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„Gib mir doch bitte die Zwiebeln," bat ich meine Mutter und mit einen skeptischen Stirnrunzeln reichte sie mir das Netz. Grinsend beobachtete ich, wie sie auf Sicherheitsabstand ging. Anders als ich war sie nicht gegen das typische Heulen gefeit, dass beim Zwiebel schneiden nun mal Standard war. Ertappt zwinkerte sie mir zu und schnappte sich die Pellkartoffeln, um sie von ihrer Schale zu befreien. Rasch schnitt ich die Zwiebeln in feine Streifen und warf sie in die Pfanne. Dort nahmen sie in der Butter schon bald eine schöne goldene Farbe an und nachdem ich den fein gehackten Knoblauch dazu gegeben hatte, breitete sich ein wundervoller Geruch in der Küche aus. Aus der Parkanlage, die die Hansons einen Garten nannten, erscholl derweil ein Klopfen und Hämmern, gefolgt von einem lauten Rumpeln und saftigem Gefluche. Mama und ich warfen uns kurz einen besorgten Blick zu, dann legte sie die letzte Kartoffel zu Seite und wischte sich die Hände an einem feuchten Tuch ab. „Ich schau mal kurz nach, ob da draußen jemand Hilfe braucht!" murmelte sie, dann lief sie eilig zu den Männern hinaus. Ich schüttelte grinsend den Kopf und gab das Zwiebel-Knofel Gemisch auf ein Stück Küchenpapier um es zu entfetten, schnitt im Anschluss die Kartoffeln in Scheiben, salzte sie und beträufelte sie mit Weißweinessig. Dann decke ich die Schale ab und stellte sie in die kühle Vorratskammer. Der heutige Tag fühlte sich merkwürdig an... Fast so, als wären wir wirklich eine Familie...

Nachdem wir der geballten Ladung Testosteron glaubhaft versichern konnten, dass unser Gefühlsausbruch eine positive Sache gewesen war, hatten wir beschlossen, dass wir heute grillen würden. Während die Männer sich um den riesigen BBQ Grill kümmerten, war meine Mutter in den nächsten Walmart gedüst, um Fleisch zu besorgen und ich hatte mit den Salaten angefangen. Vor zwei Jahren hatte ich ein Buch geschrieben, dessen Handlung in Deutschland spielte und da hatte ich mich zu Recherchezwecken mit der deutschen Küche befasst und mich dabei in diesen speziellen Kartoffelsalat verliebt. Rasch schnitt ich die Radieschen in feine Streifen und würfelte dann die Essiggurken.
„Brauchst du Hilfe?" fragte eine dunkle Stimme und schreckhaft wie ich nun mal war, zuckte ich zusammen und säbelte mir mit dem scharfen Messer in den Handballen. „Auuu...," jammerte ich leise und kläglich, Luke zischte leise und war mit einem Schritt bei mir. „Zeig mal," meinte er, griff behutsam zu und hielt schließlich meine Hand in der Spüle unter das fließende Wasser. Mir war etwas blümerant, ich konnte einfach nicht gut Blut sehen und meine Gesichtsfarbe nährte sich beeindruckend schnell einer frisch getünchten Wand an. Besorgt sahen Lukes blaue Augen zu mir und dann brüllte er über die Schulter: „DAD! ALICE..."

Kennt ihr das? Ihr seht etwas, von dem ihr WISST, dass es euch Alpträume bescheren wird und schaut dennoch hin? So erging es mir gerade. Obwohl ich merkte, dass sich alles zu drehen begann, das Blut in meinen Ohren rauschte und alles mit einem Male seltsam schwerelos zu werden schien, konnte ich meinen Fokus nicht von dem sich rasch rotfärbenden Wasser nehmen.
„..na? Kl..es? Sieh... an!"
Jemand stellte das Wasser ab und presste ein sauberes Geschirrtuch auf den Schnitt, da schien der Raum auf einmal zu tanzen als meine Beine wegknickten. Luke fing mich auf, dann wurde ich ihm aus den Armen genommen und Alex' braune besorgte Augen sahen auf mich runter. Schnell trug er mich ins Wohnzimmer und setzte sich mit mir auf dem Schoß aus das Sofa. Zärtlich streichelte er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, während er mich sachte hin und her wiegte.
„Juni? Schatz... Gott, was ist passiert?!" Meine Mama stürzte in den Raum, dicht gefolgt von Jason, der eine kleine Tasche unterm Arm trug. Luke kam ebenfalls hinzu und erklärte: „Ich fürchte, das war meine Schuld. Ich hab sie ungewollt erschreckt, sie ist mit dem Messer abgerutscht und na, ja..." Mutter seufzte leise und sagte: „Das ist nicht deine Schuld, Luke. Juni kann kein Blut sehen. Da bricht ihr Kreislauf jedesmal völlig zusammen..."
„Na, da hat sie dann wohl einmal im Monat so richtig Spaß?!" schnaubte Leander amüsiert. „Alter, Echt jetzt?" fauchte Alex und funkelte seinen Bruder genervt an. Betont unschuldig hob dieser die Hände und feixte: „Was denn? Ich sag doch nur, dass das dann während ihrer Tage problematisch wird!"
Jason knurrte: „Leander! Genug jetzt! Kümmere dich bitte draußen um den Grill!" Meine Mama tätschelte ihm beruhigend die Schulter und sagte: „Schon gut, Schatz. Es wird nur bei Verletzungen zum Problem... nicht bei den natürlichen Prozessen des Körpers."
„Muuuum!!!!" lallte ich und versuchte mich aus dem warmen sicheren Griff des ältesten Hanson Bruders zu befreien. „Was denn, Engel? Das ist ein völlig natürlicher Vorgang."
Aaargh!!!
Was hatte die Frau vor? Sollte ich hier an Peinlichkeit sterben? Denn so wahnsinnig weit war ich von einem Tod aufgrund von tiefer Scham nicht mehr entfernt. Jason schmunzelte leicht und dann streckte er seine Hand aus.
„Darf ich mal sehen?" fragte er leise und widerstrebend ließ ich ihn das Geschirrtuch von dem Schnitt nehmen. Alex' große, warme, Hand drehte sanft meinen Kopf, so dass ich nicht wie eine Geisteskranke auf die Wunde starren konnte. Meine Mama hielt in ihrem Vortrag über die natürlichen Vorgänge eines weiblichen Körpers inne und zog scharf die Luft ein. Jason seufzte und sagte mit einem entschuldigenden Ton: „Das ist ziemlich tief, Juna. Ich fürchte, das muss ich nähen..."

