Zweisamkeit

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Am nächsten Morgen prasseln dicke Regentropfen gegen die Fensterscheiben meines Schlafzimmers. Müde blinzle ich in das trübe Dämmerlicht und werfe einen verstohlenen Blick auf meinen Wecker. Seine altmodischen Zeiger ticken leise vor sich hin.
6:41 Uhr
Ich habe also noch mindestens neun Minuten Zeit, bevor ich aufstehen muss. Der Wecker war ein Geschenk von Sophia und stammt aus dem 20. Jahrhundert. Genauer gesagt: 1911. Jemand hatte ihn auf dem Dachboden entsorgt, nachdem er aufgehört hatte zu funktionieren. Die reinste Verschwendung wie ich finde, denn Gehäuse und Zifferblatt sind so kunstvoll und aufwendig gearbeitet, dass es sich dabei sicherlich ehemals um ein besonders teures Stück gehandelt haben muss. Sophia hatte den alten Wecker entdeckt und ihn über Wochen hinweg in mühevoller Kleinarbeit auseinander gebaut, repariert und anschließend wieder zusammengesetzt. Und nun tickt er seit über hundert Jahren treu vor sich hin. Jedenfalls dann, wenn ich nicht gerade vergesse ihn aufzuziehen.
„Du bist schon so früh wach? Ist alles in Ordnung?", höre ich plötzlich Sophias leise aber besorgte Stimme an meinem Ohr und spüre, wie meine Freundin mich sanft noch ein Stück näher an sich heranzieht. Ihr starker Arm um meine Taille schirmt mich dabei selbstlos von allem bösem dieser Welt ab. Ein glückliches Lächeln bildet sich auf meinen Lippen und ich greife sanft nach Sophias warmer Hand auf meinem Bauch.
Womit habe ich nur so eine aufmerksame und fürsorgliche Freundin verdient?
„Ich bin nur ein wenig früher aufgewacht, Liebling. Kein Grund zur Sorge...", flüstere ich ebenso leise und streiche mit meinem Daumen beruhigend über Sophias Handrücken. Fast sofort spüre ich die weichen Lippen meiner Freundin an meinem Hals und ich beginne zu zittern, als Sophia zärtliche Küsse dort verteilt.
„Auch kein böser Traum, denn ich vertreiben müsste?", erkundigt sie sich sicherheitshalber noch einmal und richtet sich gerade genug auf, um über meine Schulter hinweg mein Gesicht sehen zu können. Wieder stiehlt sich ein leises Lächeln auf meine Lippen.
„Nein...würdest du das denn gerne tun?", frage ich amüsiert und drehe mich vorsichtig in Sophias Umarmung um, sodass ich nun auf dem Rücken liege und der jungen Frau tief in ihre unfassbar grünen Augen sehen kann. Sophia beißt sich für ein paar Sekunden auf ihre Unterlippe, dann antwortet sie mir bedächtig.
„Ich mag es, durch meine Nähe die schlimmen Gedanken aus deinen Erinnerungen vertreiben zu können. Aber ich mag es noch viel mehr, wenn du in deinen Träumen nicht von bösen Geistern heimgesucht wirst."
Bei diesen süßen Worten geht mir buchstäblich das Herz auf und ich lege zärtlich eine Hand an Sophias weiche Wange.
„Ich werde auch so viel lieber von guten Geistern heimgesucht", sage ich lächelnd und streiche mit meinem Daumen liebevoll über Sophias volle Unterlippe. Die junge Frau schmunzelt nur und küsst einmal zart meine Daumenspitze.
„Eine Heimsuchung würde ich das nun nicht gerade nennen", neckt sie mich dann amüsiert,„frag da mal lieber Olivia..."
Nun ist es an mir die Augen zu verdrehen und ich sehe meine junge Freundin mahnend an.
„Was hast du jetzt schon wieder angestellt?!"
Sophia schmunzelt nur und legt unschuldig ihren Kopf schief.
„Das bleibt mein Geheimnis. Aber sie wird es bestimmt bald herausfinden."
Wenn sich Sophia so kryptisch äußert, ist meistens nicht mehr aus ihr herauszukriegen. Deswegen seufze ich nur ergeben und hoffe bloß, dass ich in dem Moment der Entdeckung nicht in Olivias Nähe sein werde.
„Wärst du ein Mensch, ich hätte dich schon längst irgendwo festgebunden. Oder eingesperrt. Hauptsache du treibst keinen Unsinn mehr und bleibst bei mir", murmle ich resigniert und sehe der jungen Frau in meinen Armen tief in die Augen. Sophias Blick wird daraufhin sanft.
„Mir scheint als wäre letzteres der wichtigere Grund", wispert sie und beugt sich dann zu mir herunter, um mir einen kurzen aber gefühlvollen Kuss zu geben.
„Dein leichter Anflug von Eifersucht ist absolut niedlich. Aber er ist unbegründet. Ich werde immer bei dir bleiben", flüstert Sophia mir in mein Ohr und knabbert im Anschluss zart daran. Meinen Körper überläuft schon wieder eine Gänsehaut.
„Versprochen?", flüstere ich zurück und lege schnell eine Hand auf Sophias warmen Rücken, damit sie sich nicht von mir zurückziehen kann.
„Versprochen. Heute und in hundert Jahren", erwidert diese und küsst mich erneut. So sanft und so zärtlich, dass ich nicht eine Sekunde an ihren Worten zweifle.
Sophia gehört zu mir. Solange wir beide leben.

1826 - Rückkehr auf St. RednorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt