltigen Spalten in dem sonst so unverrückbaren grauen Gestein sehen. Sie zogen sich überall durch den Felsen, hatten Geröll gelöst und an manchen Stellen flossen die bisher im Berg gefangenen Gewässer der unterirdischen Quellen ins Freie. Wo sie auf Lava stießen, trieb der Wind gewaltige Rauchwolken hinfort. Noch nie hatte Neverland so ... zerbrochen ausgesehen. Und dies alles war erst der Anfang.

„Wir müssen einen Stern finden, ehe der Vulkan im Innern des Berges ausbricht", meinte Sitara besorgt. Wenn sie die Kammern unter dem Berg nicht erreichten, ehe sie vielleicht von dem flüssigen Feuer oder den Wassern geflutet wurden ... dann wäre alles verloren.


Es war alles andere als einfach, den alten Eingang zu erkennen. Letztendlich jedoch entdeckten sie ihn in einer unscheinbaren Felsspalte. Sitara wusste, dass das Schicksal der Insel von ihnen allein abhing. Dennoch spürte sie ein flaues Gefühl, als sie in die Dunkelheit des Berges eintauchten.

Die ersten Meter erschien es wie ein einfacher Spalt im Berg oder eine Höhle wie jede andere. Danach jedoch wurden die Wände glatter, sichtlich behauen und bearbeitet. Dennoch war es feucht, kalt und dunkel. Es roch nach Moos und Pilzen und man konnte kaum etwas erkennen. Von irgendwo drang ein leise plätscherndes Geräusch einer unterirdischen Quelle zu ihnen heran. Nach wenigen Metern war der letzte Rest Licht, der von außen herein gedrungen wäre, vollkommen verschlungen. Das einzige, das sie nun noch führte, war das Leuchten um den Stern, dessen weißer Schein die grauweißen Wände des Berges feucht glänzen ließ. Weil es sicherer war, ging Peter mit seinem Dolch voran, den matten Schein in seinem Rücken. Je weiter sie jedoch in den Berg kamen, wurden ihre Schritte in Anbetracht der pechschwarzen Dunkelheit, zunehmend wenig langsamer und merklich weniger ... motiviert.

Wenn Sterne FallenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt