Acht

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Als ich meine Augen wieder aufschlage, liege ich auf dem feuchten Waldboden. ich weiß nicht, wie lange ich bewusstlos war, aber es muss länger gewesen sein. Die Kälte kriecht meine Glieder hoch und ich zittere. Ungelenk richte ich mich auf und klopfe meine erdverschmierte Kleidung ab. "Da bist du ja." Ich schaue erschreckt hoch, wundere mich aber nicht, als ich in Jus dunkle Augen schaue. Er geht auf mich zu und reicht mir die Hand. "Ich entschuldige mich für Madame Tarot. Sie ist noch nicht lange Oberhexe und hat ihre Kräfte nicht im Griff. Ihr selbst tut es auch schrecklich leid. Sie war so aufgeregt, das sie noch einen stärkeren französischen Akzent hatte als sowieso schon. Ich hab gar nichts verstanden."

Ich muss grinsen. Ja, den starken Akzent habe ich auch bemerkt. Doch da fällt mir etwas anderes auf. "Moment mal, du hast gesagt, Anieta ist sehr mächtig. Aber... Madame Tarot sieht doch viel älter aus." Jus verzieht das Gesicht und geht tiefer in den Wald hinein. Ich schaue ihm erst verwundert nach, ehe ich meine Beine in die Hand nehme und ihm folge.                                                                                                         "Ihr Stadtmenschen seid so sehr auf das Aussehen konzentriert. Ihr schaut einen Menschen an und denkt, ihr wisst alles über ihn. Ob er weise ist oder nicht, ob er talentiert ist oder sonst etwas. Ihr wisst nichts. Ich wisst nicht, dass euer Nachbar ein Mörder ist. Er lächelt doch so nett, wenn er mit seiner kleinen Tochter spielt. Genau dieses Verhalten hasse ich an euch Stadtmenschen. Als ich dich damals auf dieser Lichtung gesehen habe, hattest du Angst - obwohl ich nicht gefährlich aussehe. Deswegen habe ich dich zu Anieta gebracht. Und sie hat das gleiche gesehen, was auch ich sah. Dass du vielleicht ein Potential hättest, andere Sichtweisen zu vertragen."
Und als ich einmal blinzle, ist er weg.                                                                                                          Als ich mich umdrehe, sehe ich durch das dichte Laub des herbstlichen Waldes die mächtige Mytakemie ihre Rauchkringel in den Himmel malen. Ich wundere mich ein wenig, dass so nah an der Schule keine Myths aufgestellt sind, die mich ja beschützen sollen. Doch kaum als ich aus dem Wald getreten bin, stürmt Fiet auf mich zu. Nach dieser eigenartigen Nacht kommt mir mein Lehrer eher wie ein Geschöpf meines Traumes vor als Jus und die Oberhexen. "Um Gottes Willen, Maya! Wir dachten schon... Es ist schon Vormittag!" Ich schaue ihn verwundert an. "Aber Fiet... Ich kann mir doch nicht aussuchen, wann ich wieder zurück kann."

Mein Lehrer schüttelt genervt den Kopf, ehe er den Arm um mich legt und mich zur Schule drückt. "Ich weiß, es ist schwer für dich, jetzt, nach so viel Aufregung, noch einmal alles zu erzählen, doch ich muss unbedingt wissen, was du erfahren hast." Ich befreie mich und lächele. "Weißt du, mir geht's super. Ich musste schon ewig nicht mehr aufs Klo und bin nicht müde. Wenn ich nicht wissen würde, wie unglaublich falsch es ist, eine Hexe zu sein, würde ich glatt selber eine Hexe sein wollen." "Nein", höre ich nur noch, ehe ich einen stechenden Schmerz auf meiner Wange spüre. Erschrocken schaue ich Fiet an, dessen Hand immer noch erhoben ist. "Hör genau zu, Maya. Ich weiß, wie verwirrt du bist. Ich weiß aber nicht, was diese Geschöpfe mit dir anstellen. Ich werde die Gehirnwäsche nicht mehr dulden. Ich und Dust haben beschlossen, dass ein weiteres Treffen nicht gestattet ist." Er wirft mir noch einmal einen vor Zorn entstellten Blick zu, ehe er sich umdreht und zur Mytakemie zurück stampft. Ich schaue Fiet mit Tränen in den Augen hinterher. In der Mytakemie werde ich von einigen Lehrern geschlagen und habe dabei auch mal die Nase angebrochen bekommen, eine Ohrfeige bin ich also gewohnt. Aber das ausgerechnet mein Lieblingslehrer mich wegen NICHTS einfach so schlägt, tut mehr weh als alles andere. Stumme Tränen fließen über mein Gesicht, als ich mich wie so oft auf den Weg zum Ziegenstall mache. Die Lehrer erwarten bestimmt, dass ich mich auf den Weg zum Lehrerzimmer mache, um dort die Geheimnisse der Hexen zu lüften. Doch genauso wenig wie es einem Lehrer verboten ist, zu schlagen, interessiert  mich, was andere von mir denken.

Erst als ich das Gatter öffne, kann ich beruhigt durchatmen. Die Ziegen haben sich an das Fenster gelegt, um die wenigen Herbst-Sonnenstahlen in ihr weißes Fell aufzusaugen. Also setze ich mich neben die schwarze Hofkatze auf das Stroh und beobachte die schlafenden Tiere. Irgendwann steht die Katze ungelenk auf und lässt sich auf meinem Schoß nieder. Ich muss lächeln, während ich sie streichele. Irgendwann um die Mittagszeit richte ich mich wieder auf, weil meine Beine so sehr eingeschlafen sind, dass ich keinerlei Gefühl mehr in ihnen habe. Zudem muss ich jetzt doch höllisch auf die Toilette und könnte eine heiße Dusche mehr als vertragen. Diese Tatsache lässt mich wieder an die Ohrfeige denken. Unbewusst halte ich meine Wange, während ich durch den Hintereingang wieder in den Schulalltag meiner geliebten Schule eintauche. Zum Glück spricht mich keiner meiner Klassenkameraden an, während ich die breiten Treppen zu meinem kleinen Dachzimmer emporsteige. Als ich endlich wieder in meinen eigenen vier Wänden meine Jacke hinschmeißen kann und das Fenster schließe, was wieder einmal aufgegangen ist, fällt mein Blick auf einen Stapel Briefe auf meiner zerknüddelten Bettdecke. Ich sammle sie auf und schaue auf den Absender. Es sind Briefe von meiner Mutter, meinem Vater und meinen Geschwistern. Ich stopfe sie ungeöffnet zu ihresgleichen in meine Schreibtischschublade. Danach greife ich nach meinen lilafarbenen Handtüchern und verschwinde für längere Zeit in dem Bad, um mich wieder halbwegs vorzeigbar zu machen.

"Mist", murmele ich, als ich durch den zugigen Flur in Richtung meines Zimmers schleiche, mich selbst verfluchend, weil ich nicht daran gedacht habe, mir Anziehsachen in das Badezimmer mitzunehmen. Erst als ich mit aufgeweichten Fingern den Schlüssel umdrehe, bin ich erleichtert. Wenigstens bleibt mir die Peinlichkeit erspart, nur mit einem kleinen Handtuch bekleidet von jemandem gesehen zu werden. Als ich die Tür mit dem Fuß aufdrücke, grinst mich Lyan an.

Ja guht (Ein klitzekleiner Insider ;)), ich habe ein wenig länger für diesen Teil gebraucht. Aber da ja sowieso nicht sehr viele auf ein neues Kapitel warten....Ich hoffe, für den nächsten brauche ich keine Woche :)

Becoming MythWo Geschichten leben. Entdecke jetzt