Kapitel 2 - Gefallene Flügel

6 3 0
                                    


堕ちた翼


„Du hast ihn gesehen?!" Wie eine Hyäne kreischt sie um mich herum, während ich versuche meine Bücher  in die Tasche zu packen. Ich möchte einfach nur noch weg und diesen mehr als merkwürdigen Tag aus meinem Gedächtnis eliminieren, doch Hana hat definitiv andere Pläne. Schon zum tausendsten Mal antworte ich ihr auf die selbe Frage. „Ja doch, wenn ich es dir doch sage!" Sie grinst schelmisch und wirft ihre braune Ledertasche über die Schulter, während sie mir zum Ausgang folgt. Spielerisch stößt sie mich an, und ihre Augen funkeln vor Neugier. „Sag, wie sah er aus? War er so atemberaubend, wie alle sagen?!" Ich räuspere mich, und meine Wangen werden knallrot, doch der Gedanke an seine monströse Verwandlung hält mich davon ab, mich in Fantasien zu verlieren. Ich muss mich getäuscht haben. Vielleicht leide ich unter Fieber und Halluzinationen. Schließlich war ich die Einzige, die es gesehen hat. Ich räuspere mich erneut und stelle mich ihren Fragen. „Er war definitiv nicht durchschnittlich." Enttäuscht über meine vage Antwort plustert sie ihre Wangen auf. Der ganze Trubel um diesen Mann scheint jeden Winkel der Schule zu durchdringen. Es verfolgt mich geradezu, daher kann ich nur froh sein, dass der Schultag endlich vorüber ist. „Ach ja? Nichts Aufregendes oder Außergewöhnliches an ihm?", fragt sie interessiert, doch ich schweige, während mein Blick aus dem Fenster schweift. Mein Blick verfängt sich am Gipfel des hohen Berges, der über unserer bescheidenen Stadt thront. Mit Absicht bleibe ich stehen, und Hana deutet begeistert auf meine Geste. Träumerisch lehnt sie sich ans Fensterbrett und blickt hinauf zum majestätischen Gebäude. „Eine Elite-Schule auf dem Berg, hm? Wie wunderbar es sein muss, von so vielen gutaussehenden Menschen umgeben zu sein, die auch noch mit Geld nur so um sich werfen!" „Ich stelle es mir eher langweilig und öde vor." Fliegt es aus mir heraus, und Hana schüttelt sofort den Kopf und betrachtet mich genauer. „Was ist denn dir heute über die Leber gelaufen? Schließlich hast du einen von ihnen gesehen", seufzt sie und legt ihren Kopf auf die Hände. „Verdammt, er muss unglaublich gut aussehen. Die sollen alle einfach übermenschlich attraktiv sein. Ich bin so neidisch." Ich stoße ein leises Stöhnen aus und setze meinen Weg den Gang entlang fort. „Hey, warte doch mal! Suzuki!" Sie ist wohl hoffnungslos verloren. Aber sie hat Recht. Dort oben am Hishikawa Berg befindet sich nichts außer eine Schule. Eine Elite Schule, zu der nur die Reichsten der Reichsten aufgenommen werden - die Crème de la Crème der Gesellschaft, handverlesen nach ihrem Reichtum und außergewöhnlichen akademischen Leistungen. Es ist eine Welt, die den meisten verborgen bleibt, und ein Blick auf eines dieser privilegierten Kinder ist wahrlich eine Seltenheit. Die einzigen Zeugen dieser Elite sind die teuren Wagen, die anmutig durch die Straßen gleiten, deren getönte Fensterscheiben neugierige Blicke abweisen. Gerüchte über ihre Existenz verbreiten sich wie ein Flüstern im Wind, während ihre Geheimnisse hinter den Mauern der Schule bewahrt werden. Sie werden als "Ayakashi" bezeichnet, übernatürliche Wesen, geisterhafte Präsenzen, die ihren wahren Gestalten verborgen bleiben, wie Phantome, die den Blicken der Sterblichen entfliehen.

Ich schenke Hana noch ein Lächeln, ehe wir vor dem Ausgang stehen und wir uns verabschieden. „Erzähl mir morgen alles, ja?", sagt sie aufgeregt und streckt ihre Hand hoch in den Himmel, um mir von der Ferne zu winken. „Mache ich", versichere ich ihr und erwidere ihre Geste. Mit diesen Worten trennen sich unsere Wege, und mein Kopf senkt sich grübelnd, während ich einen Stein vor meiner Fußspitze wegtrete. Besorgt lege ich mir die Hand auf die Stirn und überprüfe meine Temperatur, die sich jedoch nicht von meiner üblichen Körpertemperatur unterscheidet. Plötzlich stürmt eine Gruppe von Mädchen kreischend an mir vorbei. Sie rennen alle zurück zur Schule, begleitet von einem lauten Schrei, der meine Aufmerksamkeit erregt. Ich zucke zusammen und richte meinen Blick auf ein Mädchen, das auf ein Fenster der Schule zeigt. „Da ist er!" Verwundert folge ich ihrem Finger, über die von Efeu bedeckte Mauer und entdecke einen Mann mit einem Mädchen. Ich muss meine Augen fest zusammenkneifen, um näheres zu erkennen. Als meine Sicht schärfer wird, erkenne ich ihn. Der Mann von vorhin mit Ayumi. Hektische Gedanken wirbeln durch meinen Kopf. Die blutroten Augen, die mörderische Aura, als er sie ansah. Was, wenn ich mich nicht geirrt habe? Was, wenn das Ganze tatsächlich passiert ist? „Ayumi...", flüstere ich panisch vor mich hin. Ohne zu zögern, lasse ich alles stehen und liegen und stürme in die Schule. Die Treppen hinauf, den Korridor entlang, an dem Ort, wo ich die beiden gesehen habe. Mein Atem wird schneller, mein Herz rast vor Aufregung, während ich ohne Pause nach oben renne. Außer Atem biege ich um die Ecke des Treppenhauses, doch sie sind verschwunden. Panik steigt in mir auf, als ich mich hektisch umschaue. Der Raum ist in ein tiefes Orange getaucht, die Sonne verschwindet langsam am Horizont. Ich beruhige meinen Atem und atme tief ein, um neue Energie zu tanken. Plötzlich höre ich Schritte am Ende des Ganges und noch bevor ich begreifen kann, was geschieht, sehe ich die beiden in einen Raum gehen. „Nein, nicht!", rufe ich aus, doch die Tür fällt bereits ins Schloss. Mit letzter Kraft renne ich zu ihr und greife nach der Türklinke. Ich drücke sie herunter, doch sie gibt keinen Millimeter nach. „Ayumi, bist du da drin?", rufe ich, doch es kommt keine Antwort. Verzweifelt rüttele ich immer stärker an der hölzernen Tür. Sie scheint unüberwindbar zu sein. Es wirkt aussichtslos. Doch plötzlich ein Schrei, kurz und schrecklich, begleitet von einem schwarzen Schleier, der durch die Türschlitze dringt. Wie flammende Zungen suchen sie den Ausweg nach draußen. „Was zur Hölle...!" Ich weiche erschrocken zurück, doch zögere nicht lange und hämmere erneut gegen die Tür. „Verdammt!", fluche ich und drehe mich im Kreis. „Ein Schlüssel, Suzuki, wir brauchen einen Schlüssel!", murmle ich zu mir selbst, während ich den Gang nach Hinweisen absuche und zum nächsten Lehrerzimmer sprinte.

Der Verhängnisvolle Schleier: Ayakashi AcademyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt