Kapitel 2

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Andrew blickte in den Spiegel, richtete sich den Kragen. Er sah aus wie ein gewöhnlicher Angestellter. Sein kurzes, dunkelblondes Haar hatte er kurz gekämmt, den Bart wegrasiert. Seine dunkelblauen Augen schauten prüfend sein Erscheinungsbild an und er nickte.

Heute Nacht hatte er wieder einen Schrei gehört. Er musste von dem jungen Mann stammen. Dieser war erst nachts zurückgekehrt. Andrew beobachtete ihn nun seit einer Woche und hatte keinen Zweifel, dass dieser Mann die Person auf dem Foto war. Dennoch hatte er nicht die Möglichkeit gehabt, mit ihm zu sprechen, immerhin konnte er nicht nachts einfach klingeln und Hallo sagen. Ihn abzupassen war schwierig, denn er kam immer zu einer unterschiedlichen Zeit.

Die Wohnung zu durchsuchen, war nicht so einfach möglich, doch ob man es glaubte oder nicht, die Tür war verriegelt. Dreifach, und zwar auch von innen. Der Vermieter hielt es mit der Sicherheit hoch. Sie aufzukriegen war nicht so schwer, doch wieder zu, das war etwas anderes. Die Schlüssel würde er erst in drei Tagen bekommen, also hatte er entschieden, dass er dem Jungen einfach bei der Arbeit begegnen würde. Vor zwei Tagen war er ihm gefolgt und die Bar gefunden, in der er vermutlich arbeitete. Heute Abend würde er ebenfalls dort sein.

Natürlich hätte er ihn sofort verhaften und befragen können, doch er hatte das Gefühl, dass hinter all dem mehr steckte. Sein Gefühl trog ihn nie, also würde er das Ganze auf seine Weise machen. Mit einem letzten Blick in den Spiegel verließ er die Wohnung und machte sich auf den Weg in den Club, in dem der junge Mann mit der Maske arbeitete.

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„Du musst heute an der Bar aushelfen, Mason."

Mason starrte zum Besitzer des Clubs, schüttelte den Kopf. Nein, ich will nicht. Dieser schaute ihn nur an. „Mason, George ist krank und ich brauche dort jemand. Nimm die Maske ab, binde die Haare zurück und zieh die Kleidung an." Keine Widerworte.

Auch wenn er es nicht wollte, er brauchte den Job. Doch seine Maske ablegen? Niemand würde Getränke von ihm annehmen, wenn er sie trug, das wusste er. Sein Atem ging schneller. Du kannst das. Du brauchst diesen Job. Mit zitternden Händen lief er in die Umkleide der Angestellten.

Das schwarze Hemd wanderte über seinen schlanken Oberkörper und er knöpfte es sich zu. Sein Hoodie legte er vorsichtig auf die Bank, dann legte er die Hände an seine Maske. Auch wenn es ihm widerstrebte, er zog sie ab, doch anstatt sie abzulegen, steckte er sie in seine Hosentasche. Auch wenn es ihm nicht viel gab, ein bisschen Sicherheit war es.

Jenna kam herein, war mit Bürste und Haargummi bewaffnet. „Dann wollen wir."

Ihr wollt, ich nicht. Doch die Frau zeigte keine Gnade, kämmte seine Haare zurück und band sie zu einem Pferdeschwanz. Keine Strähnen, hinter denen er sich verstecken konnte. „Mason, du siehst wirklich... wie kann man ein so hübsches Gesicht verstecken?" Jenna schüttelte den Kopf.

Mit unruhigem Blick schaute Mason in den Spiegel. Haselnussbraune Augen, helle Haut, eine Stupsnase und schmale Wangen. Er war nicht hübsch, auch wenn sie das so sah. Schnell wendete er den Blick ab und lief nach draußen hinter die Bar. Oft genug hatte er George zugesehen. Er und Jenna waren ein gutes Team. Zudem füllte Mason immer die Regale auf, also wusste er, wo was stand. Ich will nicht.

Um Acht öffneten sich die Türen und die ersten Gäste kamen. Mason befolgte die Befehle von Jenna, arbeite zügig und stumm. Solange er nicht mit den Leuten sprechen musste, war es in Ordnung. Die Blicke, die sie ihm zuwarfen, ließen ihn nervös werden. Du schaffst das. Nur noch sechs Stunden. Nicht wirklich motivierend.

Die Musik erfüllte den Club, die Lichter blinkten, der Alkoholpegel stieg. Jenna wehrte jegliche Anmachen ab, wofür Mason ihr mehr als dankbar war.

„Ich geh kurz eine rauchen. Halte die Stellung", sagte sie, als der Andrang abgebrochen war.

Nervös nickte Mason, fuhr wie so oft am Abend über die Maske in seiner Hosentasche. Er wollte sie anziehen.

Ein Mann mit dunkelblondem Haar in einer Jeans und hellblauem Hemd setzte sich an die Bar und schaute ihn an. „Ein Cuba Libre bitte", erklang die tiefe Stimme. Mason schaute auf, schaute in die dunkelblauen Augen, die ihm bis auf die Seele schauen zu schienen. Für einen Moment zuckte er zusammen, wendete sofort den Blick ab.

Sofort griff er nach der Cola und Rum. Seine Hände arbeiteten systematisch und er stellte das Getränk vor dem Mann auf den Tresen. „A-Acht Dollar", stotterte er.

Andrew schaute zu dem Barkeeper, hielt inne. Diese Stimme. „Wie viel?", fragte er, als habe er ihn nicht verstanden. Der junge Mann wiederholte es. Er legte ihm einen Schein hin und nahm das Wechselgeld an. Er ist es. Auch wenn alles dem widersprach, was er wusste.

Seine Augen sahen einen jungen Mann, mit lieblichem Gesicht, sorgfältig zurückgebundenen Haaren und einer schlanken Figur, die unter dem schwarzen Hemd zur Geltung kam. Ein schüchterner Ausdruck stand in dem Gesicht und die roséfarbenen Lippen hatte einen leichten Schwung. Dieser Mann hatte nichts mit der Hoodie-Masken-Gestalt, die die Wohnung verlassen hatte, gemeinsam. Doch die Stimme war es. Er hatte sie gehört, hatte sie sich eingeprägt.

Er ist... schön. Nie hatte er eine Person als verführerisch bezeichnet, doch dieser junge Mann war es. Das Antlitz eines Mörders. Doch dieser hatte eine Haltung und einen Ausdruck, die absolut nicht zu einem kaltblütigen Psychopathen passte, der seine Eltern ermordet hatte. Woran er jedoch keine Zweifel hatte, war, dass dieser der verschwundene Sohn war. Er hatte ein Bild, als er zwölf Jahre alt gewesen war, und diese Person war ohne Zweifel Mason O'Conner.

„Ich habe dich noch nie hier gesehen, bist du neu?", begann Andrew ein Gespräch.

Sofort sah er die Panik in dem Gesicht des jungen Mannes. „Ich... arbeite in der Küche", sagte dieser leise, schaute ihn nicht an.

Mason krallte sich ein Glas, das eigentlich sauber war, und begann es zu spülen. Sein Herz klopfte schnell. Seine Stimme. Der Mann vor ihm hatte ein männliches Gesicht und eine Stimme, die sein Herz schneller schlagen ließ. Das seine zarten Gefühle, die er hegte und pflegte, tief in sich einschloss, nur Männern galt, hatte er vor Jahren verstanden und dieser Mann... dieser Mann sprach all seine Sinne an.

Sein Blick war fokussiert auf das Glas, also sah er die Bewegung nicht. Eine Hand legte sich an seine Wange und er zuckte, schaute auf, schaute direkt in die dunkelblauen Augen. Wie hypnotisiert spürte er, wie der Daumen zu seiner Unterlippe wanderte und über sie fuhr. Sie begann zu prickeln. „Darf ich deinen Namen erfahren? Meiner lautet Andrew."

Andrew. Mason überlegte, doch seltsamerweise beruhigte ihn die Berührung. „Mason", flüsterte er.

Ein Lächeln wanderte auf Andrew Gesicht. Leider kam die andere Barkeeperin aus der Pause und der Moment brach ab. Für den Rest des Abends beobachtete Andrew Mason nachdenklich. Wenn er das spielt, dann ist er der beste Schauspieler, den Hollywood jemals anheuern könnte, oder ein größerer Psychopath als Hannibal Lecter. Seine Alarmglocken schlugen nicht an.

Hinter der MaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt