... erhofft man nicht

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Unruhig ging Evelina auf und ab. Immer wieder richtete sie ihren Blick hinauf auf den von vereinzelten weichen Wolken bedeckten Mittagshimmel. Das hübsche mit grünen Edelsteinen verzierte Diadem funkelte zwischen den Locken auf ihrem Kopf und vor Aufregung blähte sie immer wieder nervös die Wangen auf.

Noch immer saß ihr das Lachen des Drachen in den Ohren. Und noch immer wurde ihr hübsches, rundes Gesicht tiefrot vor Ärger, wenn sie daran dachte. Zephyrin hatte den Kopf in den Nacken geworfen und sich mit rasselnden Ketten höchst amüsierte Tränen aus den Augen gestrichen.

Der Prinzessin war ihr Anliegen durchaus ernst gewesen. Sicher nicht der naive Scherz, für den die Gefangene es gehalten hatte. Beinahe war es sogar auf verwirrende Art enttäuschend gewesen zu sehen, wie das so düster und gefährlich umschriebene Wesen sich keuchend den Bauch halten musste, um die Lachkrämpfe zu überwinden. Aber sie hatte eingewilligt. Natürlich hatte sie das mit dem Schlüssel direkt vor ihrer Nase. Nur nun ließ sie sich Zeit und Evelina knirschte bereits unruhig mit den Zähnen in der Sorge, der Drache könne tatsächlich gewagt haben sie zu hintergehen. Allerdings gab es eine ganz besondere Schwäche der gewaltigen Kreaturen. Drachen hielten sich immer an Versprechen. Taten sie es nicht, dann verloren sie ihre Kräfte. Und Evelina ging sehr davon aus, dass Zephyrin die ihren würde behalten wollen. Besonders, da sie sie eben erst wieder erhalten hatte.

„Ich finde das sieht aus wie ein Fisch... der einen anderen Fisch verschlingt", erklärte eine Stimme neben ihr und riss die Prinzessin irritiert aus ihren Gedanken.

„Huh?", kam es, ehe sie sich elegant verbesserte und zu „Wie bitte?", umformulierte.

Der junge Herr neben ihr lächelte zufrieden, nun, da sie ihre Aufmerksamkeit doch noch zurück auf ihn gelegt hatte.

„Ihr seht die ganze Zeit in den Himmel hinauf. Da dachte ich Ihr versucht Formen in den Wolken zu erkennen. Ich sehe Fische. Was seht ihr?"

Evelina seufzte. Dieser hier war nett. Ebenso geduldig und elegant. Ihren Zofen nach besaß er sogar ein ganz auffallend angenehmes Gesicht. Das erkannte sie, doch erfüllte er deshalb ihre Gedanken, sobald er nicht mehr bei ihr war? Er tat es noch nicht einmal, wenn er direkt neben ihr saß. Teilweise gab sie der Umgebung die Schuld. Dem sorgsam gepflegten Garten, dem mit Schleifen und rosa Blüten verzierten Tischschmuck und der Dienerschaft, die in gespannter Aufmerksamkeit auf jedes Zucken achtete, um sofort jeden Wunsch erfüllen zu können.

Zu perfekt, zu gewollt, zu durchorganisiert.

„Ich suche eine ganz bestimmte Form. Aber die war bisher nicht zu erkennen", murmelte sie und versank bereits wieder in ferne Überlegungen.

„Ach ja?" Der neueste Verehrer um ihre Hand behielt die Geduld wie ein bedauernswerter Heiliger. „Und welche würdet Ihr denn gerne sehen?"

„Einen...", begann Evelina leise grummelnd, doch dann zerschnitt ein lauter Schrei die von sanftem Harfenklang erfüllte Harmonie und jemand anderes übernahm kreischend die Antwort: „Ein Drache!"

Auf weiten Schwingen stürzte sich das Biest herab und fegte die Hitze tosender Flammen in strahlendem Brüllen über die Köpfe der Anwesen hinweg. Ein paar Baumkronen fauchten, knisternd brennend und ein Wirrwarr bunter, edler Kleider wirbelte über den fein gestutzten Rasen. Evelina hätte wohl erleichtert ausgeatmet, doch selbst sie war zu gebannt.

In der Finsternis hatte Zephyrin ihre menschliche Form behalten und da die Drachenkriege bereits vor vielen Jahren beendet worden waren, hatte Evelina ihre Gestalten bisher auch nur in illustrierten Büchern gesehen. Da waren es geifernde, echsenartige Kreaturen gewesen. Keine von glänzend, dunkelblauen Schuppen überzogenen Wesen, deren Farbe sich in geschmeidigen Bewegungen immer wieder neu arrangierten. Wie zum Leben erwachte Edelsteine, die den Himmel beherrschten und den Wind in sich trugen. Der kraftvolle Leib bohrte sich herab auf den Grund und als die weiten winternacht blauen Klauen sich neben dem Pavillon zwischen Rosenbüschen in die Erde bohrten, bebte der Boden. Klirrend zerschlug Porzellan Geschirr, das über die Spitzendecke des Tisches gestolpert war. Mit einem Schnauben und Blecken gefährlich langer Zähne, vertrieb der Drache selbst den Verehrer, der die Prinzessin zu beschützen aus Angst schnell vergaß.

Gefesselt – mehr aus Faszination als aus Panik – beobachtete Evelina das Spiel verborgener Muskulatur unter dem zähen, eng an der Haut liegenden Panzer.

„Entsprach das deinen Wünschen, Mädchen?", rollte der Drache in vibrierendem, flüsterndem Klang. Ein leises Lachen rollte durch die schlanke, lange Kehle.

Entschlossen zwang die Prinzessin ihre Selbstbeherrschung zurück. „Ihr habt Euch Zeit gelassen!", beschwerte sie sich mit bebendem Herzen.

„Ich ließ mich von dem Wind unter meinen Flügeln verführen." Zephyrin gab ein Geräusch von sich, das fast einem Schnurren glich. Ihr großer, in so unmenschlicher Schönheit geformte Kopf, senkte sich Evelina entgegen. „Bist du bereit Prinzessin?"

„E...ein böser Drache... bittet nicht um Erlaubnis!", keuchte Evelina in zitterndem Atem und flimmerndem Blick. Streichelnde Wärme umgab den Körper der Kreatur und umschloss den des Menschenmädchens.

Zephyrin gluckste.

„Natürlich nicht. Allerdings verlangen Prinzessinnen für gewöhnlich auch nicht entführt zu werden."

Mit sachtem Schwung und einem Tippen ihrer breiten Schnauze, stupste sie Evelina gegen ihren glatten, weichen Schuppenleib. „Halte dich fest", raunte sie und schob sie auf ihren Rücken. Kaum einen Herzschlag später, pressten sich die kräftigen Beine in das Holz des krachend berstenden Pavillons und der Drache schwang sich in die Höhe. Rauschend schlugen die Flügel durch wirbelnde Luft. Blätter rauschten, Menschen schrien, ein Schicksal verlief ausnahmsweise doch nach selbst erdachtem Plan. Oder jedenfalls hoffte Evelina darauf, während ihre Arme sich um den Hals der Bestie schlangen und unter ihr die Welt ganz winzig schrumpfte.

Böse Drachen küsst man nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt