Meeresboden

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Ein Ozean an Worten, angestaut durch mein eigenes Schweigen.
Und ich ertrinke, ja ersticke darin.
Range hilferufend und mit letzter Kraft zur Oberfläche, halte mich gerade so über den Wellen.
Hoffend darauf, dass mich jemand hört.
Hoffend darauf, dass da ein Rettungsring geworfen wird.
Hoffend darauf, dass ein Wunder geschieht.
Nichts.

Ich spüre, wie meine Knochen von Millisekunde zu Millisekunde immer schwerer werden und sich ein unerträglicher Druck in meinem Brustkorb ausbreitet.
Und somit sinke ich,
tiefer und tiefer, wegen all der unausgesprochenen Dinge, die mir so unendlich schwer auf dem Herzen liegen.
All die Dinge, die sich über Wochen, Monate, ja sogar Jahre angestaut haben und mich in die Tiefe ziehen.
und somit sinke ich,
tiefer und tiefer Richtung Meeresboden.
In die völlige Dunkelheit
völlige Schwärze
völlige Hoffnungslosigkeit.

Und plötzlich, da fühl ich mich wieder wie Zuhause.
Fühl mich wie an einem Ort, den ich zu gut kenne und trotzdem nie, nicht ein einziges mal, wirklich einzuschätzen wusste.
Meine Anwesenheit wird als störend empfunden, mein Dasein als nichts Wert und meine Gefühle zu fehl am Platz, um sie  überhaupt als solche anzuerkennen.
Das Resümee?
Ich bin störend. Ich bin nichts Wert. Ich sollte noch nicht einmal als Mensch anerkannt werden.

Der Ozean bahnt sich seinen Weg in meine Lunge und der Versuch zu schreien ist schon längst aufgegeben; Eigentlich schon längst unmöglich.
Vor kurzem, da war es noch von Bedeutung zu Überleben
da war es noch von Bedeutung zu Kämpfen
Da war es noch von Bedeutung es zu versuchen.
Das war, bevor die völlige Dunkelheit, die undurchlässige Schwärze in Leib und Seele und die Hoffnungslosigkeit sich ihren Weg in mein Leben bahnten. Bevor ich angefangen hab, "Augen zu und durch" zu denken und die Luft einfach mal anzuhalten.

Meine positive Charaktereigenschaft? Anpassungsfähig
Anpassungsfähig an eigentlich nicht anpassbaren Sytemen und Strukturen.
Die Möglichkeit sich mit wiederkehrenden Schmerz zu arrangieren und selbst das Ertrinken zu akzeptieren.
Nicht nur zu akzeptieren, ja sogar meinen Frieden darin zu finden.
Und somit tu ich was? Ich sinke
Und nehme Platz neben der versunkenden Stadt voller Potenzial, was jedoch nie erkundet werden konnte und alten Schiffen, die es nie an ihr Ziel geschafft haben; fast so wie ich.
Voller Eifer gestartet, kläglich gescheitert, versunken in der Dunkelheit des Ozeans und dann für immer verschwunden und nie vermisst.

Meine Augen gewöhnen sich an die Schwärze und Hoffnungslosigkeit.
(Hab mit meiner Anpassungsfähigkeit nicht zu viel versprochen, oder?)
Fange an mehr durchzublicken, zu Schwimmen und mit Skeletten zu tanzen.
An die Oberfläche, an die denke ich gar nicht mehr. Dort vermisst man mich genauso wenig, wie die hier schon Jahrhunderte liegenden Schiffswracks.

Wer hätte gedacht, dass Salzwasser doch so süß schmecken kann?
Endlich ganz unten am Meeresboden angekommen, da durchflutet mich das Wasser  von Innen und die Dunkelheit kommt zurück.
Diesmal aber ist es eine unbekannte Dunkelheit; eine schon fast friedliche.
Wenn man schon ganz unten ist, kann man zumindest nicht tiefer sinken.
Das war es also, das Ende. Weiter geht es nicht. Vorbei. Alles.
Das war es also, endlich angekommen, friedliche Dunkelheit.

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