Brennen

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Lange nach unserer Zeit...


Während ich mir einen Weg durch die Menge bahne, die der Verbrennung einer Hexe zuschaut, ärgere ich mich, dass sie nicht durch meine Hand gefasst wurde.

Viele Menschen sind gekommen, um diesem tollen Ereignis beizuwohnen und schreien und lachen, sodass die Geräuschkulisse fast unerträglich ist. Ich ignoriere den Drang, wegzulaufen, und versuche, mich an einem jungen Elternpaar vorbei zu schlängeln, das seine Kinder auf den Schultern trägt, damit auch diese etwas sehen.
Endlich tut sich eine Lücke zwischen den Schaulustigen auf und ich schlüpfe, meiner kleinen Statur sei Dank, problemlos hindurch.
Schon von weitem hat man den widerlichen Geruch von verbranntem Fleisch gerochen, also überrascht es mich, dass ich im dem Hexenfeuer eine alte, klapprige Frau sehe, die ihren ganzen Schmerz von sich schreit und die Menge mit ihren hervorquellenden Augen fahrig mustert.
Obwohl ich mich schon so nah an das Feuer gekämpft habe, dass mein Gesicht brennt, gehe ich weiter, meinen Lehrer Fiet fest im Blick. Er steht am Scheiterhaufen der verbrennenden Hexe und unterhält sich mit einer Person, die ich nicht kenne.
Just, als ich bei Fiet angekommen bin, verstummt das Wehklagen der Hexe. Die Person entfernt sich mit energischen Schritten, als ich mein Ziel erreiche.
"Endlich hat die Schlampe aufgehört. So ging das schon den ganzen Morgen." Er seufzt gequält, während ich mir mein langes, braunes Haar aus dem Gesicht streiche.
"Ja, diese Hexen können wirklich furchtbar wehleidig sein."
Wir lachen beide und schauen dem Körper beim Verbrennen zu. Die Frau muss wohl um die achtzig gewesen sein. Jedenfalls sieht sie so aus wie ein achtzigjähriger Mensch. Sie hatte nicht nur ziemlich eindeutige Kräuter dabei, als sie gefangen wurde, sondern auch einen Zauberstab. Diese Gegenstände konnte sie nicht erklären.
Abgesehen davon, dass sie wohl ziemlich dumm gewesen sein muss, sich nicht irgendeine Ausrede ausgedacht zu haben, scheint sie eine der Oberhexen zu sein, das lässt sich aus den Hexereien schließen, mit denen sie sich zu befreien versuchte. Ein Myth musste sogar mit einer klaffenden Kopfwunde ins hiesige Krankenhaus eingeliefert werden.
Um mich von der Hitze abzulenken, die sich durch meine Haut frisst und meine Armhaare ansenkt, frage ich: "Morgen ist wieder Unterricht, oder? Da du wieder mal ganze zwei Monate auf Hexenjagd, haben wir einiges nachzuholen."
"Ja, demnächst kannst du wieder den Wald abfackeln", antwortet Fiet.
Er grinst, während ich rot werde. "Das ist mir nur ein einziges Mal passiert. Was kann ich denn dafür, wenn der Simulator einfach so Feuer fängt, nur wenn er einen kleinen Pfeil in den Fuß kriegt."
Ich schüttele mich vor der Erinnerung an diese grausame Prüfung. Leider bringe ich außer meinem enormen Willen, ein Myth, also eine Hexenjägerin zu sein, nicht viel in die Ausbildung mit. Weder besonders schnell noch klug, kann ich nicht auf besondere Menschen- beziehungsweise Hexenkenntnis setzen. In meine Fallen tappe noch nicht mal ich selber.
Gott sei Dank wird Fiet in diesem Moment angerufen und ich kann wieder in der Menge verschwinden. Da sich die meisten Zuschauer wieder auf den Heimweg in ihre Häuser machen, kann ich problemlos durch die engen Gassen meiner Heimatstadt Maurizio verschwinden. Ich weiß nicht, wie sie früher hieß, bevor die Menschen die Existenz der Hexen bemerkten und ihr ganzes Leben umstellen mussten. Viele Gebäude und Kraftwerke wurden von den Hexen zerstört, genauso Gerichtsgebäude und ganze Städte wurden ausgelöscht. Strom wurde zu einem wertvollen Gut und Verschwendung wird von der neuen Regierung sogar bestraft. Die eigentlichen Herrscher der Stadt sind aber die Myth. Die altmodische Polizei ablösend, sorgen sie für Recht und Ordnung. Sie haben der halb zerstörten Welt wieder aufgeholfen und sie zu dem gemacht, was sie nun ist. Viele meiner Mitmenschen trauern dem alten Zeitalter hinterher, als die Menschen mithilfe neuer Technologien alles erreichen konnten. Ich nicht. Was für andere wie das Ende der Welt klingt, ist für mich ein Paradies. Das Leben in Maurizio ist rau und nur auf das Wesentliche beschränkt. Man konzenteriert sich nur darauf, zu überleben, und schätzt viel mehr die kleinen Dinge des Lebens. Davon abgesehen, dass sämtliche schlauen Menschen der Stadt versuchen, Hexen zu fangen. Ich verabschiede mich von meinem Lehrer und mache mich auf den Rückweg.
Ich muss still vor mich hin lächeln, als ich die mir so vertraute Straße hinaus zur Mytakemie gehe. Bevor ich aber durch das mächtige Tor durch den verwilderten Garten zur Schule gehe, bleibe ich stehen und setze meinen abgenutzten Stoffrucksack ab. Aus ihm krame ich meine erdfarbende Jacke mit dem Mytakemie-Emblem hervor. Das Symbol prangt in roter Farbe auch auf dem Haupteingang, vor dem ich gerade stehe. Auch meine Kette, die ein schlichtes, silbernenes "M" für "Myth" als Anhänger hat, lege ich mir um den Hals. Der Buchstabe könnte genau genommen auch für meinen Namen stehen - Maya.
Wenn ich diese beiden Sachen trage, kann ich kaum über die Straße gehen, ohne angehalten und gelobt zu werden. Ich musste schon ewig nichts mehr bezahlen, mit diesen Erkennungszeichen bekommt man alles geschenkt.
Als ich meinen Rucksack wieder geschultert und meine Haare mit Schwung zurückgeworfen habe, trete ich vor die Tür und klopfe an.

Becoming MythWo Geschichten leben. Entdecke jetzt