Zwei von der gleichen Sorte

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Ich würgte den Motor meines klapprigen roten Ford ab und zog meine beste Freundin Tam ungeduldig am Arm zum Hintereingang unserer Schule. Der Grund für diese Eile war 1,85m groß, blond und hieß Lion.

"Du hast nicht abgesperrt", erinnerte mich Tam.

"Wozu? Dieses Auto klaut niemand mehr."

Tam seufzte. "Da ist was dran. Du solltest trotzdem nochmal mit Lion reden. Oder willst du mir seinetwegen den Arm abreißen?"

"Vergiss das sofort, du Verräterin", knurrte ich sie an.

"Ich stehe immer hinter dir, Delia. Ich lasse mich sogar in meinen neuen Schuhen über den Parkplatz schleifen, obwohl es Quatsch ist, denn wir gehen alle in die gleiche Klasse. Aber ich glaube Lion. Er hat dich nicht betrogen", versuchte sie mich umzustimmen.

"Er hatte die Zunge im Hals von Janet. Genügt dir das nicht?"

"Nur vielleicht. Du hast ja selbst gesagt, dass du nicht sicher bist, was du gesehen hast. Gib dir einen Ruck, Delia. Ich sehe, wie du ihn anschmachtest. Es ist noch nicht zu spät, das zu klären."

"Du meinst wohl, wie ich ihn verachte. Kauf dir eine neue Brille, Tam", sagte ich zornig.

Unser Gespräch endete erst, als wir auf unseren Plätzen saßen und Mr Melton in die Klasse gerauscht kam. Er war der strengste Lehrer der Rutherford High. Ich vertiefte mich in meinen Gedankensalat. Vor drei Wochen hatte ich Lion abserviert, aber Tam hatte recht. Er fehlte mir. Wir waren unzertrennlich gewesen. Deshalb konnte ich es selbst nicht glauben, als ich ihn auf der Party eines Mitschülers mit Janet im Flur beim Rummachen erwischte. Ich muss zugeben, dass ich betrunken war und nicht genau weiß, was ich sah. Beide hatten ihre Klamotten an. Nichts war verrutscht. Aber Lions Hände lagen auf Janets Schultern und sie waren am Knutschen. So sah es für mich aus, obwohl Lion beteuerte, dass Janet ihn geküsst hatte und er sie nur loswerden wollte.

Jemand öffnete die Tür zum Klassenzimmer. Ein Typ mit verwuschelten dunkelblonden Haaren, weißem T-Shirt und sexy Jeans. Ich sah erschrocken, dass er eine ziemliche Ähnlichkeit mit Lion hatte, obwohl seine Haare dunkler als die meines Ex waren. Sie hatten fast dieselbe Figur und ihr Kleidungsstil war sich auch ähnlich. Ich wollte es nicht wahrhaben, aber dieser Neue hatte sogar Lions überhebliches Grinsen auf den Lippen.

"Sie sind zu spät", wies Mr Melton ihn zurecht.

"Ich bin neu", konterte der Neue und löste ein Flüstern bei meinen Mitschülen aus.

Ich war erst einmal nur verwirrt. Wir sollten einen neuen Mitschüler bekommen? Das Jahr hatte vor drei Wochen angefangen, kurz nachdem ich Lion abgeschossen hatte, dessen Anwesenheit im gleichen Zimmer wie ein Dorn im Auge für mich war. Zwei Männer von der gleichen Sorte hier zu haben, das war gar nicht gut.

"Name?", fragte Mr Melton.

"Lionel Sheradin."

Ein paar meiner Mitschüler kicherten. Lionel sah nicht nur Lion sehr ähnlich, sie hatten auch noch den gleichen Vornamen!

"Setzen. Sofort. Sie sind verwarnt."

Keiner machte einen weiteren Mucks. Aufsässigkeit bei Mr Melton war ein Todesurteil.

Lionel stellte sich unschuldig. Er konnte nicht wissen, wie viel Glück es war, bei Mr Melton mit einer Verwarnung davonzukommen. Geräuschvoll setzte er sich auf den einzigen freien Platz am Tisch neben mir. Als wäre das nicht schon genug Hohn gewesen, zwinkerte er mir von oben herab zu, um mir zu zeigen, dass er jetzt hier das Sagen hatte. Er war vom Scheitel bis zur Sohle selbstbewusst und würde sich von Mr Melton nicht unterkriegen lassen. Ich bevorzugte es meistens, gar nicht erst aufzufallen. Ich war weder beliebt noch unbeliebt. Bevor Lion mich betrog, hätte ich mit ihm zusammen Abschlussballkönigin und -König werden können. Jetzt waren die Lager gespalten. Ich fand Anerkennung bei seinen Gegnern, und Abneigung schlug mir von seinen Freunden entgegen, die auch meine Freunde gewesen waren, solange wir zusammen waren.

Ich sah unbeabsichtigt zu Lion, der auf der anderen Seite des Klassenzimmers am Fenster saß und gar nicht begeistert war, dass es noch einen wie ihn in unserem Raum gab. Ich empfand tatsächlich etwas Genugtuung. Seit dem Vorfall auf der Party versuchte er alles, um mich zurückzugewinnen. Er schickte mir Blumen, Einladungen zum Dinner in teure Restaurants und Konzertkarten für Harry Styles. Das hätte er früher nie getan. Aber woher sollte ich wissen, was ich gesehen hatte und was ich mir vielleicht nur einbildete, weil ich betrunken war?

Ich konnte das Ende des Unterrichts kaum erwarten und schleifte Tam zum Auto. "Was passiert jetzt mit den Karten für das Konzert? Es hat Lion echt Überwindung gekostet, sie zu kaufen, weißt du?", lag sie mir in den Ohren.

"Er kann es sich leisten", sagte ich kalt und ließ den Motor an. Anders als ich musste Lion nicht jeden Cent umdrehen.

Tam schüttele über meine Sturheit den Kopf. "So eine Verschwendung."

"Ich habe die Karten Nick gegeben", beschwichtigte ich sie. Nick war mein bester Freund und bis über beide Ohren in Harry Styles verknallt. Auf dieses Konzert zu gehen, war für ihn die Erfüllung eines Traumes.

Tam zuckte die Schulter. "Du könntest ..."

"Ich könnte nicht mit Nick auf das Konzert gehen. Die Karten sind von Lion", unterbrach ich sie laut.

"Hör zu", sagte Tam ruhig. "Lion weiß, dass er nicht immer ein vorbildlicher Freund war. Aber er würde bestimmt nicht mit Janet rummachen."

Ich umklammerte fest das Lenkrad. "Schlägst du dich jetzt etwa auf seine Seite?"

Tam sah mich so entsetzt an, als hätte ich sie getreten. "Das würde ich nie tun", rief sie geschockt.

Wie wahr. Aber bei Lion brannten meine Sicherungen völlig durch. Ein zweiter Mann von der gleichen Sorte fehlte mir gerade noch.

Wir fuhren zu Marcos Pizzeria und ich gönnte mir einen großen Erdbeermilchshake. Niemand machte so gute Shakes oder Pizzen wie Marco. Die Pizzeria gehörte Tams Familie und war ein Zufluchtsort für mich, seit ich zehn war. Meine Eltern hatten ein kleines Haus am Stadtrand. Es war alt und jeder Dollar, den sie verdienten, ging für Ausbesserungen drauf. Essen gehen war nicht drin, höchstens an meinem Geburtstag. Vor ein paar Jahren hatte ich angefangen, im Marco's zu jobben, was mein Taschengeld etwas aufbesserte.

Um 18 Uhr holte ich mit meinem klapprigen Ford meine kleine Schwester Kitty von einer Freundin ab. Sie war zwölf, aber der Name blieb an ihr haften wie ein Heftpflaster. In ihrem Alter hätte ich mich dafür in Grund und Boden geschämt. Ihr machte es dafür ganz und gar nichts aus, mit rosa Kätzchen in Verbindung gebracht zu werden. Sie führte ein unbeschwertes Leben und war alles andere als auf den Mund gefallen. Meine Trennung von Lion brachte mir große Minuspunkte bei ihr ein. Sie hing an ihm wie an einem Bruder und glaubte, dass ich ihn zu unrecht abserviert hatte. Ich hatte ihr aber auch nichts von der Knutscherei erzählt, die ich gesehen hatte.

Als ich nach dem Abendessen in meinem Zimmer war, sah ich eine Nachricht von Unbekannt auf dem Handy. Lionel hatte anscheinend schon Freunde gefunden, denn jemand hatte ihm meine Nummer gegeben. Er fragte, ob ich ihn morgen zur Schule mitnehmen könnte.

Meine Antwort lautete:

Warum fragst du das nicht deine neuen Freunde?

Er antwortete kurz danach:

Das tue ich. Wir werden hervorragende Freunde

Ich lachte auf und schrieb:

Eingebildet bist du wohl nicht.

Lionel antwortete:

Es liegt auf dem Weg.

Ich war sprachlos. Wer auch immer das ausgeplaudert hatte, durfte sich auf was gefasst machen. Lionel alleine wäre ja noch okay gewesen, wenn ich nicht erst das Drama mit Lion durchgehabt hätte. Aber auf beide zusammen war ich nicht vorbereitet.

Als ich so darüber nachdachte, fiel mir Lions wenig begeisterter Blick ein, als Lionel sich im Unterricht vorgestellt hatte. Vielleicht sollte ich einfach mitspielen und den Neuen kennenlernen.

Ich ließ ihn noch etwas warten, bevor ich ihm schrieb.

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😃 Das war das erste Kapitel meiner Story. Wie wird sich Delia schlagen, wenn sie mit zwei Männern klarkommen muss, die sich so ähnlich sind?
😉

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