Montage waren weird

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Ich hielt eisern durch bis zum Ende der Schicht. Anstatt Tam davon zu berichten, was mir passiert war, hatte ich vor, Nick ins Vertrauen zu ziehen. Ich wusste, dass die Riccis solche Vorkommnisse ernst nahmen. Aber ich war froh, dass niemand aus der Familie etwas mitbekommen hatte. Helfen konnten sie mir ohnehin nicht und rumjammern würde mich vielleicht den Job kosten. Die Riccis würden mich zwar nicht rauswerfen, aber wenn ich den Vorfall melden würde, hätte ich ständig das Gefühl, sie damit zu belasten. Es gab keine andere Wahl. Ich musste da durch, denn es tat mir gut, Teil der Familie zu sein. Außerdem brauchte ich das Geld.

Ich schrieb Mom, dass ich nicht heimkommen würde und bei Nick übernachten wollte. Um seine Eltern nicht zu wecken, rief ich ihn an, als ich vor der Haustüre stand. Nick öffnete mir. Er trug nur eine Boxershorts, aber das war ich gewohnt. Wir hatten nie Probleme damit, uns in Unterwäsche zu sehen. Wir kannten und vertrauten uns. Er sah mir auch sofort an, dass etwas nicht stimmte. Wir schlichen in die Küche und machten uns heiße Schokolade. Nachdem ich ihm alles erzählt hatte, gingen wir in sein Zimmer, krabbelten unter seine Bettdecke und schauten Stranger Things, um die Realität hinter uns zu lassen.

"Du weißt, dass es nicht deine Schuld ist", sagte er tröstend.

Das wusste ich. Aber ich fand es ungerecht, dass ich dem Kerl nicht in die Eier treten konnte, um mich zu revanchieren. Er hatte angefangen. Doch wenn ich mich gewehrt hätte, wäre ich die gewesen, die Probleme bekommen hätte. Ich hätte es erklären müssen, aber darauf hatte ich echt keinen Bock.

Ich schlief in Nicks Armen ein und verbrachte einen Großteil des Sonntags mit ihm. Wir waren erst gegen drei Uhr eingeschlafen und nicht vor 10 aus dem Bett gekommen. Als ich am Nachmittag nach Hause fuhr, ging es mir besser. Ich half Kitty mit den Hausaufgaben und erfuhr, dass sie für die Schule etwas über Primaten recherchieren musste. Mir kam eine Idee.

"Was hältst du davon, wenn wir nächste Woche einen Nachmittag in den Zoo gehen?"

Ich fand die Idee, einen Schwestern-Nachmittag zusammen zu verbringen, großartig. Wir gingen selten irgendwo hin. Um richtig was zu unternehmen, fehlte uns das Geld.

"Kommt Lion auch mit?"

"Ich glaube nicht. Wir sind nicht mehr zusammen", erinnerte ich sie.

"Wieso nicht?"

"Ich weiß nicht. Manchmal passen Menschen nicht zusammen."

Kitty zupfte an einer dunkelbraunen Haarsträhne. Sie hatte nie kapiert, warum ich Lion abserviert hatte. Eine richtige Erklärung, die Sinn in ihren Augen machte, war mir damals nicht eingefallen. Sie gab nicht auf. "Kann ich ihn fragen?"

Das war typisch Kitty. Ich musste mir was einfallen lassen. "Ich fände es schön, wenn wir beide einen Schwestern-Nachmittag machen. Ich glaube auch gar nicht, dass ich seine Nummer noch habe, Süße", sagte ich und hoffte, dass sie darauf eingehen würde.

"Aber Lion arbeitet im Zoo. Er kann uns hinter die Kulissen bringen", wandte Kitty clever ein.

Ich hatte total vergessen, dass Lion ehrenamtlich im Zoo half. Als ich ihn mit Janet erwischte, warf ich ihm an den Kopf, dass er das Ehrenamt nur inne hatte, um einen positiven Eintrag in seinen Lebenslauf zu bekommen. Das war natürlich nicht wahr. Lion war allgemein großzügig und mochte Tiere sehr.

"Meinetwegen. Wenn du ihn unbedingt dabeihaben willst, dann fragen wir ihn", gab ich klein bei. Meiner Schwester einen Wunsch abzuschlagen, war nicht eine meiner Stärken.

"Super! Ich frage ihn. Das wird wie früher!", trällerte Kitty begeistert.

"Ja", meinte ich mit dünner Stimme. Wir waren früher öfter mit ihm im Zoo gewesen und hatten viel Spaß gehabt. Lion hatte uns Eis und Zuckerwatte gekauft und wir hatten den ganzen Alltag einfach vergessen. "Du schreibst noch mit Lion?"

"Klar."

Ich hätte überrascht sein sollen. Aber ehrlich gesagt schockte mich der bevorstehende Nachmittag mit Lion mehr. Es wäre das erste Mal seit unserer Trennung, dass wir zusammen abhängen würden, denn wie ich Lion kannte, hätte Kitty ihn schon bei der Begrüßung um den Finger gewickelt. Wieso sollte er sich auch die Gelegenheit entgehen lassen, mit mir was zu unternehmen, wo er sich so ins Zeug gelegt hatte, mich zurückzugewinnen?

Die Autofahrt am Montag zur Schule begann halbwegs erträglich. Kitty war besonders gut drauf und unterhielt uns wieder einmal ganz alleine. Dann fing sie jedoch an, unser Vorhaben auszuplappern. Ich hatte gehofft, etwas früher mit ihr zum Zoo zu fahren. Dafür würde ich zwei Stunden schwänzen müssen, was ich Lionel nicht unter die Nase reiben wollte.

"Wir gehen morgen mit Lion in den Zoo. Er arbeitet da und zeigt uns alles. Hattet ihr schonmal eine Führung durch den Zoo?"

Meine Ohren klingelten. Was war nur in sie gefahren? War Lion jetzt auch noch Superheld?

"Wie ist das denn passiert?", fragte Tam deutlich verwirrt.

"Als ich sieben war", murmelte Lionel fast gleichzeitig hinter mir.

"Wir gehen nicht mit Lion. Lion hilft Kitty nur, was über Primaten zu recherchieren", sagte ich hastig.

"Du warst aber schon lange nicht mehr im Zoo", antwortete Kitty Lionel, als wäre ich nicht dabei. "Eigentlich könnt ihr beide ja auch mitkommen, nicht wahr, Tam?"

Ich fiel aus allen Wolken. Tolle Idee, Kitty.

"Engelchen, ich glaube nicht, dass Lionel an Primaten interessiert ist. Vielleicht an Motorrädern oder Segelbooten. Aber die gibt es im Zoo nicht. Und ich habe nicht mal Schuhe, die ich dafür anziehen könnte", versuchte Tam die Situation zu retten.

Hätte ich nicht am Steuer gesessen, wäre ich ihr dankbar um den Hals gefallen. Ich glaubte noch immer nicht, dass mir meine eigene Schwester derart in den Rücken fiel.

"Du bist ein schlaues Mädchen. Ich mag Segeljachten und ich mag Primaten", schaltete Lionel zu. "Ich komme gerne mit euch in den Zoo. Vielleicht können wir dann ja nächstes Mal alle zusammen zum Jachthafen und mit einem Boot raus fahren."

Ich hörte sein selbstsicheres Grinsen heraus und hätte ihm nur zu gerne eine gescheuert. Stattdessen tat ich, was ich konnte, um uns sicher zur Schule zu bringen und nicht versehentlich Lionel mit meinem Mathebuch zu erschlagen, weil er mich in den folgenden Stunden bis zum erlösenden Schlussgong wissend angrinste. Montage waren weird. Dieser besonders.

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Weird eben 😉

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