Der Sturm

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Während ihr Eisschiff langsam auf die sich verengende Straße zufuhr, schweiften Sonyas Gedanken zu dem Gespräch der zwei Freezer-Jäger ab. Die zwei Männer sahen nicht gerade danach aus, als ob sie es mit gefährlichen Kreaturen aufnehmen könnten. Wenn man genauer drüber nachdenkt, hätten es die Jäger vom Dorf eher mit Freezern aufnehmen können als diese zwei Kerle. Die Geschichten über die menschenfressenden Freezer wurde meist den Kindern erzählt, damit sie nicht allein in die Eiswelt aufbrachen und nah genug bei den Dörfern und Städten bleiben. Auch Sonya wurde die Geschichte erzählt, doch im Gegenteil zu den anderen Kindern, war sie fasziniert von diesen Wesen, die im Eis lebten. Kälte konnte ihnen nichts anhaben und sie hatten angeblich unmenschliche Kräfte. Das Eis gehorche ihnen, so dass sie Gletscher befehligen konnten, sich zu bewegen. In Sonyas kindlichen Gedanken wurde das Bild eines Freezers immer weiter ausgeschmückt, so dass es am Ende eher die Vorstellung eines Stammes von Heldinnen und Helden hatte. Unbesiegbar in der Kälte und etwas furchteinflößend aber auf die gute Art und Weise.

Während Sonya sich kindliche Erinnerungen hervorrief, war der Himmel inzwischen fast komplett verdunkelt. Das Licht des Eisschiffs hatte sich automatisch angeschaltet und Sonya fuhr im Grunde nur noch nach dem Navigator. Das war nichts Neues. Es war sogar eher der Fall, dass das Wetter sich derart verhielt, als dass es einen blauen Himmel, wie noch am Morgen gab. Der Navigator leuchtete grün und hin und wieder merkte Sonya, wie das Eisschiff, eine Eisspalte überfuhr. Ein leichtes Ruckeln deutete an, dass sie einmal mehr über eine tödliche Falle fuhr. Die Wolken aus Eis umhüllten das Eisschiff und die Eiskristalle auf der Frontscheibe wurden größer. Inzwischen war es im Grunde egal, da man sowieso nichts sah. Sonya sah noch das Licht der Scheinwerfer im dunklen Eisnebel verschwinden. Weiter entfernt sah man die ersten Blitze des Sturms. Zum Glück war das Eisschiff gegen diese Blitze gerüstet und leitete sie, falls es getroffen wurde, einfach weiter in den eisigen Boden. Der Wind machte sich hörbar und Sonya merkte, dass das Eisschiff damit zu kämpfen hatte, die vorgegeben Richtung einzuhalten.

„Wenn es Anstalten macht, vom Boden abzuheben, werde ich wohl die Anger einsetzen müssen",

überlegte Sonya. Die Anker waren eine der letzten Methoden, die man in besonders extremen Stürmen einsetzen konnte. Dabei setzte man Haken vom Schiff aus, die sich im Bodeneis bis zu zwei Meter tief verankerten. In solchen Fällen bewährte es sich abermals, wenn das Eisschiff möglichst wohnlich eingerichtet war. Sonya hatte für solche Fälle vorgesorgt. Sie konnte locker eine Woche im Eisschiff überleben. Die Stürme waren allerdings unberechenbar. Sie konnten von einer Stunde bis Wochen anhalten. Letzteres kam zum Glück seltener vor. Das Eisschiff ruckelte immer heftiger und der Sturm pfiff am Fahrzeug vorbei. Sonya reduzierte ihre Geschwindigkeit, einerseits aus Vorsicht, andererseits, da sie kaum schneller vorankam. Der Gegenwind zwang sie schlussendlich zum Stillstand. Sonya schimpfte still vor sich hin, sie hätte es ahnen können. Wieder einmal hatte sie nicht auf die anderen gehört, wieder einmal musste sie ihren Sturkopf durchsetzen. Langsam merkte sie, dass eine enorme Kraft das Eisschiff bewegte. Sie hatte zwar ihre Bremsen angezogen, doch das Schiff bewegte sich nicht auf dem Boden, sondern vom Boden weg. Nur ein paar Zentimeter waren es wohl, doch das genügte Sonya. Sobald das Eisschiff wieder so Boden plumpste, setzte sie alle Maßnahmen für die Anker. Es war schon lange her, seitdem sie die Haken ausfahren musste. Insgesamt hatte ihr Eisschiff vier Haken, die das Fahrzeug am Boden halten sollten. Die Einstellungen auf ihrem Control-Board waren alle korrekt und Sonya gab den Code zur Freigabe ein. Sie erwartete das Surren und leichte Poltern der ausfahrenden Haken, aber sie hörte nichts. Nur der Wind pfiff weiter und immer wieder schlugen größere Eisbrocken, vom Wind hochgewirbelt, gegen das Eisschiff mit einem dumpfen Einschlagston.

„Vielleicht hab ich mich vertippt..."

Nochmal gab Sonya die Zahlenkombination ein. Nichts passierte. Das Eisschiff hob sich erneut etwas, diesmal etwas höher, wie Sonya empfand. Sie fluchte. Wie konnte das sein? Hatte sie nicht alle Systeme checken lassen? Sie war immer perfekt vorbereitet, solche Fehler passierten ihr nicht einfach. Der Motor summte still weiter vor sich hin, die Eiswolke vor ihr schien sich nochmal zu intensiveren. Die Scheibe fror immer weiter zu. Das Control-Board zeigte inzwischen eine Außentemperatur von -45 Grad an. Im Eisschiff sank die Temperatur ebenfalls, doch Sonya heizte nicht mehr ein. Falls sie in diesem Sturm festsitzen würde, schlimmstenfalls sogar vom Wind mehrmals herumgeschleudert und irgendwohin verstreut würde, müsste sie sich jegliche Energiereserve gut einteilen. Die Ressourcen des Siebendärmers, sowie auch ihre körperlichen Reserven. Sie versuchte es noch einmal mit dem Code für die Anker. Wieder nichts. Das Eisschiff ruckelte, es wurde immer unruhiger. Sonya versuchte ihre aufkeimende Panik unter Kontrolle zu bringen und schnallte sich ihren zweiten, robusteren Sicherheitsgurt an. Sie war an ihren Pilotensitz festgebunden und bereit für eine Schleuderfahrt. Tatsächlich bewegte sich das Schiff, trotz der angezogenen Bremsen nach vorne. Der Wind hatte wohl gedreht. Doch gleichzeitig hob sich das Eisschiff immer wieder auf der linken Seite. Der Navigator wechselte seine Farbe von Grün auf Orange. Sonya wich immer mehr von der eingeplanten Route ab. Sie konnte nur hoffen, dass der Sturm sie in keine Eisspalte wehte. Zumindest in keine zu Große, dann würde sie vom Eismeer geschluckt werden und könnte nur noch auf Rettung hoffen. In einer kleineren Spalte könnte sie sich vielleicht festsetzen, das wäre noch die beste Option, die sie hätte. Ein heftige Windböhe erfasste bei diesem Gedanken das Eisschiff. Als würde es nichts wiegen, hob sich das Eisschiff an. Dieses Mal überschlug sich Sonya. Alle Muskeln waren angespannt und sie konnte nur hoffen, dass auch die Waren im Ladungsraum, gut genug festgezurrt wurden. Ein paar Tassen, die noch in ihrer kleinen Spüle standen, flogen durch das innere ihrer Kabine, Bücher sprangen aus dem kleinen Regal, aber sonst geschah nichts Dramatisches. Sonya war an ihren Sitz festgezurrt und zählte die Sekunden. Das Eisschiff wurde noch etwas hin und her geruckelt, aber es bleib vorerst auf dem Kopf liegen. Das Pfeifen des Windes hielt an und die Scheiben des Fahrzeugs waren inzwischen komplett eingefroren. Es brachte auch nichts, die Heizung aufzudrehen, sie würden sowieso gleich wieder beschlagen. Erst wenn die Kälte unerträglich wird, konnte Sonya die Heizung aufdrehen. Jetzt musste noch gespart werden. Auch wenn, die Kälte bereits unter die drei Thermo-Schichten gekrochen ist, „das werde ich Plem sowas von unter die Nase reiben, dass mir die angeblich nicht nötige Schicht wohl das Leben gerettet hat – wenn ich das überlebe", noch konnte Sonya es etwas aushalten. Das Schiff ruckelte immer noch, doch eine weitere Drehung machte es nicht. Das Zittern begann, Sonyas Körper schaltete auf Energiereserven. Das wohl bekannte Gefühl der durchdringenden Kälte machte sich bemerkbar. Sie versuchte sich auf ihre noch lauwarmen Körperstellen zu konzentrieren und Ruhe zu bewahren. Doch die Lichter auf ihrem Control-Board stellten sich fast alle um und begann rot zu leuchten. Wenn der Wind das Schiff nicht noch einmal wendet und das Eisschiff weitergeschoben wird, kann es ohne Probleme in eine der nächsten Eisspalten fallen. Die rettenden Kufen und übergroßen Reifen hängen in der Luft. Mit ihnen gleitet das Schiff einfach über die Todesfallen drüber, doch in diesem umgekehrten Zustand..."Atmen, atmen, ganz ruhig, denk nicht dran, konzentriere dich auf deine innere Wärme".

Die Kälte und die immer größer werdende Panik vor der nächsten Eisspalte mit jedem Ruck, den das Schiff auf seinem Dach rutschend macht, brachten Sonya fast zur Verzweiflung. Sie zwang sich dazu den Arm zu heben und auf dem Control-Board die Heizung hochzufahren. Der Tank war zum Glück noch gut gefüllt.

„Zumindest die Minusgrade müssen aus dem Schiff raus", dachte sich Sonya. Recht schnell tat der Motor seine Arbeit. Die Temperatur wurde erträglicher. Doch das Ruckeln hielt an und der Wind pfiff weiter um das Gefährt herum. Die Wärme kehrte langsam in Sonyas Glieder zurück. Auch Wenn die Panik noch da war, merkte sie jetzt auch die Erschöpfung. Sie war sicher schon drei Stunden in dem Sturm und eine halbe Stunde fast kopfüber in ihrem Sitz. Das Blut floss ihr zu sehr in den Kopf. Auch wenn der Sturm keineswegs nachließ, löste Sonya die Gurte, mit denen sie sich festgeklemmt hatte. Sie musste die Position wechseln. Sie hangelte sich auf das Dach, dass in dieser Lage ihr Boden war. Immer wieder bewegte der Wind das Fahrzeug und auf wackligen Beinen versuchte Sonya eine sichere Position zu finden. Sie kramte aus dem umgekehrten Schrank die Schlafpolster und verteilte sie auf dem Boden. Sie ließ sich darin fallen und deckte sich zu. Das Eisschiff bewegte sich weiter, doch Sonya spürte die Erschöpfung. Egal wie gefährlich die aktuelle Situation war, es brachte ihr nichts, wenn sie die ganze Zeit in Habachtstellung verharrte und ihre Energiereserven aufbrauchte. Auch wenn es nur zehn Minuten waren, sie musste versuchen, sich zu regenerieren. Sie ließ sich auf die Matten fallen und schlief trotz des Ruckelns und Pfeifens ein.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 24, 2023 ⏰

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