1. Mayla

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Wie lange kann man  die Decke an starren, bis einem schlecht wird? 

20 Minuten.

Ich hasse die Schule, ich hasse Menschen, und wenn nicht bald etwas interessantes passiert stürze ich mich noch aus dem Fenster.

Dramatisch wie eh und je. Ich mein das natürlich nicht ernst. Naja, zumindest nicht ganz ernst gemeint...

Im Moment sitze ich im Geschichtsunterricht – ein Augenblick, der sich ins Unendliche zieht – und ich könnte heulen. Ich bin ein Naturwissenschafts-Fan, bitte verurteilt mich nicht. Geschichte interessiert mich einfach nicht. Meiner Meinung nach gehört die Vergangenheit dorthin, wo sie hingehört: in die Vergangenheit. Klar, man sollte aus Fehlern lernen, aber muss man wirklich jedes Detail immer und immer wieder sezieren?

Die Schüler in meiner unmittelbaren Umgebung, hören entweder mit Kopfhörern Musik, oder sind schlichtweg einfach mal eingeschlafen.
Also bin ich nicht die Einzige, die den Unterricht so unfassbar spannend und mitreißend findet. 

Ich würde alles geben, um etwas Drama zu haben- nicht nur jetzt im Geschichtsunterricht, sondern generell. Mein Leben ist einfach nur langweilig. Und wenn ich „alles" sage, meine ich wirklich alles. Nur um endlich ein Leben zu haben, das erzählenswert ist.

Geschichte bei Frau Seelen ist wie in einem Schwarzes Loch: Zeit und Raum haben keine Bedeutung mehr. 

Ich sitze hier erst seit einer halben Stunde, was sich nebenbei bemerkt so anfühlt wie drei Tage, und habe schon öfter daran gedacht mein Kopf gegen den Tisch zu schlagen, als ich an meinen Händen abzählen kann.

Deshalb freue ich mich schon so sehr auf die Universität, nur noch Fächer an denen man interessiert ist. In meinem Fall sind das alle Naturwissenschaftlichen. Aber besonders Physik.

Mein Ziel ist es Astrophysikerin zu werden. 

Jaja, ich weiß...
Wie kommst du denn auf diese Idee?
Was ist das denn?
Wie der Inder aus The Big Bang Theory?
Also wirst du Astronautin?

Diese Fragen höre ich ständig, und ich hasse sie aus tiefstem Herzen. Ich bin mir sicher, wenn ich ein Junge wäre, würde ich nicht dieselben Fragen gestellt bekommen.
Und weil ich leider schüchtern bin und ungern über die Dinge streite, die ich liebe, habe ich den Leuten (meist aus meiner Familie) nie wirklich meine Meinung gesagt. Stattdessen habe ich meistens nur verlegen gelächelt und „Weiß auch nicht" gemurmelt. Nicht gerade mein stolzester Moment.

Wenn es um meine Familie geht, verliere ich irgendwie mein Rückgrat.

Ich kann sehr schüchtern sein, aber wenn ich mich wohl fühle, bin ich ganz anders.
Ach ja, und ich bin ein riesiger Overthinker.

Ich würde außerdem sagen, dass ich sehr verantwortungsbewusst und diszipliniert bin, das schon seit frühem Alter. 

Ich glaube, ich musste schneller erwachsen werden als viele andere, denn meine Eltern sind Eigenständig, sie besitzen ein Restaurant, welches mittlerweile auch erfolgreich ist, weswegen ich finanziell abgesichert bin für die Universität und somit nicht viele Einschränkungen habe oder von Stipendien abhängig bin.
Ich will meine Eltern wirklich nicht verurteilen, sie haben mit nichts gestartet, das Restaurant mit tiefen Schulden eröffnet und mit ausnahmslos harter Arbeit, jeden einzelnen Tag, diese Schulden noch im ersten Jahr abarbeiten können.

Dann wurde meine Mutter schwanger, aber das hielt sie nicht davon ab, bis zum letzten Tag als Kellnerin zu arbeiten. Nachdem sie meinen kleinen Bruder Andrew zur Welt gebracht hatte, stand sie am Tag ihrer Entlassung direkt wieder im Restaurant.

Mein vier Jahre älterer Bruder Finn hat zu diesem Zeitpunkt auch schon im Restaurant geholfen, sein Fokus lag nie wirklich auf Schule, deswegen hat er sich direkt dem Familiengeschäft gewidmet.

Somit blieb mir die Rolle des Babysitters. Ich war acht. Und anstatt als Kind rauszugehen und zu spielen, war ich immer an ein noch kleineres Kind gebunden. Zuhause. Ich erinner mich als wär es gestern gewesen, wie oft ich ihn im Kinderwagen überall mitnahm, um nicht von allem ausgeschlossen zu werden. Für mich war das normal, es hat mich nicht wirklich gestört. Aber wenn ich jetzt an die Zeit zurück denke, bricht mir mein Herz für klein Mayla. Mayla, wessen Freunde nie verstanden haben warum sie mit einem kleinen Kind spielen müssen und warum das kleine Kind nicht für eine Sekunde alleine gelassen werden kann. 

Mayla, die nach einer Zeit zu keinem Treffen mehr eingeladen wurde. Mayla, die anfing kein Interesse mehr an Kinderaktivitäten zu haben, weil sie die sowieso nicht genießen oder überhaupt machen konnte.

Naja und nach dem Mutter Job folgte ein Job im Restaurant, welcher mir wieder die Möglichkeit nahm mich mit meinen Freunden zu treffen, deswegen habe ich mich der Schule gewidmet, um eine Ausrede zu haben, um so wenig wie möglich dort arbeiten zu müssen. 

All das Trauma dumping und die Stunde ist immer noch nicht vorbei. Super.

Was kann ich noch über mich erzählen, so dass ich im Unterricht nicht einschlafe, sondern beschäftigt bin? 

Ich bin recht klein für meine 17 Jahre, 1,63m, und werde höchstwahrscheinlich nicht weiter wachsen, ich habe Rundungen, die ich mal liebe mal hasse.
Außerdem habe ich langes braunes Haar und braune Augen.
Wenn ich so drüber nachdenke, sind sie genau so langweilig wie der Geschichtsunterricht, der von dieser Furie unterrichtet wird.

Bevor ich mich weiter über meine Lehrerin beschweren konnte, reißt mich ein Klopfen an der Klassentür aus meinen Gedanken und ich bete darum, dass es spannend ist und hoffentlich auch Zeitauftreibend.

Vielleicht ist es ja irgendjemand der meine Hilfe bei etwas spanendem braucht. Es muss nichtmal spannend sein. Hauptsache etwas, was mir erlaubt aufzustehen und zu gehen.

Doch ich glaub es ist etwas viel besseres, als ich sehe wer den Raum betritt, habe ich Hoffnung das meine Gebete erhöht wurden. Und so garnicht mehr das Verlangen, den Raum zu verlassen.


When Paths Cross AgainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt