Graham Montague rannte beinahe durch die Flure von Hogwarts. Er war viel zu spät für den Verwandlungsunterricht bei McGonagall dran, und er konnte es sich nicht leisten, bei ihr zu spät zu kommen, da sie ihn wegen seiner momentan schlechten Noten in Verwandlung sowieso schon auf dem Kieker hatte.
Trotzdem blieb er unvermittelt stehen, als ein Geräusch an seine Ohren drang. Er wartete einen Moment, ob das Geräusch wiederkommen würde. Tatsächlich, irgendjemand schien sich hier zu verbergen. Und diesem Jemand ging es überhaupt nicht gut. Zumindest sagten ihm das die herzzerreissenden Schluchzer, die in dem Gang ertönten, leise zwar, aber doch schwer zu überhören. Den Verwandlungsunterricht völlig vergessend, schaute er sich in dem Flur um, auf der Suche nach der Person. Er hatte nicht im Sinn, sie niederzumachen, er wollte eher herausfinden, warum derjenige weinte und ob er etwas tun konnte. Allgemein war er eigentlich nicht der Typ, der andere niedermachte, schon gar nicht, wenn sie aus irgendeinem Grund verletzt oder traurig waren.
Nach kurzer Suche wurde er tatsächlich fündig. In einer der Nischen, halb hinter einer gigantischen Statue irgendeines Zauberers verborgen, hockte ein Mädchen. Sie hatte rabenschwarzes Haar und gehörte offenbar zum Haus Ravenclaw. All das registrierte er mehr am Rande, denn ihr ganzer Körper bebte und sie hatte den Kopf in ihren Händen vergraben. Er ging neben ihr in die Hocke und berührte vorsichtig ihre Schulter. Sie schreckte hoch und blickte ihn verwirrt an. Sie zu fragen, ob es ihr gut ging, war angesichts ihres tränenüberströmten Gesichts und der rotgeschwollenen Augen absolut unnötig. «Was ist los?», fragte er deshalb nur. Sie gab keine Antwort, ob wegen ihm oder ob sie es einfach nicht konnte, war ihm unklar. Stattdessen weinte sie weiter und er setzte sich schliesslich ganz neben sie. Etwas überrumpelt wurde er, als sie plötzlich ihren Kopf schwer gegen seine Schulter fallen liess. Er stiess sie aber nicht von sich, legte ihr sogar einen Arm um die Schultern. Schweigend wartete er, ob sie vielleicht doch noch auf seine Frage antworten würde und liess ihre Tränen seine Schuluniform durchnässen. Schliesslich verebbten ihre Schluchzer soweit, dass sie stockend zu sprechen anfangen konnte. «Sie ist einfach… weg. Ich… Ich konnte ihr nicht einmal… nicht einmal tschüss sagen.» Natürlich verstand er nicht genau, wovon sie eigentlich redete, aber er verstand, dass es sie schmerzte, darüber zu sprechen und dass ihr die Person wohl sehr wichtig war. «Du musst nicht weiterreden, wenn du nicht möchtest.» Er meinte diese Worte völlig ernst. «Weisst du, ich… ich habe sie geliebt. Und… es tut weh. Sie hat… Sie hat nichts gesagt. Oder… mir einen Brief geschrieben oder was auch immer. Sie ist einfach… gegangen.» Langsam ahnte Graham, dass sie nicht einfach nur in den Urlaub gehen meinte. «Sie… kommt nicht mehr wieder, oder?» Diese Frage stellte er vorsichtig und sehr leise, wollte nicht noch Salz in die Wunde streuen. Obwohl er eigentlich auch wusste, dass es keinen Weg gab, diese Frage zu stellen, ohne ihr weh zu tun. «Nein. Sie hat mich einfach… einfach alleine gelassen! Ich…» Jetzt war sie wieder in Tränen ausgebrochen. Schliesslich zog er sie vorsichtig in seine Arme. Sie liess es zu und weinte diesmal in seine Brust. Ihm machte es nichts aus, dass seine Schuluniform nun auch an dieser Stelle nass wurde. Der Unterricht bei McGonagall war schon lange vergessen, jetzt gerade gab es weitaus wichtigeres als irgendwelche Zaubersprüche. Er sass noch einige Minuten da, bevor er einen Entschluss fasste. «Weisst du was? Ich bringe dich jetzt zu deinem Turm und regle das, damit du heute nicht mehr in den Unterricht musst. So hat das für dich keinen Sinn.» Noch immer war seine Stimme sehr leise. Er fühlte, dass sie leicht nickte. Vorsichtig schob er sie etwas von sich, damit er aufstehen konnte, und half ihr dann auf die Beine. Er führte sie durch die Gänge und nahm einige Abkürzungen, bis sie schliesslich vor dem Eingang zum Turm der Ravenclaws mit dem gigantischen Adler standen. «Du schaffst das doch von hier aus, nicht wahr?» «Ja, ich denke… ich denke schon. Und… Danke dir.» «Kein Problem. Du bist Cara Parker, richtig? Ich muss ja schliesslich erklären können, wer du bist.» Sie nickte. Er drehte sich um und verschwand in Richtung des Büros von Albus Dumbledore. Danach konnte er wohl noch bei McGonagall aufkreuzen und ihr Donnerwetter über sich ergehen lassen. Aber es war es ihm definitiv wert. Und wer wusste schon, vielleicht hätte sie ja sogar Verständnis und würde deshalb ein Auge zudrücken.
DU LIEST GERADE
Harry Potter Oneshots (German)
FanficEine Sammlung von allerlei Oneshots aus meiner Feder, die sich allesamt um das Harry Potter-Universum drehen. Meistens Romance, oftmals auch Fluff. Verschiedene Genres und Pairings. Bisher vorhandene Pairings: Harmione, Graham Montague x OC, Blaise...