„Bitte Adrian. Bitte, bitte, bitte." Große Augen schauten ihn an und ein Seufzen entkam ihm. Hervorragend. „Bitte, lass uns zusammen jagen gehen."
Langsam ging Adrian vor dem Jungen, der sein erstes Lebensjahrzehnt abgeschlossen hatte, auf die Knie, legte seine Hand auf dessen Kopf. Lian hatte dieselben schwarzen Haare wie er, dieselbe helle, perlmuttfarbene Haut, nur ihre Augen unterschieden sich. Seine Augenfarbe war ein kristallenes Blau, welches er von seiner Mutter geerbt hatte, während Lian schwarze Augen hatte.
„Wenn wir jagen, wirst du dich jedoch an die Regeln halten müssen. Das Tier darf nicht zu Schaden kommen und wenn ich den Rückzug beordere, wirst du es, ohne zu zögern, tun. Du wirst meinen Anweisungen Folge leisten, Lian, hast du das verstanden?"
Lian schaute ihn mit großen Augen an und ein freudiges Grinsen breitete sich auf dessen Gesicht aus. Die Spitzen seiner Fangzähne schauten über seine Unterlippe, die ihn als Vertreter ihrer Rasse kennzeichneten. Sie gehörten der Rasse der Vampire an.
Vor Jahrzehnten hatten die Menschen und Vampire nach einem jahrhundertelangen Krieg Frieden geschlossen und langsam erholten sie sich von den Folgen. Dennoch war die Gefahr nicht zu unterschätzen, vor allem für einen kleinen, unerfahrenen Vampir wie Lian. Adrian war mit seinen siebenundzwanzig Jahren ausgewachsen und ausgebildet, konnte sich selbst versorgen und verteidigen.
Viele Vampire hatten sich entschieden, sich von Tierblut zu ernähren, um keine unnötigen Probleme zu bekommen. Die Suche nach einem Wirt nannten sie „jagen" und genau das wollte Lian nun tun. Er wollte aktiv nach seiner Beute suchen, seine Instinkte erwachten langsam und traten an die Oberfläche.
Gemeinsam zogen sie widerstandsfähige Kleidung an und machten sich auf den Weg in den Wald vor dem Anwesen. Sie liefen tief in diesen, bis nur noch Bäume zu sehen waren. Adrian kannte diesen Wald wie seine Westentasche, kannte jeden Winkel, denn er war so oft durch diesen gerannt, dass er aufgehört hatte zu zählen. „Schließ die Augen und nimm die Witterung auf. Konzentriere dich auf Nase und Ohren. Hörst du es? Riechst du es?", leitete Adrian seinen Neffen an.
Lian schloss die Augen und konzentrierte sich, ließ seine Sinne schweifen. Nach einer Weile hörte er es – ein Pochen. Ein rhythmisches Geräusch, das nur eine Bedeutung hatte – ein Herzschlag. Langsam schlichen sie sich in die Richtung, versteckt im Schatten der Bäume. Vorsichtig schaute Lian an dem Baum vorbei, hinter dem er stand, und sah ein Reh. Es graste auf einer kleinen Fläche.
Adrian legte den Finger über seine Lippen, dann zeigte er auf das Reh. Sein Neffe nickte. Dann zeige mir deine Jagdfertigkeiten, Kleiner. Lian brachte sich in Stellung, spannte sich an. Gerade, als er zum Sprung ansetzen wollte, wurde er jedoch zur Seite gerissen. Ein Pfeil bohrte sich in den Baumstamm, direkt an die Stelle, an der Lian gestanden hatte.
Sofort war Adrian in Kampfstellung, tastete die Umgebung mit seinen Sinnen ab. Ein dunkelgekleidete Person trat aus dem Dickicht, in der Hand ein Schwert. Kein Zweifel – ein Jäger. Trotz des Friedensabkommens gab es immer noch Splittergruppen, die Vampire jagten und töteten. Sie wurden als Jäger bezeichnet. Wie kommt es, dass er so nah am Anwesen ist? Das ist Selbstmord. Sollte ein Jäger einen Vampir töten, so würde diesem dasselbe Schicksal widerfahren. Er würde vogelfrei und damit die Beute aller Vampire in dieser Umgebung werden.
Adrians Herz schlug schnell, als er die Augen des Menschen sah. Er ist wahnsinnig. Die Augen ließen keinen anderen Schluss zu. Dieser Mensch würde ohne Angst vor den Konsequenzen töten, das wusste er. „Lian, renn. Schau nicht zurück, egal was passiert. Lauf, bis du in Sicherheit bist", sagte er mit ruhiger Stimme zu seinem verängstigten Neffen.
„Ich werde keinen Blutsauger am Leben lassen", erklang die kalte Stimme des Jägers.
Verdammt, ich habe keine Waffe. „Lian. Jetzt", schrie Adrian und stürzte nach vorne. Sein Neffe begann zu rennen, während er den Jäger angriff. Ihm blieb keine andere Wahl, denn anders würde sein Neffe nicht entkommen.
Der Jäger holte mit dem Schwert aus und hieb nach ihm. Mit einem Ruck wich er zur Seite, das Schwert streifte ihn nur. Ein tödlicher Tanz begann, doch er war klar im Nachteil. Es dauerte nur einen Moment, ein Fehler, und dieser wurde bestraft. Das Schwert grub sich in seinen Unterbauch, nicht tief, doch die Wunde blutete stark und schwächte ihn. Er sollte es geschafft haben. Mit einer Hand presste Adrian sich auf die Wunde und keuchte. Er hatte seinem Neffen so viel Zeit verschafft, wie es ging, nun konnte er sich um sein Leben kümmern.
Mit einer schnellen Bewegung täuschte er links an und der Jäger folgte ihm. Gleichzeitig schoss er nach rechts, grub seine Hand in den Boden und warf die Erde dem Jäger direkt ins Gesicht. Für einen Moment war dieser geblendet und fuhr mit der Waffe um sich. Diesen nutzte Adrian und floh. Er rannte, während er weiterhin die Wunde abdrückte, bis er eine versteckte Höhle erreichte.
Schweratmend schob er sich durch den dünnen Spalt in diese und wurde von der Dunkelheit verschluckt. Nur ein leichter Lichtschimmer drang durch den versteckten Spalt, den er mit elf Jahren entdeckt hatte. Ein paar Schritte innerhalb, ließ er sich erschöpft zu Boden sinken. Durch ruhigeres Atmen versuchte er seinen Puls zu beruhigen, denn er wusste, dass er zu viel Blut verlor. Verdammt, ich muss mich nähren.
Er wurde ruhig, schloss die Augen. Schritte erklangen in der Nähe der Höhle. „Ich weiß, dass du hier bist, Blutsauger. Ich werde dich finden und dich deinem Schicksal zuführen", erklang die kalte Stimme, die ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Der Geruch von frischem Blut drang an seine Nase und sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Die Fangzähne verlängerten sich über seine Lippe, während sich seine Nasenflügel aufblähten. „Du riechst es, nicht wahr? Frisches Blut." Der Jäger hatte sich eine kleine Wunde zugefügt und Adrians Instinkte drohten ihn zu überwältigen. Nein. Wenn er die Höhle verließ, würde er sterben. Blut. Ich brauche...
Eine Hand legte sich über seinen Mund und er wurde ruckartig zurückgerissen. Wie?
„Beruhige dich, ich werde dir nichts tun. Komm mit mir", erklang eine männliche Stimme. Er spürte den warmen Körper hinter sich und ein sinnlicher Geruch drang in seine Nase. Für einen Moment beruhigten sich all seine Sinne.
Die Hand entfernte sich von seinem Mund und er lief mit dem Fremden rückwärts. Als sie tief genug in der Höhle waren, entzündete der Fremde ein Feuer und er sah zum ersten Mal den Mann, der ihn vor einem dummen Fehler bewahrt hatte.
Kastanienbraune Haare, eine leicht gebräunte Haut und dunkelbraune Augen. Der Mann vor ihm hatte ein Gesicht mit harten Kanten und dennoch war er attraktiv. Selbst die Narbe, die sich über seine linke Wange zog, tat diesem nichts ab. Dennoch...
„Jäger", flüsterte er.
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Obsession
Historia CortaVampire und Jäger - sie sind natürliche Feinde. Adrian, ein Vampir der königlichen Familie, geht mit seinem Neffen auf die Jagd nach Rehen. Dabei werden sie jedoch von Jägern angegriffen. Verletzt fliegt Adrian, der Jäger ihm auf den Fersen. Ausgere...