Kapitel Siebenundvierzig.

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...eines der Kapitel, bei dem ich beim Schreiben selbst weinen musste ;)


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Ich habe auf dich gewartet, mein Kind.

Ich wusste nicht, wie ich atmen sollte, ich wusste nicht, wie ich denken sollte, ich wusste nicht, wie ich mich bewegen sollte. Ich starrte ihn nur an.

Meinen Vater.

Wie war das überhaupt möglich? War ich zusammengebrochen? War das ein Traum?

War ich in Ohnmacht gefallen, als ich den toten Körper meines Vaters sah?

"Myn lapsi", sagte er wieder, seine Stimme war sanft und so ganz anders als der schmerzerfüllte Ton, der sie in Nyshards Erinnerung beherrscht hatte.

"Myn lapsi, myn Adrina Yele, myn gnysra, myn dyla, myn mella wran un. Myn jas sruso par traiao dyn vialo drif."

Ich hörte seine Worte, ich hörte ihnen zu, und er wiederholte sie, wieder und wieder. Doch zunächst war mir ihr Sinn nicht klar. Es fühlte sich fast so an, als ob mein dummes Gehirn die alte Sprache nicht mehr übersetzen wollte, obwohl ich wusste, dass die Worte mir bekannt vorkamen.

Aber ich...

"Myn lapsi... Adriyele", er, mein Vater, machte einen Schritt in meine Richtung, dann noch einen. Vorsichtig, behutsam.

Und ich merkte, dass er nicht... echt war. Seine große Gestalt war ein wenig durchscheinend, als wäre er hier, aber nicht wirklich hier. Aber seine Augen leuchteten, ja... funkelten. Und sie sahen den meinen so ähnlich.

Sein Gesichtsausdruck war ruhig, ein wenig besorgt, aber nicht... irgendetwas stimmte da nicht.

Sicherlich war es das.

Er war tot.

Was geschah hier, wo war Nyshard und warum...?

Ich nahm einen scharfen Atemzug.

Endlich konnte ich wieder atmen, und ich nahm mir einen Moment Zeit, um frische Luft in meine schmerzenden Lungen zu saugen.

Nyshard. Wo war er? Er hatte direkt neben mir gestanden, und jetzt war er nirgends zu sehen.

"Myn lapsi, myn Adrina Yele, myn gnysra, myn dyla, myn mella wran un. Myn jas sruso par traiao dyn vialo drif", wiederholte Gravyn, als er vor mir zum Stehen kam, und mein Gehirn machte plötzlich klick.

Mein Kind, mein heilendes Licht, mein Schatz, mein Glück, mein seltenes, heiliges Eines. Es tut mir leid für alles, was du verloren hast.

"V-... Vater?", meine Stimme war nur ein Flüstern und ich hätte schwören können, dass sie fast unhörbar war, aber ein schwaches Lächeln blitzte über sein Gesicht.

"Ja", nickte er, und unvergessene Tränen schwammen in seinen Augen. "Mein Kind, mein liebes Kind, meine Tochter... Adriyele", murmelte er und sah mich weiter an, "Du siehst deiner Mutter so ähnlich."

"Aber meine Augen... sind die meines Vaters", fügte ich fast automatisch hinzu und sein Lächeln wurde breiter.

Und dieselben Tränen, die noch immer in seinen Augen schwammen, kullerten mir über die Wangen und ich machte einen weiteren Schritt in seine Richtung.

Einen Moment lang war es mir egal, ob das ein Traum war oder nicht. Einen Moment lang wollte ich einfach nur das kleine Mädchen sein, das sich immer nach einem Vater gesehnt hatte, der sie in eine feste Umarmung zieht und ihr sagt, dass die Welt scheiße ist und dass es immer Tyrannen geben wird, aber dass er sie trotzdem lieben wird. Einen Moment lang wollte ich nur so tun, als wäre ich ein normales Mädchen, eine normale Frau, nicht etwas - jemand -, von dem die Whisperer sprachen, nicht etwas, das Phylon oder der König von Kalash wollten.

Truth of the Whisper (German Edition)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt