... vermisst man nicht

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Kalt war der Marmor unter ihren Füßen, als sie vor ihren Eltern stand. Die Blicke vorwurfsvoll und unzufrieden von dem erhöhten Podest auf dem sie saßen herabgerichtet.

„Du wusstest selbst wie gefährlich sie ist und hast dafür gesorgt, dass sie wieder dort landet", knurrte der König mit verschränkten Armen und ungeduldigem Klang in der Stimme. „Wieso sollte ich sie jetzt auf einmal wieder gehen lassen?"

„Weil sie eben nicht gefährlich ist!", keuchte Evelina lautstark und zum wiederholten Male.

Neben ihr stieß der große Held, der Zephyrin zurück in den Kerker und die Prinzessin zurück ins Schloss gebracht hatte, ein amüsiertes Schnauben aus.

„Sie ist ein Drache. Wenn man zu denen gehört, ist selbst eine Frau gefährlich."

Evelina wollte ihn treten, ihn schlagen, sie hatte sogar bereits darüber nachgedacht ihn zu beißen oder das dämliche Schwert zu ziehen, an dessen Griff er immer wieder so gelassen spielte. Doch sie tat nichts davon und ignorierte ihn weiter. Entschlossen trat sie auf ihre Eltern zu.

„Mir ist klar, dass ich während der Drachenkriege nicht dabei war, aber sie da unten eingesperrt zu lassen ist falsch. Ich habe die letzten Tage mit ihr gesprochen, sie kennen gelernt und... und..."

Als Erinnerungen ihre Gedanken fluteten, folgte auch das Blut, das ihr heiß in die Wangen stieg. Eben das nun brachte die Königin dazu mit gerunzelter Stirn auf die veränderte Miene ihrer Tochter zu blicken. Keuchend schüttelte sie schließlich den Kopf.

„Oh Schätzchen, ist das wieder so eine Sache wie mit dieser unmöglichen Zofe damals? Sie hat dir nichts als Unsinn in den Kopf gesetzt. Du warst nicht verliebt, nicht in eine Frau. Etwas derartiges ist absurd."

Irritiert sah auch der König wenig angetan auf seine Tochter herab. Selbst der Held drehte sich mit angehobenen, nahezu neugierigen Augen zur Seite, um einen genaueren Blick auf die junge Prinzessin zu werfen.

„Das hatten wir doch geklärt, als wir sie fortschickten", knurrte ihr Vater griesgrämig. „Du bist jetzt kein Kind mehr das unpassend für andere Mädchen schwärmt. Hier ist ein hervorragender junger Mann. Er hat dich gerettet, ganz wie du es wolltest. Also benimmt dich endlich, wie du es solltest!"

Schnaubend ballte Evelina die Hände zu Fäusten und verzog sehr unprinzessinnenhaft das Gesicht.

„Ich wusste doch nie, was ich wollte! Weil jeder mir immer sagen will, was es ist, dass ich zu wollen habe!", fauchte sie.

Wieder erhob der Held das Wort. Er schnalzte mit der Zunge und trat vor. Sie sah er dabei nicht an, nur ihre Eltern.

„Meine Hoheiten, seid unbesorgt. Sie ist nur naiv, wenn Ihr mir die Ehre erweist ihre Hand zur Ehe zu nehmen, wird sie schon erkennen, dass eine Frau einem Mann zugetan ist und alles andere nur Spielereien waren."

Wütend warf Evelina die Hände in die Höhe, doch sie biss sich auf die Zunge, statt erneut in hoffnungslosem Versuch das Wort zu erheben. Auf raschen, Schritten stürmte sie davon. Ihre Eltern sahen ihr nach und der König erhob sich in derselben aufgebrachten Stimmung. Doch seine Frau legte eine Hand auf seinen Arm und meinte seufzend: „Das ist eine Phase. Sie wird es vergessen und einsehen, dass wir nur das Beste für sie wollen."



Prinzessin Evelina hatte sich immer benommen. Sie war verwöhnt und wählerisch und hin und wieder auch vorlaut gewesen. Doch am Ende hatte sie immer brav den Kopf gesenkt, selbst wenn abenteuerlichste Ideen durch ihre Gedanken waberten. Immer um den Plänen ihrer Eltern und denen aller anderen um sie herum zu entsprechen. Selbst, als sie dieses eine Mal so auffallend rebellisch gewesen war und einen Drachen befreite, hatte sie es nur getan, um Erwartungen zu erfüllen.

Nun war sie im Begriff, etwas ganz und gar anderes zu tun. Und sie war sich gewiss, so begannen wirklich die besten Geschichten. Selbst da, als ihre Zofe Daeniel leise flüsternd zu sagen begann: „Das ist eine dumme..."

„Es ist die beste Idee!", unterbrach Evelina sie entschieden. Daeniel keuchte, nickte dann aber überraschend. Dann blieb sie stehen. Vor ihnen erhob sich der finstere Eingang hinab in den Untergrund. Ihnen blieb nur Zeit für einen Moment, ehe sie die ausgespähte Lücke verloren und von den Wachen aufgegriffen werden würden.

„Ihr werdet glücklich sein, Prinzessin?"

„Selbst wenn nicht, ich werde mutig sein!"

Eng schlang die Zofe die Prinzessin, ihre beste Freundin, in die aufgeregt zitternden Arme.

„Dann geht. Ich werde Euch so viel Zeit verschaffen, wie ich kann."

Der Abschied war kurz und hektisch. Doch er war auch warm und echt. So sank Evelina mit einem weichen Brennen im Herzen in die Dunkelheit zurück und ließ ihre Schritte hetzend von den Wänden hallen.

In ihrer Hand schwang das Licht einer glühenden Laterne und in ihren Augen strahlte frische und unbekannte Entschlossenheit. Auch da noch, als sie ein weiteres Mal vor der Tür erschien und ihre Finger in bebender Hektik die Riegel öffneten.

Stille schwappte ihr entgegen. Drückendes, schweres Schweigen. Doch mit der Laterne vor sich ausgestreckt, fand sie die zu Boden gesunkene Gestalt, die ein weiteres Mal in Ketten saß. Der gehörnte Kopf gesenkt, die dunklen Strähnen vor einem bitteren kaum aufblickenden Gesicht.

„Noch eine Entführung, die ich für dich spielen soll, Prinzessin?", spuckte Zephyrin in eisiger Resignation.

Evelina stürmte mit trommelnden Schritten auf sie zu und viel vor dem Drachen auf die Knie. Ihr helles Kleid rauschte und bauschte wie eine herabgefallene Wolke aus raschelndem Satin.

„Nein!", erklärte sie entschieden, setzte die Lampe ab und streckte die Hände aus, um das Gesicht der anderen zu berühren. Die feinen Linien ihrer Wangen und das kribbelnde Gefühl ihrer Haut.

„Diesmal werde ich, dich entführen!"

Verwirrt sah Zephyrin ihr entgegen. Doch noch ehe sie eine Frage stellen konnte, versperrten ihr die weichen Lippen der Prinzessin jedes Wort. Ein Kuss, so zart wie nervöses Flügelschlagen. Und viel zu schnell vorbei. Schon lehnte Evelina sich in nervöser Verlegenheit wieder zurück. Aber Ketten klirrten, als der Drache lange Finger in weiche Locken gleiten ließ und es auf ihre Art wiederholte. In brennender, durch den Körper vibrierender Leidenschaft.

Nur mit schwerem Atem, lösten sie sich dann ein zweites Mal und Evelina hauchte durch benebeltes Träumen hindurch: „Ich werde den Zauber richtig lösen."

„Und dann?"

„Dann werde ich – wenn du es gestattest – mit dir gehen."

Zephyrin lachte ein Lachen, das tief in ihrer Kehle saß und wohlig schauernd über die Haut der Prinzessin fuhr.

„Ich gestatte es."

„Selbst, wenn du meinetwegen wieder kämpfen musst? Und wenn sie behaupten werden, dass du wirklich böse bist?"

Nickend streichelten die warmen Finger einer Bestie über die zarte Haut der jungen Frau.

„Für dich, Evelina, bin ich ein böser Drache"

Böse Drachen küsst man nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt