Wer der Gier nachgibt, kann im Herzen keine Ruhe finden

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Die Sonne stand tief am Horizont und ihr sanftes Licht blieb bereits an den Zinnen der Stadtmauern hängen. Die Gassen dahinter hüllten sich in lange Schatten. Nur an den Stadttoren wurde dem Abendlicht der Zutritt noch gewehrt. Dort fiel es geballt und in seiner ganzen Pracht herein und brachte den Staub auf den Straßen zum Glänzen, dass es schien, als wären sie mit goldenen Teppichen ausgelegt.

Fast andächtig folgte ich dem verlockenden Glanz, schlenderte durch die Rue-Quosur dem Yasaman Stadttor entgegen. In den Läden, die sich wie bunte Perlen an einer Halskette aneinanderreihten, packten die Handwerker mit reichlich Palaver und gemächlichen Handgriffen ihr Werkzeug zusammen und schlossen ihre Geschäfte. Es roch nach dem Schweiß eines anstrengenden Tages und schwarzem Tee. Unser Viertel war zwar recht schmucklos und einfach, doch schöner könnte es zu dieser Stunde im Palast des Sultans auch nicht sein.

Meine Füße waren platt vom Laufen, meine Arme schwer vom Tragen. Ich hatte die Wäsche zum Waschhaus geschleppt und per Hand geschrubbt, in der Mittagshitze zum Trocknen aufgehängt; sie am Nachmittag geplättet und vorhin erst ordentlich zusammengefaltet. Während sie trocknete, hatte ich den Markt erkundet - auf der erfolglosen Suche nach Pfeffer.

Wenn ich mich beeilte, könnte ich zum Abendruf des Muezzins zu Hause sein und mir Raeds Fragerei ersparen und dennoch ...

Meine Füße setzten ihren Weg fort - genau in die falsche Richtung. Angelockt und fasziniert von der Schönheit des Augenblicks. Warum ins Dunkel gehen, wenn es im Licht doch so viel schöner ist?

Der Korb mit der Wäsche drückte gegen meine Hüfte und schnitt mir in die Ellenbogenbeuge und doch wollte ich nirgendwo anders sein. Der reiche Duft von Rosen wehte aus ihm hervor und mir direkt in die Nase. Basima ist ein echtes Goldstück! Sie hatte mich auf dem Markt entdeckt und mir ein Stück Rosenseife zugesteckt. „Schöne Düfte sind Salben für die Seele", hatte sie verkündet und es mir in die Rocktasche geschoben, bevor ich protestieren konnte. Jetzt lag es im Korb zwischen der gewaschenen Wäsche, damit diese dessen Duft annahm. Mutter und Halim würden es lieben und Raed? Nun ja, ich war nicht sicher, ob er es überhaupt bemerken würde.

Mit einem warmen Gefühl im Bauch erreichte ich das Yasaman Tor. Und wie als hätte sie nur auf mich gewartet, küsste mich die Magie des Moments. Die goldenen Abendstrahlen nahmen mich in Empfang, hüllten mich in Tücher aus Licht und verwandelten mich in eine Prinzessin. Mein Baumwollkleid glänzte seiden und auf meinen Haaren tanzten bronzene Akzente hell wie hundert Abendsterne.

Meine Sandalen glänzten golden und waren doch so leicht wie Federn und statt der Wäsche hielt ich einen Strauß duftender Rosen unter dem Arm. Herrlich!

Mit einem entzückten Seufzen und trippelnden Schritten passierte ich das Tor, die Lider vor Wonne fast geschlossen. Doch plötzlich blieben meine Zehen im Staub hängen und meine Augen wurden weit wie das Stadttor, das ich soeben passiert hatte; vor mir entspann sich ein Zauber, der alles übertraf:

Der Sultanspalast erstrahlte in einer Pracht, für die nur Allah die passenden Worte finden könnte. Seine Mauern schimmerten in der Farbe und Intensität von Perlmutt. Und seine goldenen Türme, Minarette und Dächer schienen die Glut des Sonnenballs über den Tag in sich aufgesogen zu haben. Sie glühten in einem so feurigen Orange, dass es schien, als wären lauter kleine Sonnen im Palast aufgegangen.

Es blendete so stark, dass ich die Augen zusammenkniff.
Sogar die Sonne erweist unserem Sultan die Ehre, bevor sie untergeht. Es war überwältigend.

Halim bezeichnete den Fatih Palast oft als riesige Schatztruhe, doch in diesem Moment glaubte ich, dass er irrte; der Palast selbst ist der Schatz.

Seine Mauern zogen mich magisch an. Auf der breiten Straße, die zum Eingang führt, liefen Wachmänner Patrouille und musterten mich mit wachsamen Blicken. Manche zwinkerten mir zu, sodass ich meinen Kopf senkte, mich klein machte und flink wie eine Eidechse an ihnen vorbei huschte. Doch da keiner von ihnen ein Mädchen mit Wäschekorb als Gefahr einstufte und es ihre oberste Pflicht war, sich nicht ablenken zu lassen, verfolgten ihre Blicke mich nicht.

Auch wenn ich es vermied, sie anzusehen, so musste ich zugeben, dass sie mir gefielen: In ihren tiefblauen Pluderhosen und weißen Hemden, über denen sie die gelben Schärpen wie Auszeichnungen trugen. Die Griffe ihrer Dolche und Schwerter hoben sich von ihrer Kleidung ab wie reichverzierte Knöpfe.

Raed würde in dieser Uniform umwerfend aussehen! Ach, wenn er doch hier stehen könnte! Er wünschte sich nichts sehnlicher. Dreimal hatte er es versucht und dreimal wurde er abgelehnt, und jedes Mal sind seine Brauen dichter zusammengerückt, seine Lippen schmaler und die Muskulatur an seinem Kiefer härter geworden. Mit jeder Ablehnung hatte sich das Antlitz meines Bruders verfinstert.

Ob er es dieses Jahr erneut versucht?

Nichts wünschte ich ihm sehnlicher als Erfolg. Er wäre der geborene Wachmann: Groß und stark, mit wachsamen Augen, denen nichts entgeht. Und auch wenn er es zu Hause nicht mehr zeigte, so erinnerte ich mich noch gut an seine Disziplin und sein Pflichtbewusstsein, das früher sein Handeln bestimmt, seine Schultern gestrafft und seine Brust gehoben hatte.

Er hatte sich verändert. Sein Schneid war sein Gram. Ein hochexplosives Gemisch aus Bitterkeit und Zorn, dass seine Muskeln anspannte. Und leider war meist ich diejenige, an der sich die Spannung entlud.

Eine weitere Ablehnung und ich würde ihn nicht mehr wiedererkennen. Er würde es nicht verkraften - und ich auch nicht.

Der Wüstenwind fegte über die Straße und wehte spitzkantige Körnchen in mein Gesicht. Meine Kehle war trocken.

Ich zog das Tuch, das ich für Raeds Geschmack immer viel zu locker auf dem Kopf trug, tiefer ins Gesicht und stoppte. In dem Perlmutt der Palastmauer schimmerte eine Kälte, die mir vorher nicht aufgefallen war und die mich nun fernhielt. Zeit umzukehren. Ich seufzte leise. Ohne recht zu wissen warum, war ich enttäuscht. Mein Blick fiel über die Schulter zurück auf die leicht ansteigende, schnurgerade Palaststraße. Und da entdeckte ich ihn. Den Pfad. Er zweigte rechts ab, schlängelte sich zwischen Sträuchern und niedrigen Palmen hindurch und war so schmal, dass ich den Eindruck bekam, ein Wüstenfuchs hätte ihn mit seinen kleinen Pfoten vorgezeichnet.

Ich packte meinen Korb fester und schlenderte betont langsam die Straße hinab. Die Wachen waren noch entfernt und als ich sicher war, dass niemand mich beachtete, bog ich ab. 

 Wenn ein Tier hier lang gelaufen war, warum dann nicht auch ich? Wie ein Kurier mit wichtiger Fracht zwängte ich mich mit meinem Korb zwischen kleinen Palmen hindurch, die über und über voll mit Datteln hingen. Der Sultan schwamm im Reichtum! All diese prächtigen Datteln gehörten bereits zum Eigentum des Palastes, jede einzelne sah aus wie aus Honig gegossen.

Mein Magen grummelte, als die voll beladenen Fruchtstände meine Schultern und Wangen striffen. Doch auch wenn sie direkt vor meiner Nase hingen, würde ich mich nicht daran vergreifen. Denn wer der Gier nachgibt, kann im Herzen niemals Ruhe finden.

Zu spät bemerkte ich den Fehler: Denn wenn man mich hier entdeckte, würde man mich zwangsläufig für eine Diebin halten! Alarmiert, warf ich einen Blick nach hinten: Doch von den Wachen und der Prachtstraße war nichts mehr zu sehen.

Und doch kam mir der Korb nun unglaublich schwer vor. Er rutschte mir fast aus den Händen und ich beeilte mich, ihn abzustellen. Mit den Fingern glaubte ich zwei Maulbeerblätter von der Wäsche und strich mir dann das Kopftuch zurück. Ich schwitzte, trotz des üpiggen Blätterdachs, in dem ich  mich verbarg. Die Luft war warm und feucht. Anscheinend hatte der Sultan sogar genug Geld die Pflanzen vor  seinem Palast zu bewässern. Ich sollte schleunigst umkehren und heim gehen, doch plötzlich waren meine Beine seltsam schwach.

Ein Krächzen ließ mich zucken. Auf einer Palme nahe der Mauer saß eine Blauracke. Sie zeterte und wippte mit dem Kopf. Immer wieder. Fast schien es so, als wollte sie mir etwas mitteilen. Ich ließ den Korb stehen und trat zwischen die Gewächse. Die Erde schmatzte unter meinen dünnen Sohlen und ich bahnte mir einen Weg zu der Palme, in deren Krone der Vogel saß. Verrückt! Bei der Krone des Sultans! Sie vollzog einen sachten Bogen bis hinauf zur Mauerkante und glich mit ihrem eingezackten Stamm beinah einer Treppe.

Ich starrte zu dem Vogel hinauf und schüttelte den Kopf. Ein aufgebrachtes Krähen bekam ich als Antwort.

Doch die Idee, die zunächst so zart war wie die Flaumenfedern eines Jungvogels, flatterte wild in meinem Kopf.

In den Gärten des Sultans wächst Pfeffer!



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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 18 ⏰

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