... kennt man nicht

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Mit schwankenden Beinen glitt Evelina von dem Drachen herab. Ihre Knie wie weiche Watte, ihr Kopf wie mit Sturm zwischen den Ohren. Hinter ihr rauschte die Verformung der Kreatur und als die Prinzessin in ihrem Stand versagte, fingen lange Finger ihren schmalen Körper auf. Weich sank sie an die Brust der Kriegerin. Ein fremder Herzschlag hallte ihr entgegen. Prallte gegen den holpernden Galopp ihres eigenen.

Rasch stieß sie sich ab und ließ die Finger durch vom Wind verwehte Locken streichen. Ein krummer Turm erhob sich zwischen hohen Bäumen bei der Lichtung, auf der sie gelandet waren. Das sorgsam ausgewählte Versteck einer Prinzessin, die plante sich in theatralischem Leid an die fein gehauene Brüstung des Balkons ganz oben zu lehnen.

„Du hast eine eigenartige Art einen Verehrer zu finden", meinte Zephyrin und bewegte sich in leichtem, federndem Schritt an ihrem Opfer dramatischer Entführung vorbei, auf das still wartende Gebäude zu.

Evelina richtete das in dichtem Wald so unpassend elegante Kleid aus sanftem rosarot und stemmte eine Hand in die Seite, um mit der anderen zu gestikulieren.

„Habt Ihr nie auch nur eine romantische Geschichte gelesen? Das wilde Schlagen zweier Herzen, die im Auge der Gefahr zueinander finden und sich im Blick des anderen verlieren!" Seufzend presste die Prinzessin die Hände gegen die Brust. Dann trat sie an dem Drachen vorbei und zog an der Tür. Es klemmte und ihr verträumtes Hauchen wurde zu ungeduldigem Schnauben, während sie rüttelnd den Messinggriff bearbeitete.

Zephyrin lehnte sich an ihr vorbei. Ihre hohe Gestalt warf einen verschlingenden Schatten über die kleinere. Die Prinzessin erstarrte, klammerte sich an den Griff wie an einen Anker auf wild wirbelnder See.

„Diese Art von Geschichten nicht, nein. Aber wenn ich meine Freiheit dafür bekomme, werde ich mit Freuden ein boshafter Drache für dich sein." Ihre Stimme glitt in warmem Atem gegen Evelinas Ohr. Ein leises Knistern säuselte durch die Luft, als würde sie unsichtbare Flammen in der Kehle tragen. „Sag mir also Prinzessin, wenn du wünschst, dass ich dich in Fesseln lege, um dir die Gefahr meines Wesens noch deutlicher zur Verfügung zu stellen. Für diese erhoffte, kleine Romanze."

Dann, mit einem Ruck, stieß sie die Tür auf und ließ die in tiefroter Verlegenheit gefangene Prinzessin überrascht hineinstolpern. Rauschend zog der Drache in den Turm. Ausstaffiert mit Möbeln, Kissen, Wandteppichen und vorbereitetem Apfelkuchen in verschiedenen Ausführungen, für die nächsten zwei Wochen. Erst danach hätten sie ein Problem. Doch der Held sollte nicht allzu lange brauchen die Prinzessin zu retten. Sicherlich war Daeniel bereits dabei die Hinweise zu platzieren, so wie es ausgemacht gewesen war.

Damit folgte eine Zeit des Wartens. Der einzig wirklich besorgniserregende Teil ihres Plans, wie Evelina angenommen hatte. Selbst vor der Entführung hatte sie sich nicht gefürchtet. Tatsächlich war ihr der Gedanke zu fliegen, fast ebenso verlockend erschienen wie der, bald schon verliebt zu sein in einen stattlichen Helden. Doch bis es so weit wäre, musste sie zumindest ein paar Tage mit dem Drachen selbst verbringen. Eine Qual, die – wie sich bald herausstellte – gar nicht so quälend war.

Ein Drache war, so schien es, ein hervorragender Gesprächspartner. Ganz besonders Zephyrine, die sich nur zu gut darauf verstand all ihre Erlebnisse und all die Orte, die sie bereits gesehen hatte, in wunderschöne Worte zu weben. Ihre Geschichten besaßen so viel Leben und faszinierende Spannung, dass Evelina schnell die Bücher vergaß, die sie eigentlich zur Unterhaltung mit sich genommen hatte. Eben jene Bücher, die sie dazu veranlasst hatten, eben hier zu landen, verstaubten verlassen in den Regalen. Stattdessen erfüllte amüsiertes Lachen, angeregtes Sprechen und freches Necken den Turm, der sicherlich kein Ort von Angst und Trauer war.

Am siebten Tag stand Evelina an dem kleinen, leicht zur Seite geneigten Balkon. Wind bewegte die springenden Locken auf ihrem Kopf, doch an diesem Tag trippelte sie nicht durch die runden Räume, die geschwungenen Treppengänge oder die kleine Wiese vor der Tür, wie ein aufgedrehter in Bonbonfarben gehüllter Wirbel. Sie stützte die Ellbogen auf dem alten Geländer ab und blickte in die Ferne. Nicht in wehmütiger Sehnsucht, wartend auf den, der kommen sollte, sondern denkend, versunken und... zweifelnd.

Erst als der Drache sich neben sie gesellte und die langen, feingliedrigen Finger neben ihr ablegte, geriet Bewegung in ihren Leib und Klang in ihre Stimme.

„Seid Ihr gar nicht darauf aus zu Euren Kameraden zurückzukehren, Zephyrin?"

„Du willst mich bereits los werden Prinzessin?"

„Nein..." Nervös senkte Evelina den Blick und verknotete die Finger ineinander. „Nein, aber ich hatte gedacht... ich hatte erwartet, dass..."

Sie verlor die Stimme wieder und der Drache übernahm das Sprechen für sie. Sacht hob Zephyrin die Hand um ihre Finger nicht mehr länger über festen Stein, sondern über die weiche, Wange des Menschen streichen zu lassen. Zuneigung zwitscherte wie ein kleiner Vogel in der Luft.

„Erwartungen sind manchmal nicht mehr als Rauch der bedrohlich wirkt, wenn er auf einen zukommt aber sich auflöst, sobald man hineinbläst."

„Für Drachen vielleicht", schmollte Evelina und biss sich auf die Unterlippe. Ihr Kopf neigte sich der Berührung entgegen noch ehe sie es selbst ganz bemerkte.

„Auch für Prinzessinnen", behauptete Zephyrin amüsiert. „Für Drachen, für Menschen. Man braucht Entschlossenheit. Aber auch du musst dich der Erwartung nicht beugen."

„Wir sprechen nicht von mir."

„Das tun wir. Von dir und der Erwartung einem Gemahl zu finden, selbst wenn du keinen willst. Es ist in Ordnung nicht zu Vergehen vor Liebe und das Herz bis zu den Ohren schlagen zu hören. Nicht für jeden ist es brennende Leidenschaft."

Anspannung glitt durch die Prinzessin und sie zog sich fort von der weichen Hand des Drachen. Ihr Rücken stemmte sich gegen das Geländer. Sie drückte sich dagegen wie zur Flucht und verschränkte fest die Arme vor der Brust.

„Für mich ist es das! War es das... Aber es war... falsch und... und es ist auch jetzt..." Ihre Stimme bebte und fast war ihr, als knackte jedes Wort. Als knirschte und bröckelte es. Mit einem Ruck erkannte sie dann jedoch, dass es gar nicht ihre Worte waren, die zerfielen, sondern das Geländer in ihrem Rücken.

Ein alter Turm. Klein, abgeschieden, unbeachtet. Zeit hatte sich in das Gestein gefressen und als die Prinzessin rauschend in die Tiefe stürzte, bedauerte sie dennoch nicht, eben diesen Ort erwählt zu haben. Denn hier war der Schatten, der ihr ohne jedes Zögern nachsprang.

Böse Drachen küsst man nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt