Sie hatte es geschafft. Glücklich und laut schnaubend fiel sie auf die Knie. Dass sie dabei Lärm verursachte, störte sie nicht. Sie war viel zu erleichtert, um sich die Gefahren auszumalen, die sie damit heraufbeschwor.Langsam strich sie sich die schweißnassen Haare aus der Stirn. Den an ihr klebenden Zopf löste sie schnell auf, und ihr Nacken kühlte ab, als sie sich stattdessen eine Hochsteckfrisur drehte.
Dann stand sie auf.Die kühle Luft traf sie bis in die Knochen und sie war sich sicher, dass ihr hauchdünner Mantel sie nicht gegen die Kälte schützte. Mit einer Erkältung musste sie also rechnen, ein kleiner Preis für die Freiheit vor irgendeinem Clubbesitzer.
Leise lachte sie.
Wer war dieser Kerl? Was verbarg er hinter diesen goldenen Augen, die nicht einmal sie durschaute? Was wollte er von ihr? Sie konnte sich vorstellen, dass er einer albernen Gang angehörte und sich was auf seinen Titel als »Gauner« einbildete.Doch das beantwortete nicht sein Interesse an ihr.
Wer er auch war, nochmal wollte sie ihm nicht über den Weg laufen. Ohne es bemerkt zu haben, war sie in Gedanken versunken, weiter gegangen.Als sie sich dem Fest gegenüber sah, kletterte sie an den Ziegeln des letzten Hauses der Straße zu Boden.
Die Hände aufgeschürft, fluchte sie vor sich hin. Nach einem Wassereimer suchend, kniff sie die blauen Augen zusammen.Als sie einen Kanister fand, befreite sie die Wunden vom Dreck. Behutsam strich sie sich über die Handflächen und nach einiger Zeit war die Wunde abgekühlt.
Beruhigt setzte sie ihren Weg fort. Aus der Nähe war die laute Musik ohrenbetäubend, so spielte sie mit dem Gedanken doch nicht zu den Feierlichkeiten zu gehen. Doch ein Blick zurück in die dunkle Gasse ließ sie ihre Zweifel vergessen.
Sicher würde man sie bis zum Morgengrauen suchen. Sie war schon einmal dem Tod entkommen, nochmal wollte sie ihr Glück nicht herausfordern.
Also setzte sie ihren Weg fort, lautlos und vorsichtig nährte sie sich dem Feuer, dem Geruch nach brutzelndem Fleisch. Das Aroma der reifen Früchte schien jetzt schon ihren Gaumen zu streicheln. Verträumt schloss sie die Augen. Folgte dem verführerischen Duft.
Sie hatte Hunger. Den ganzen Tag schon nichts gegessen. Nun befahl ihr ihr Magen auf Essenssuche zu gehen. Und sie beugte sich dem Befehl.
Die Frau beschleunigte ihre Schritte.
Sie raste an Bäumen und Büschen vorbei, ihre Beine bewegten sich wie von selbst und sie war nach einigen Sekunden in Mitte der Feier.Im Schutz Ihres Kapuzenmantels, sah sie sich staunend um. Unzählige Menschen tummelten sich dort, alle bunt verkleidet.
Jedes Mal, als sie versuchte ihnen ins Gesicht zu sehen, sah sie verschwommen. Für sie waren die tanzenden Figuren, bloß Schatten und Farben.
Und plötzlich stieg in ihr das Verlangen auf, auch einer dieser Schatten und Farben zu werden.
Musik und Gelächter überall um sie herum.Der Rhythmus des Lebens.
Verführerisch, lockend.
Sie bewegte sich, ohne darüber nachzudenken. Überließ sich ganz und gar der Natur und ihren Sinnen. Mit fliegenden Röcken wirbelte sie fort, machte die Bekanntschaft anderer Schatten.Hier, bei dem knisternden Feuer und den glücklichen Menschen, dachte sie nicht an die Flucht, Gefahren, Hunger oder Feinde. Sie konnte vergessen. Während sie hier tanzte kannte sie nur Freude, Freiheit und Genuss.
Sie wollte für alle Ewigkeit hierbleiben, verloren in diesen wunderbaren Empfindungen. Vielleicht konnte sie es ja.
Nie wieder Kummer spüren. Sie müsste niemals wieder trauern.
Konnte einfach nur leben, nicht überleben.Minuten verstrichen, vielleicht Stunden, Tage?
Zeit hatte für sie keine Bedeutung mehr. Sie wiegte sich, schloss die Augen, lauschte dem Murmeln der Leute, die sie nicht sehen konnte.Jemand reichte ihr ein Glas Wein und ganz verloren, von ihrem Verstand verlassen, trank sie es in tiefen Schlucken.
Er schmeckte süß. In Honig getaucht. Sie trank noch mehr - um zu vergessen?
Oder weil sie es einfach wollte.Weil sie erst jetzt begann Dinge zu wollen. Sich nach Sachen zu sehnen, so wie sie sich vor der Zeit des Kriges und der Armut nach gewöhnlichen Dingen gesehnt hatte.
Jetzt fing sie an frei zu sein.
Dachte sie zumindest.Denn da war eine Erinnerung, tief verborgen, am äußersten Rand ihres Bewusstseins. Etwas stach ihr in den Arm, schmerzhaft und scharf, zog es sie aus ihrer Trance.
Sie riss die Augen auf.
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𝐒𝐡𝐚𝐝𝐨𝐰
Teen Fiction❝Take care love, stepping on people who have hearts won't give you yours back.❞ Castiel Blanz. Ein Schatten in der Nacht. "Blanz braucht für nichts einen Grund", diese Worte waren es, die man sich in den dunklen Gassen Nightbrook's zuflüsterte. Und...