Tag 3 Montag
Peters Sicht
Eine halbe Stunde später waren wir wieder bei den Andrews zuhause. Bob hatte sich wortlos ins Bett gelegt und ließ seinen Tränen freien Lauf. Ich hatte mich zu ihm gelegt und ihn gehalten. Ich konnte nichts sagen, es gab keine Worte, die Bob hätten helfen können. Worte würden es nicht besser machen, nichts ungeschehen.
Mich überkam große Wut, die ich mir von Bob nicht anmerken lassen wollte. Vorgestern noch hatte ich kurz mit Bob telefoniert, da war er noch so, wie er ihn kannte: fröhlich, charmant und selbstsicher und nach nur einer Nacht, an die sich Bob nicht einmal erinnern konnte, war er zusammengebrochen zu einem Schatten seiner selbst. Ich hatte schon oft gehört, daß sexuelle Übergriffe sehr destruktive Auswirkungen haben auf die Opfer, aber es war was ganz anderes, davon zu hören oder es selbst zu sehen, wie mein bester Freund litt.
Nach einiger Zeit hatte sich Bob in den Schlaf geweint und es klingelte an der Haustür. Unterbewusst zuckte Bob kurz zusammen, wachte aber nicht auf. Justus kam mit den Schulsachen von uns allen Dreien in Bobs Zimmer.
„Er schläft?“, fragte Justus im Flüsterton. „Ja, zum Glück es ging ihm so schlecht, daß es sehr gnädig für ihn ist jetzt zu schlafen.“
„Was war denn los? Ich dreh mich um und sehe nur noch wie ihr losgesprintet seid. Bis ich in der Umkleide war, wart ihr schon über alle Berge. Ich hab mir dann eine Ausrede für euch vor dem neuen Lehrer einfallen lassen.“
Es fiel mir schwer mich zu beherrschen, aber ich wollte nicht daß Bob wach wurde. „Unser neuer Sportlehrer, ist der Mann, der Bob das angetan hat, ausgerechnet er.“
Justus keuchte und versuchte den Laut mit seinen Händen zu ersticken. Ich fuhr leise fort: „Er war so in Panik daß er seinen persönlichen Rekord gelaufen ist, ich konnte ihn kaum einholen, aber er rannte immer weiter Richtung Hauptstraße. Ich habe es gerade noch geschafft, ihn herumzureißen bevor er von einem Pickup erfasste wurde. Er hatte einen Nervenzusammenbruch, war zeitweise ohnmächtig. Der Notarzt wurde gerufen und ich habe seinen Dad informiert. Sie kamen ungefähr gleichzeitig an. Bob war da ... nicht mehr ohnmächtig, aber auch nicht klar. Er hatte einen Weinkrampf und sich regelrecht in meine Schulter verkrallt. Vor allem als der Notarzt ihm was zur Beruhigung gespritzt hat. Als das Zeug gewirkt hat, ist er wieder eingetrübt. Wir haben ihn in den Wagen von einem Kollegen von seinem Dad geschafft, um ihn vor den neugierigen Blicken der Leute zu schützen. Als er zu sich kam, wollte er nicht ins Krankenhaus, sondern zur Polizei.“
Justus hatte sich vor Bobs Bett auf den Boden gesetzt und mit schockierter Mimik aufmerksam zugehört.
„Ob das eine gute Idee war? Unter Medikamenten eine Aussage zu machen, führt oft dazu, daß der Inhalt der Aussage angezweifelt wird“, gab Justus zu bedenken.
„Eine große Aussage kann er so oder so nicht machen, da er diese große Erinnerungslücke hat. Aber ich konnte die Aussage, daß er es war bezeugen. Ich hatte ihn ja in der Sporthalle gesehen und Cotta hatte mehrere Aufnahmen bekommen von den Zwischenstopps aus Weed, Redding und Sacramento.“
„Und was sieht man auf den Aufnahmen?“, fragte Justus interessiert.
„In Weed und Redding nichts besonderes, gemeinsames Essen, unterhalten, Kaffeetrinken, alles normal. In Sacramento aber sieht man schon, daß was nicht stimmt. Bob verhält sich da komisch, fast wie eine Marionette. Kurze Verabschiedung von den Anderen, dann sind sie zu den Toiletten und der Typ ist mit ihm für 47 Minuten in eine Kabine verschwunden, danach ist er rausgekommen, hat Bob hinter sich hergezogen, das Gesicht gewaschen und ist mit ihm zurück zum Bus.“
„Damit ist es dann Gewißheit. Opfer, Täter, Tatort, Tatzeit“, fasste Justus zusammen. Anders als sonst klang es nicht triumphierend sondern bitter.
Ich schüttelte den Kopf und erklärte: „Nein, nichts ist klar. Inspektor Cotta sagt das reicht nicht. Es gibt nur Indizien und keine Beweise.“
„Wie das reicht nicht?“ Justus Stimme zitterte vor Anstrengung sich zu beherrschen. „Bob ist nachweislich unter Drogen vergewaltigt worden und mit diesem Video ist dann alles klar.“
„So einfach ist es leider nicht.“ Ich seufzte. „Sie haben kein GHB mehr nachweisen können. Bob kann keine Aussage machen. Die Verletzungen beweisen nur das ihm etwas grob anal eingeführt wurde. Nicht was, nicht von wem und nicht wann.“
„Aber es wurde doch Sperma an und in ihm gefunden, wenn die Laborergebnisse eintreffen, dann-“
„Sie sind bereits ausgewertet! Sämtliche sichergestellten Proben stammen von ihm selbst.“
„Das darf doch nicht wahr sein und wie soll sein Sperma in seinen Darm gelangt sein?“, hakte Justus fassungslos nach.
„Cotta meint, daß es nicht schwer wäre jemanden unter Einfluss von GHB dazuzubringen, daß er einen Erguss hat und danach muss das, was er danach eingeführt hat mit dem Sperma in Kontakt gekommen sein. Das kann sowohl sein das er die Hand benutzt hat, als auch daß er beim Kondom überziehen etwas Sperma verschmiert hatte. Gleiche Prinzip auch bei einem Gegenstand.“
„Das klingt schlüssig“, überlegte Justus laut. „Aber es klingt schlimm, wie soll er das bloß verkraften?“ Mitfühlend schaute er auf Bob herab der zwischen Ihnen auf seinem Bett lag, schlief und dabei wieder am ganzen Leib zitterte, kalter Schweiß bedeckte seine Haut. Er zuckte so heftig, daß er von der eigenen Bewegung aufwachte.
„Schlaf ruhig weiter Bob, wir passen auf dich auf“, versprach ich ihm.
„Danke, Peter, aber ich möchte gar nicht mehr schlafen“, meinte Bob leise und streckte sich.
„Dann vielleicht Fernsehen zur Ablenkung?“, schlug ich vor.
Er zuckte nur mit den Schultern und ehe die Entscheidung gefallen war, hörten wir, wie es an der Tür klingelte.
Als ob Bob eine Ahnung hatte, griff er haltsuchend nach meiner Hand. Wir lauschten, wie die Schritte von Mr Andrews sich der Haustür näherte. Wir hörten Mr Andrews fragen: „Guten Tag. Wer sind sie und was wollen sie?“
Die Stimme des Besuchers hörten wir nicht und darüber war ich nur einen Moment später sehr froh. Offensichtlich hatte unser neuer Lehrer sich die fragwürdige Mühe gemacht zu Bob nach Hause zu fahren, nachdem er aus seinem Unterricht verschwunden war. Wir hörten nur Mr Andrews, der scharf klarstellte: „Ich werde sie ganz sicher auch nicht nur eine Sekunde zu meinem Sohn lassen! Und jetzt gehen sie oder ich rufe die Polizei! Sie haben hier nichts zu suchen!“
Für Bob war das Wissen darum bereits zu viel. Schon wieder liefen ihm heiße Tränen übers Gesicht und es schüttelte ihn. Allein der Anblick tat mir weh, wenn ich nur wüsste, wie ich Bob helfen könnte.
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Busfahrt
FanfictionBob fährt mit dem Bus. Am nächsten Morgen wacht er auf und ist sich sicher, daß irgendwas nicht stimmt. Er hat Angst, weiß aber nicht weswegen.