Japp... so was von nicht!
Erstaunlich schnell kam mein Kreislauf wieder in Schwung und verzweifelt wand ich mich aus dem Bärengriff des Soldaten.
Nähen?
Nope!
Mit absoluter Sicherheit nicht!
Das bedeutete ein langes spitzes Nadelding, dass in meine Haut... vor Ekel kotzte ich fast auf den schicken grauen Teppich. Ja, ja... ich weiß. Ich stellte mich gerade echt wie ein bockiges Kleinkind auf Süßigkeiten Entzug an, doch das kümmerte mich nicht die Bohne! Ich stolperte rückwärts, versuchte verzweifelt (und vergebens) sowohl meine Umgebung wie auch die Folterknechte vor mir im Auge zu behalten und scheiterte kläglich.
Selbstverständlich materialisierte sich das Beistelltischchen hinter mir aus den völligen Nichts! Denn - darauf verwette ich meine letzte Schokolade von Hersheys - vor zwei Sekunden war da noch freie Fläche gewesen... Toll... jetzt hatte die Bude natürlich auch noch einen Schloßgeist und ich musste mich mit Salz und Eisen bewaffnen! Man kann ja sagen, was man will, aber hin und wieder bildet Fernsehen und dank meiner exzessiven Treue zu der Serie ‚Supernatural' wusste ich, wie Frau mit paranormalen Erscheinungen umzugehen hatte!
Bevor ich mir durch den Fall die Knüpfung des Teppichs im Detail mal genauer ansehen konnte, packten zwei starke Arme zu und hoben mich hoch. „Genug mit dem Blödsinn, Juna. Das muss gemacht werden... Dad ist auch vorsichtig! Versprochen!!" Leise schimpfend trug Alex mich zum Sofa zurück und setzte sich neben meine Mama. Ruhig und bestimmt nahm sie meine verletzte Hand und hielt sie für Jason fest.
WO ZUM GEIER HATTEN DIE BEIDEN SO SCHNELL LATEX HANDSCHUHE HERBEKOMMEN?
In meiner Panik bekam ich den Blick gar nicht mit, den die Anwesenden untereinander wechselten. Ich bemerkte nicht, wie Alex grinste, mein Gesicht in beide Hände nahm und dann....

... Goooooott, seine Lippen waren so warm und weich! Und seine Zunge fühlte sich einfach fantastisch in meinem Mund an...

... „So, fertig! War doch gar nicht so schlimm, oder Juna?"
Hä? Moment... Jason war schon fertig? Echt jetzt? Perplex öffnete ich meine Augen, ignorierte die teils erheiterten, teils entgeisterten Blicke um mich herum und sah gerade noch, wie der breit grinsende Papa Hanson mir einen Gazeverband anlegte.
„Siehst du, Kleines? Ich hab's dir doch versprochen," flüsterte Alex' Stimme an meinem Ohr. Kurz berührten mich seine Lippen an der empfindlichen Stelle darunter, dann stellte er mich mit einer entschlossenen Bewegung wieder auf die Beine.
In meine Verwirrung platze Leander und krähte zufrieden: „Na, fein... die Prinzessin ist wieder zusammen geflickt und der Grill steht endlich. Hab ich erwähnt, dass ich am verhungern bin?"
Ausnahmsweise danke ich dem Herrn für die Existenz der Nervensäge und wuselte in die Küche um den Kartoffelsalat zu vollenden. So konnte ich zumindest für ein paar Minuten die Ruhe nutzen um zu verarbeiten, das ich vor versammelter Mannschaft ganze 10 Minuten mit Alex rumgeknutscht hatte....

Liebe auf Umwegen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt