Irgendwann fuhren wir wieder auf die Autobahn, dann über die Grenze nach Deutschland. Die Fahrt verlief schweigend, die Luft war stickig vom Rauch unserer Zigaretten und wir sprachen nur das nötigste. Hin und wieder »Fährse raus, ich muss pissen« oder »Lass mal zur nächsten Tanke, wird Zeit fürn Energy.« Bald hatten wir uns auch von den anderen getrennt, jeder fuhr seine eigenen Wege. Wir erreichten Berlin, als die Abendsonne an den Dächern kratzte.
Schließlich hielt Tarek in meiner Straße an, wir hatten irgendwann nach der Grenze wieder gewechselt. »Ey, Bruder«, sagte er und suchte meinen Blick, als ich meine Hand schon am Türgriff hatte.
»Mh?«
»Bin da, falls du quatschen wills. So Redebedarf, dies das.«
Ich grinste. »Willst du für mich da sein oder hasse selber Redebedarf?« Bei den Worten streckte ich ihm die Hand hin, weil irgendwie war mir nicht mehr nach groß rumhängen.
Tarek grinste ebenfalls. »Schon gut, Bruder.«
Wir verabschiedeten uns und der Twingo mischte sich unter den niemals zu enden scheinenden Feierabendverkehr. Eigentlich fühlte sich alles wie immer an. Da war unser Block, die anderen Hochhäuser darum herum. Der kurdische Supermarkt, ein paar Häuser dahinter das blaugelb leuchtende Lidlschild. Ein paar Kinder, die mit Steinen gegen die Altglascontainer schmissen. Zwei junge Frauen mit Kopftuch, eine im Fenster im Erdgeschoss, die andere davor, die sich unterhielten. Ein glatzköpfiger Kerl im Unterhemd, im ersten Stock, in seiner Hand ein Glas Sekt.
Alles wirkte so gewohnt. So normal.
Nicht so, als hätte vor ein paar Stunden die Stille zerrissen.
Und den Körper des Mannes im Mantel.
Ich schluckte trocken, dann machte ich mich auf den Weg zu Lidl. Kaufte zwei Fertigpizzen mit Salami und diese Gummibärchen in Kirschenform, weil Fede die so gerne mochte.
Die Stille in meiner Wohnung war beruhigend und in meinem Zimmer angekommen, ließ ich die Jalousien herunter.
Kommse noch rum, schrieb ich ihm. Hoffte, dass er einfach schnell online kommen würde. Antworten und hier wäre. Mich in den Arm nehmen, darauf, dass ich mich ein bisschen besser fühlen würde.
Fede wurde weiterhin als offline angezeigt.
Dann halt nicht. Ich schenkte mir Whisky in das Glas ein, das auf meinem Nachttisch herumstand. Zeit, um den Whisky zu genießen, ließ ich mir keine. Ich trank ihn wie ich früher Wodkamischen gesoffen hatte, und auch, wenn sich die Welt bald schneller drehte, blieben die Bilder klar vor meinem Auge. Es war ein bisschen, als hätte der Alkohol seine Wirkfähigkeit verloren. Man konnte nicht alles wegsaufen, schon klar, aber manchmal fühlte sich diese Illusion verlockend an.
Ich fing an zu zocken, machte bald die Konsole aus. Kein Bock auf tote Menschen. Ging auf YouTube, scrollte durch die Trends. Irgendwer, der in Chicken Wings badete, eine andere trug sich 100 Schichten Nagellack auf. Heile Welt und für eine Weile tat es gut, sich den Nonsense reinzuziehen. Glitzerschleim, dumme Tier-Memes, Kinder, die auf die Fresse fallen – gebt mir alles.
Bloß keine Realität.
Nach einer Weile vibrierte mein Handy. Fedes Name tauchte auf, darunter die Nachricht: Bin noch bei bahar, fußball gucken. Können uns aber morgen sehen wenn du magst
Irgendwie stimmten mich die Worte traurig. Klar, er musste ja nicht 24/7 für mich bereit sein, doch irgendwie brauchte ich ihn gerade. Brauchte diese Sicherheit, die seine Umarmung vermittelten. Dieses Ankommen.
Ich schluckte. Irgendwie fühlte sich alles beängstigend an. Die Welt draußen mit ihrer Brutalität, die ich immer haben wollte. Die Tatsache, wie leicht Menschen sterben konnten, auch wenn ich das immer gewusst hatte.
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Die Verlierer - Herz aus Beton
Ficción General[TEIL 3] Jay gehört die Unterwelt. Von der Siedlung über die Bahntrassen bis zum Görli, dort, wo sich die Dealer aufbauen und Bares gegen Ware getauscht wird. Hier weiß jeder, wer das Sagen hat. Meistens zumindest. Doch sein Herz gehört Fede. Diese...