Der Fluch

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Als der Zug der Reisenden am fünften Tage vollkommen erschöpft die Burg des Fürsten erreichte, war ihnen die Nachricht vom Überfall sowie der verbotenen Liebe vorausgeeilt. Außer sich vor Wut über den Ungehorsam seines Ritters und in bitterster Enttäuschung über den Prinzen, kannte der Fürst einzig den Gedanken daran, welche die härteste Strafe für beider Verrat wäre. Es durfte keine Gnade geben für ihren Frevel wider die Natur und den Willen der fürstlichen Väter. Der Tod, selbst der grausamste, kam ihm noch zu milde vor. So beriet er sich mit seinem Magier, von dem er wusste, dass diese große Macht besaß und grauenvolle Flüche beherrschte. Ihm versprach er als höchsten Lohn die Hand der verschmähten Prinzessin, für die ärgste Rache, zu der seine schwarze Kunst fähig wäre.

Und so geschah es.

Als sie durch das Tor der Burg ritten, fiel es Lear zuerst auf, dass eine höchst merkwürdige Stimmung herrschte. Kein Höfling und keine Dame befanden sich im Hof, um sie zu begrüßen. Nur eine Handvoll schaulustigen Pöbels harrte dort der Dinge und murrte hinter vorgehaltener Hand unverständliches Zeug, das alles andere als freundlich klang.

„Sie wissen es", sprach Lear seine Gedanken aus und Marisandros, der neben ihm ritt, nickte stumm. Ihm war die Anspannung überdeutlich anzumerken, war er es doch, der einen doppelten Verrat beging, an seinem Vater und der Braut. Sein anmutiges Gesicht wirkte wie versteinert bis auf ein nervöses Flattern seiner Lider.

„Noch kannst du zurück", flüsterte der Ritter ihm kaum vernehmlich zu. „Es war nur ein Kuss und ..."

„Das ist nicht, was du wünschst, Liebster. Und nicht, was ich fühle."

Um seine Worte zu bekräftigen, lächelte der junge Prinz, doch schon im nächsten Moment brach der Tumult los. Soldaten kamen herbei, griffen in die Zügel und rissen beide Männer grob von den Pferden. Verängstigt wieherten und tänzelten diese, Lear wurde von vier Männern hart gepackt, doch ließ er es zu, um seine Würde zu bewahren. Marisandros, als ein Jüngling von hohem Adel, wurde nur von einem an der Schulter gegriffen, aber fortgezogen. Auch er wehrte sich nicht. In ihm war noch Hoffnung, die Situation retten zu können. Als ein Prinz, der einen Mann liebte, taugte er nicht für das geplante Bündnis. Das musste dem Brautvater einleuchten. So brachte man sie zu der mächtigen Steintreppe am Eingang des Palas, wo sie der Fürst mit seinem Magier, umringt von seinem Hofstaat, erwartete. Ihre Haltung wie ihre Mienen kündeten nichts Gutes an.

„Mein hoher Herr und Fürst dieses Landes", begann Marisandros, als man ihn vor dem Mann zu Boden stieß, „hört mich an! Ich bitte Euch!"

Hasserfüllt jedoch war der Blick des Fürsten und er hob gebieterisch den Arm, worauf der Jüngling erneut gestoßen wurde, sodass er mit dem Gesicht auf die Erde schlug.

Lear reagierte mit wildem Ringen in den Armen, die ihn hielten. Er versuchte etwas zu sagen, doch einer der Soldaten hatte den Arm fest um seinen Hals gelegt , was ihm Stimme und Luft abdrückte.

Marisandros hob beherzt den Kopf, Blut rann ihm aus dem Mund, als er erneut sprach.

„Ihr tut großes Unrecht, denn so wie es ist, kann ich Eure Tochter nicht heiraten. Und daran trifft Euren guten Ritter keine Schuld."

Doch ebenso taub für das Flehen Marisandros zu seinen Füßen wie für die erstickten Schreie Lears, befahl der Fürst seinem Hexer, den Fluch zu erwirken. Den Rest ihres Lebens sollten die beiden in Gestalt wilder Tiere zubringen. Getrennt, verzweifelt und unbewusst ihrer zuvor menschlichen Art. Bei Tag und bei Nacht ausgeliefert den Gewalten der Natur, den Jägern der Menschen und ihren tierischen Instinkten.

Der Magier trat mit unheilvoller Gebärde vor, beschwor die Mächte des Bösen in unverständlicher Zunge und hob die Arme drohend in die Luft, als wolle er den Wind fangen. Dann stieß er plötzlich das Geheul eines Wolfes und den Schrei eines Raubvogels aus. So kam er erst zu Marisandros, schlug dem Wehrlosen mit der Faust auf die Brust und wiederholte dies bei dem Ritter. Beide sackten wie leblos zusammen.

Doch der böse Zauber gelang nicht vollständig.

Es mochte ihre Liebe gewesen sein, die sie zu einem Teil schützte oder ihre Unschuld, der Umstand, dass sie ihre Keuschheit bewahrt hatten. Solange sie nicht Gnade und den Verzicht auf die Hochzeit vom Fürsten erbitten konnten, hatten sie nur beieinander gelegen.

Als der Fluch zu wirken begann, durchfuhr es Marisandros mit schmerzhaftem Zucken und Zerren, er fiel zu Boden, krümmte sich, wand sich, schrumpfte vor aller Augen und erhob sich plötzlich aus seinen Kleidern hoch in die Lüfte in der gefiederten Gestalt einer Sperbereule. Mit einem lauten, durchdringenden Schrei flog er davon. Entsetzt und hilflos musste Lear dies mitansehen, aber er blieb menschlich und riss sich schließlich los, um dem Vogel nachzulaufen. Zuerst wollte der Fürst ihm die Wachen hinterherschicken, um ihn zu ergreifen und zu töten. Doch der Magier hielt ihn zurück.

„Keine Sorge, mein Herr und Gebieter", sprach er, „sie sind getroffen und vielleicht so noch mehr als in eurer Absicht lag."

Der Fürst war darum zufrieden, denn er verstand, dass es für Lear unendlich qualvoller sein musste, den Geliebten durch seine Schuld in der Gestalt der Eule zu wissen. So gebot der Rachsüchtige seinen Männern Einhalt.

Lear jedoch rannte so schnell er konnte, auch wenn seine Lungen brannten, und verlor den Vogel, der ängstlich immer weiterflog, nicht aus dem Blick. Er wollte zu Marisandros, ihn trösten, ihn beschützen.

Endlich, am späten Nachmittag, erreichten sie einen tiefen Wald und da setzte sich die Eule im Schatten der Bäume erschöpft auf einen Ast. Von dort schaute sie herab auf den Mann, der ihr gefolgt war. Es waren Marisandros Augen, die den Ritter erblickten und da erkannte er ihn. Sogleich segelte er herab, im selben Augenblick jedoch ging die Sonne unter und abermals setzte eine Verwandlung ein. Kaum hatte er den Waldboden unter seinen Füßen, da krümmte er sich, es zerrte und riss an ihm, bis er seine menschliche Gestalt zurückerhielt. Zuerst wollte er jubeln, sich seinem Geliebten in die Arme werfen, doch er erschrak. Am Fuß des Baumes, wo der atemlose Ritter zuvor gewesen war, kauerte nun ein großer, schwarzer Wolf, der ihn mit Lears Augen ansah.

Jetzt erkannten beide, welch grausames Schicksal ihnen bevorstand. Marisandros schlang seine Arme um den Hals des Wolfes und weinte heiße Tränen. Dieser stieß ein jammervolles Geheul aus, welches ihre Herzen erzittern ließ. So würde es von nun an sein: Am Tag war Lear ein Mann und Marisandros eine Sperbereule, des nachts verwandelten sie sich in einen Wolf und einen Jüngling. Niemals könnten sie so wie Liebende zusammen sein, auch wenn nichts sie trennen konnte.

Der Wolf und die Sperbereule - Gay RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt