... besucht man nicht

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Es begann, wie nur die besten Geschichten begannen. Dessen war sie sich gewiss, als ihre nervös schwankende Zofe flüsternd meinte: „Das ist eine dumme Idee..."

Damit hatte sie recht.

„Ich weiß, was ich tue!", erwiderte die Prinzessin dennoch entschlossen. Das wusste sie nicht, doch eine Veränderung ihres Planes oder ein gänzliches Abweichen davon, kam ihr bereits längst nicht mehr in den Sinn. Auch nicht im kalten Flüstern des säuselnden Windes, der an diesem Ort nicht hätte wehen dürfen. Ebenso wie sie dort nicht hätte gehen dürfen.

Tief unter der Erde. In schmalen Gängen, zwischen Wänden, die im matten Schimmern eingesetzter Flimmersteine, grünlich strahlten. Wasser rann leise, langsam über den rutschigen Boden und die Hände der beiden jungen Frauen, fassten zitternd nach dem muffig, moosigen Seil, das ihnen eine schwankende Stütze sein sollte.

„Das ist eine sehr, sehr dumme Idee!", wiederholte die Zofe erneut mit bedeutend mehr Nachdruck.

Die vorangehende Prinzessin Evelina rollte mit den Augen.

„Es ist notwendig."

„Ist es nicht!" Winselnd unterdrückte die Zofe einen Schrei, als etwas klein, rasch und trippelnd über den Boden huschte und das ominöse Licht des tiefen Kerkertunnels, in bewegte Schatten geworfen wurde. Mit spitzen Fingern berührte sie das Seil, mit der anderen raffte sie den Rock ihres Kleides in die Höhe, wie es ganz sicherlich nicht ziemlich wäre. Die Prinzessin tat dasselbe. Nur das Wesen in dämmriger, Dunkelheit hatte sie nicht ebenso erschreckt. Immerhin war sie auf dem Weg, etwas noch sehr viel finstereres aufzusuchen.

„Ihr solltet es noch einmal mit einem Picknick versuchen. Oder einer Ruderfahrt auf dem See."

„Daeniel", unterbrach ihre Herrin die flehenden Worte und blieb stehen.

In gänzlich ruinierten Stiefeln tapsend, hielt auch die Zofe in ihren Schritten inne.

„Ich meine nur, dass Ihr Kerzenschein eine weitere Chance geben solltet. Oder lasst einen von ihnen das Hemd ausziehen. Als ich das letzte Mal gesehen habe, wie ein stattlicher Herr sein Hemd auszog, da hatte ich sicherlich keine Schwierigkeiten mir vorzustellen wie..."

„Wir sind da", meinte Evelina und sah ihrer plappernden Zofe dabei zu, wie die sich bei dem Blick auf eine schwere, mehrfach verriegelte Tür, fast an der eigenen Zunge verschluckte.

Schon wurde es wieder still. Nur das leise Tappen ferner fallender Tropfen und das schabende Geräusch als altes Holz und schweres Eisen, zur Seite geschoben wurden. Mühsam griffen zarte Finger zu, die sonst nichts anderes hielten als Silberbesteck, Porzellan und Seidentaschentücher.

Knarzend öffnete sich das Portal. Kleine Flocken fielen sachte schwebend aus dem Rahmen und flimmerten im fahlen Licht. Triefende Dunkelheit ließ kaum etwas davon in die hinteren Winkel sickern. In dem weiten, von Finsternis durchtränkten Raum... nein... der von grobem Gestein und unnachgiebiger Natur gebildeten Höhle, herrschte kalte Stille. Einzig ein zerstörter Stuhl am Rande des schattigen Verlaufs, deutete auf eine bewohnte Umgebung hin.

„Vielleicht ist sie tot und alles, was wir finden, ist ein Skelett", hauchte Daeniel nachdem sie allzu lange Atemzüge in das unendliche Echo des Nichts geblickt hatten.

„Sie ist nicht tot", erwiderte Evelina und honigblonde Locken wackelten auf ihrem Kopf. „Mein Vater muss sie am Leben halten."

„So wird es gesagt." Daeniel schnaubte in zitterndem Atem. „Aber weshalb sollte man das tun?"

Ein unmöglicher Wind zog um die Röcke der beiden jungen Frauen. Stoff raschelte und etwas flatterte rauschend wie ein Vogelschwarm.

„Aus Angst", antwortete eine Stimme die glatt und geschliffen klang wie die Schneide einer feinen Klinge. Ketten rutschten knirschend über den Boden und eine Gestalt schälte sich aus der Dunkelheit wie aus einem wabernden Mantel. Ein schlanker, hoher Leib, eingehüllt in alte Fetzen. Geschwungene Hörner, die sich aus ihrem Kopf erhoben, während ungekämmte schwarze Wellen wie vergossene Tinte über ihre Schultern fielen und strähnig in ein Gesicht aus scharf geschnittenen Linien hingen. „Aus Angst vor dem das folgen könnte, wäre ich tot und keine so praktische Geisel, für den Fall, dass andere Drachen den Krieg wiederholen könnten."

Leise flüsterte die Zofe einen panischen Fluch und stolperte zurück über die Schwelle in den Gang, in dem die lauernden Ratten ihr plötzlich keine Sorgen mehr bereiteten. Evelina verharrte, wo sie stand. Ihre Augen groß und ihr Mund geöffnet in Schreck und... Bewunderung?

„Zephyrin!", keuchte sie den von Erzählungen umwobenen Namen der Drachenkriegerin.

Die hochgewachsene Frau bewegte sich näher, sie hob die Hände seitlich an und ließ die Ketten klirrend neben sich schwanken. Irgendwo, weit hinter ihr, waren sie mit der Wand verbunden, doch wie weit der Drache noch gehen könnte, blieb ein ungewisses Risiko.

„Ich erhalte nur selten..." Zepyrin ließ ihren Blick aus hellen blauen Augen abschätzend über die zwei jungen gerade erst dem Mädchenalter entwachsenen Besucherinnen gleiten. „... Gäste."

„Ich... Mein Name..." Evelina verschluckte sich fast an den Worten, die sie lange vorher mehrfach vor dem Spiegel einstudiert hatte. Sie räusperte sich, um die Kontrolle über ihre schwach trillernde Stimme zurückzuerlangen. „Mein Name ist Evelina!"

„Prinzessin Evelina nehme ich an."

„Woher wisst Ihr das?", fragte die junge Frau in fasziniertem Schrecken.

Der Drache hob die Augenbrauen. „Du sagtest dein Vater müsse mich am Leben halten. Und das letzte das ich weiß ist, dass der Prinz, der mir die Ketten anlegte und mich zu einer Gefangenen machte, zum König gekrönt wurde." Silber schimmerte um ihren Hals. Das Artefakt, dass sie davon abhielt den Felsen zu sprengen, die Form zu wandeln und Prinzessin samt Zofe, mit einem Bissen zu verschlingen. „Sag Prinzessin, weiß er, dass du mich besuchst?"

„Er weiß es nicht. Und er weiß auch nicht, was ich bei mir habe."

Ihre Finger zitterten, doch zielsicher griff sie in die verborgenen Taschen ihres edlen Kleides, um ein Amulett hervorzuholen. Ernst präsentierte sie es in vor Nervosität kribbelnder Luft.

Zephyrin ließ die Ketten klackern. Ihre Finger fuhren an die vernichtende Fessel um ihren Hals. Nun wurde ihre große Stimme klein, als sie hauchend fragte: „Der Schlüssel? Du willst mich befreien Menschenmädchen?"

„Ich will verhandeln, Drache."

Böse Drachen küsst man nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt