Kapitel 1- Als die Blüten im Wind wehten

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"Suzuki!" Erschrocken zucke ich zusammen und drehe mich mit einem geschmeidigen Schwung zur vertrauten Stimme um. Die Sonnenstrahlen umrahmen das blonde Mädchen, das mit einem breiten Grinsen auf mich zuzuhüpfen scheint, nur um abrupt innezuhalten, als ihre Fußspitzen millimetergenau vor den meinen landen. Ein leises Seufzen entweicht mir, eine Mischung aus Überraschung und resignierter Beklommenheit.„Ayumi, komm schon, was gibt's Neues?", provoziere ich sie mit einem Hauch von Ironie, während ich ihre Reaktion erwartungsvoll beobachte. In diesem Moment scheinen ihre Wangen wie knallrote Ballons anzuschwellen. Ihre zusammengezogenen Augenbrauen und ihr leises Nuscheln verraten, dass sie sich von meiner vorwurfsvollen Art getroffen fühlt. Ein boshaftes Grinsen huscht über mein Gesicht, als ich mich zu ihr hinunterbeuge. Ich spüre die Spannung zwischen uns, während ich herausfordernd in ihr Gesicht blicke und meine trockene Antwort formuliere: „Glaubst du wirklich, du kommst zu mir, ohne um einen Gefallen zu bitten?" In diesem Moment, geprägt von erwartungsvoller Stille, räuspert sie sich hastig und verschränkt ihre Arme vor der Brust. Sie weiß genau, dass ich sie auf frischer Tat ertappt habe – so wie jedes Mal, wenn sie wie ein hyperaktives Kaninchen auf mich zuspringt.

Ayumi war schon immer ein Wirbelwind, eine lebendige Erscheinung mit einer Familiengeschichte, die so komplex und verschlungen ist wie ein kunstvoll gefaltetes Origami-Meisterwerk. Sie ist zwei Klassen unter mir und die Tochter einer engen Freundin meiner Mutter. Sie trägt stets das Erbe ihrer Tempelfamilie auf den Schultern. So kommt es nur selten vor, dass sie Zeit für sich selbst oder schulische Angelegenheiten findet, und genau in diesem Moment, in dem sie erneut um meine Hilfe bettelt, wird es deutlich.

Mit einem lauten Klatschen schlägt sie plötzlich ihre Handflächen zusammen und presst sie fest aneinander. Das Geräusch durchdringt den Schulgang und lässt sofort alle Gespräche verstummen. Die Blicke der Umstehenden richten sich auf uns, als wären wir die Hauptfiguren in einem schulischen Drama. Unter der intensiven Aufmerksamkeit färbt sich Ayumis Gesicht knallrot, und ich spüre die Hitze ihrer Verlegenheit. Instinktiv reagiere ich und drücke ihre Handflächen schnell nach unten, um die aufgeregte Aufmerksamkeit abzuschwächen. Mit einem erleichterten Seufzen atme ich tief durch. „Schon gut, schon gut, ich werde dir helfen", antworte ich beinahe flehend, erleichtert darüber, dass die neugierigen Blicke sich nun von uns abwenden. Ein amüsiertes Lächeln spielt um meine Lippen, während ich meine Stimme senke und fortfahre: „Lass mich raten, ich soll nicht nur meine eigenen Verantwortlichkeiten im Schulrat übernehmen, sondern auch noch deine, weil du im Tempel aushelfen musst?" Meine Worte tragen eine Spur von Ironie, während ich versuche, die absurde Situation humorvoll zu beleuchten. Ein breites Grinsen breitet sich auf ihrem Gesicht aus, als sie meine Zustimmung erhält. „Ich verspreche dir, das wird wirklich das letzte Mal sein!", verkündet sie voller Überzeugung. Verärgert, aber dennoch mit einem Hauch von Belustigung, gebe ich ihr einen sanften Klaps auf den Kopf und schimpfe: „Das sagst du jedes Mal! Na los, geh schon." Sie reibt sich schmerzverzerrt den Kopf und kneift ein Auge zusammen, bevor wir beide in ein Grinsen ausbrechen. Winkend nimmt sie Abschied von mir. „Danke, Suzuki! Du bist die Beste!" Mit den Händen in die Taille gestemmt beobachte ich, wie sie den Korridor entlangläuft. Ihre blonden Haare glänzen wie flüssiges Gold, wenn die warmen Mittagssonnenstrahlen durch die Fenster in die Flure strömen. Es ist beinahe so, als ob sie ihr eigenes Sonnenlicht mit sich trägt, das sie strahlend umgibt. Dabei ist Ayumi eine wahrhaftige Japanerin, und ihre leuchtenden Haare sind in diesem Land der dunklen Haartöne eine wahre Rarität. Nicht umsonst wurde sie bereits mehrmals von einigen Lehrern dazu gedrängt, ihre Haare schwarz zu färben, um dem gängigen Standard zu entsprechen.

Sobald Ayumi hinter der nächsten Ecke aus meinem Sichtfeld verschwindet, drehe ich mich zufrieden mit einem breiten Schmunzeln im Gesicht von ihr weg. Tief in meinen Gedanken versunken, gehe ich ein paar wenige Schritte, als mir plötzlich mein Weg versperrt wird. Den Blick auf meine Füße gerichtet, tauchen wie aus dem Nichts zwei große, glänzende schwarze Schuhe genau gegenüber meinen auf. Überrascht richte ich meinen Kopf nach oben und blicke in die Augen eines Mannes. Seine Augen, wie bernsteinfarbene Juwelen, funkeln im Sonnenlicht und spiegeln den Glanz wider. Ein Hauch von Ayumis leuchtendem Haar, denke ich, während ich immer tiefer in diese Augen eintauche, als würden sie mich geradezu in ihren Bann ziehen wollen. Für einen kostbaren Moment herrscht Stille, während wir uns unverwandt ansehen. Die Welt um mich herum verschwindet, als würde ich alles um mich herum vergessen. „Wie hübsch", flüstere ich ganz leise vor mich hin, ohne wirklich darüber nachzudenken. Die Worte entweichen meinen Lippen, bevor ich die Kontrolle darüber habe. „Was?", fragt der Unbekannte verwirrt, seine Augen voller Fragezeichen. Plötzlich wird mir klar, dass meine Worte wohl nicht nur in meinem Kopf geblieben sind. Als wäre ich aus einem zauberhaften Traum gerissen, schüttle ich meinen Kopf hektisch und werde knallrot. Was um alles in der Welt mache ich hier eigentlich?! Vorsichtig versuche ich, an ihm vorbeizugehen und deute dabei unsicher hinter ihm. „Entschuldigung, ich muss nur vorbei", stammle ich und hoffe, dass er mich passieren lässt. Doch er versperrt weiterhin hartnäckig meinen Weg, seine Körperhaltung plötzlich stärker und unbeweglich. Ich schlucke nervös und spüre, wie sich ein Hauch von Unbehagen in der Luft ausbreitet.

Der Verhängnisvolle Schleier: Ayakashi AcademyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt