21 | Primetime

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Ein paar Wochen nach Leonardos Emo-Aktion saß ich mit Tarek und Aziz auf den unbequemen Bierbänken vor dem Shisha-Café. Mittlerweile war Sommer und die Sonne knallte nervig auf meinen Schädel. Reichte ja nicht, dass der dank meines Katers pochte und irgendwas war da auch mit Fede und etwas brutalerem Sex gestern. Hatte mir gerade noch gefehlt, dass Nassim sich zu uns gesellte. Noch eine Labertasche mehr.

Dafür aber eine Labertasche mit überraschend guten Nachrichten. »Bruder«, sagte er und legte seine Hand auf meine Schulter.

»Mh«, machte ich und ließ den Rauch ausweichen. Sah auf die Straße, auf der sich die Autos an einem Lieferwagen vorbeiquetschten, der in zweiter Reihe dastand. Jemand hupte.

»Du hattest doch letztens gefragt, wegen Wohnungen und so. Ich hätte da was nices am Start. Nähe Tempelhofer Feld, zwei Zimmer, also entspannt alles. Mein Kollege, der macht dir einen guten Preis. Ich geb dir seine Nummer und dann gehse dir das mal angucken, ja?«

»Mach ich.« Ich nickte ihm zu, während ein Typ aus seiner Karre ausstieg und den Fahrer des Lieferwagens anbrüllte. Halsabschneide-Gesten machte. »Danke.« Vielleicht würde das ja wirklich bald was werden. Meine eigene Bude. Ganz allein für mich, ohne meine nervige Alte und Lexie. Alles, so wie ich das haben wollte, ohne Stress und Ärger.


Ausnahmsweise lief mal alles wie am Schnürchen. Die Wohnung war der Hammer. Auf einem Hinterhof gelegen und zum ersten Mal merkte ich, wie entspannend das war, nicht direkt neben einer vierspurigen Straße zu pennen. Und vor allem wars kein Hochhaus mit zig Stockwerken, sondern so'n chilliges Mehrfamiliending. Ich konnte sie bereits Anfang Juli haben und über einen Bekannten von Rashid bekam ich auch einen Sprinter für lau.

Am Vorabend meines Auszugs ging ich nach meinem Training in die Küche, um mir schnell eine Pizza in den Ofen zu schmeißen. Meine Alte saß da, zwischen ihren Fingern brannte eine Kippe ab, die Asche fiel auf den Küchentisch, hinab zu den ganzen Essensresten, die da klebten. Meine Mutter wischte über ihren Augenwinkel. Wahrscheinlich war wieder finanziell was im Argen.

»Brauchse Kohle oder so?«, erkundigte ich mich, zuvorkommend wie ich war.

»Lass mal. Alles gut.« Sie winkte ab und nahm einen Zug ihrer Zigarette, an die sie sich scheinbar erst jetzt erinnerte.

Ich nahm eine Salamipizza aus dem Gefrierfach und riss die Folie auf. Einzelne Käsestückchen fielen heraus, bröselten auf die Arbeitsfläche und den Boden. Während ich die Pizza in den Ofen schob und die Klappe zuschlug, checkte ich es auf einmal. Die flennte gar nicht wegen der Kohle. Die flennte wegen mir. Alter.

»Jetzt sag, was hasse?« Ich lehnte mich gegen den Küchenschrank und verschränkte die Arme vor der Brust.

Sie seufzte. »Lass gut sein, Jonathan.«

»Nee, du sagst jetzt, was los ist«, forderte ich und fixierte sie mit meinem Blick. Das funktionierte eh immer, so auch bei meiner Alten.

Abermals Seufzen. Sie drückt den Kippenstummel aus und zündet sich eine neue Zigarette an. »Ich hätte viel anders machen sollen. Ich war nie für euch da. Ich habe zwei Kinder in die Welt gesetzt, aber eine Mutter war ich nie ... ich wollt doch eigentlich nur das Beste für euch. Dass ihr tolles Spielzeug habt und alles, was ihr euch wünscht, dass ihr allein ein Zimmer haben könnt und all sowas, was es für mich früher niemals gab. Ich wollte nie, dass dich in der Schule einer ärgert, weil du keine Markenklamotten hast.« Sie strich sich durchs Gesicht und hob dann ihren Blick. Ihre Augen waren gerötet und sahen müde aus, noch müder als auch ansonsten schon. »Aber ...«

Ich sah sie fragend an. Ihre Worte überraschten mich, ehrlich gesagt hatte ich nicht damit gerechnet, dass jemals aus ihrem Mund zu hören. Mir war schon klar gewesen, dass wir sie irgendwie juckten, also nicht so ganz am Arsch vorbeigingen, aber davon hatte man halt nie viel gemerkt. »Aber?« Fragend hob ich meine Augenbrauen, als sie nichts mehr dazu sagte.

»Wahrscheinlich wars nicht wert so viel zu arbeiten. Zeit mit seinen eignen Kindern zu verbringen, ist doch das wertvollste. Ich musste ja auch immer schuften, aber manchmal hätte ja auch weniger gereicht.« Seufzer Nummer drei. »Es tut mir leid, Jonathan.«

»Schon gut. Im nächsten Leben machs'es besser.« Aufmunternd grinste ich leicht und stieß mich dann von dem Küchenschrank ab, um den Raum zu verlassen. Was sollte ich noch sagen. Diese Quest war längst abgeschlossen für mich.


Das war sie endlich, die Primetime meines Lebens. Verdammt, ich hatte alles. Ne eigene Bude mit einem 55"-Fernseher mit OLED-Display, endlich Geschäfte, die gut liefen, nach unseren Lieferschwierigkeiten im Frühjahr – und vor allem einen Haufen Zeit mit Fede, der es genoss, dem Lärm bei sich zuhause zu entkommen. Oft kam er vorbei, einfach um zu lernen. Dann saß er mit seinen Büchern auf der Couch und machte sich stapelweise Notizen, während ich zockte und es zwischendrin nicht lassen konnte, wie er dasaß, an seinem Stift herumkaute, die Stirn leicht gerunzelt.

Abends fuhren wir manchmal in meiner Karre herum. Fede liebte sie, noch mehr als ich selbst wahrscheinlich. »Lässt du mich auch mal fahren?«, fragte er mich in einer lauen Nacht, als wir gerade an einer Tanke angehalten hatten. Ich stand neben dem Zapfhahn, an meine Karre gelehnt, Fede vor mir.

»Im Leben nicht.« Ich zog die Augenbrauen zusammen. Der hatte sie doch nicht mehr alle.

»Komm schon.« Auffordernd grinste er und kam einen Schritt näher, sodass sich unsere Körper berührten. Mein Herz ging augenblicklich schneller. Dass dieser Wichser nach all der Zeit noch immer so eine Wirkung auf mich haben musste.

»Du hast ja nicht mal'n Führerschein. Meinse, ich hab Bock meine Karre vom nächsten Baum zu kratzen?«

»Kannst du dir doch locker leisten. Dann kaufst du dir halt noch ein fetteres Auto.« Fede lachte und beugte sich näher zu mir, sodass seine Lippen die meinen fast berühren. Er musste sich dafür strecken.

»Heißt du Leonardo oder warum ist das hier so'n Selbstmordkommando?« Belustigt hob ich meine Augenbrauen, während ich Fedes Atem nah bei mir spürte. Und in der nächsten Sekunde einen Schlag, den er mir mit Kraft gegen meinen Oberarm versetzt hatte. Er zog ordentlich.

»Du bist schon so'n Wichser«, zischte Fede und gab mir dann einen innigen Kuss, der mir für eine Sekunde den Verstand raubte. In dem Moment ertönte das Klicken, mit dem der Griff des Zapfhahns sich löste. Ich zog meine Lippen zurück und schob Fede nach hinten, um den Zapfhahn aus meinem Auto zu ziehen.

»So, ich gehe jetzt zahlen. Und du hältst dich zurück, ja? Ich will, dass sowohl du als auch meine Karre noch da sind, wenn ich wieder komme.« Ich fixierte ihn mit meinem Blick.

»Jawohl, Meister.« Fede lachte und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Ein paar Augenblicke später kam ich mit zwei RedBull – den normalen für mich und für Fede die Summeredition mit Kiwi-Apfel, auf die der voll abfuhr – wieder zurück und setzte mich ans Steuer.

»Wenn du mal'n Führerschein has', lass ich dich fahren. Ansonsten never. Schlag dir das aus deinem viel zu süßen Schädel«, erklärte ich und drückte ihm den Energy in die Hand. Meinen eigenen stellte ich in die dafür vorgesehene Halterung.

»Mit meinem Cousin bin ich schon öfter rumgefahren. Der hat mir das alles gezeigt. Ich kann fahren, Jay«, sagte Fede und öffnete seine Dose mit einem Zischen. »Danke übrigens.«

Ich startete den Motor und fuhr dann wieder auf die Straße, drehte die Musik auf. Nur noch wenige Autos waren unterwegs. »Ja, toll, in irgend'nem Garten oder was?«

»Nee, schon richtig auf der Straße. Und das war mit Schaltung und allem, ich mein, komm, da ist deiner richtig gechillt.« Fede grinste mich schelmisch an.

»Vergiss es.«

»Du hast doch nur Angst, dass ich nachher besser bin als du. Das wär dir doch verdammt peinlich, ich kenn dich doch. Schlechter fahren als ich, obwohl du so oft zur Fahrschule gegangen bist.«

Ich presste die Zähne aufeinander und konzentrierte mich auf die Straße. Niemals. Nur weil der Bastard wusste, wie er mich provozieren konnte, würde ich dem nicht nachgeben.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 31 ⏰

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