Kapitel 4

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Lange Zeit flog ich einfach durch die Wolken, ohne Orientierung, ohne Ziel. Ich stand unter Schock. Innerhalb eines einzigen Tages war die Welt, wie ich sie kannte, entwurzelt und zerrissen worden. Ich hatte mein Zuhause verloren, meine Familie, meine Freunde. Und zu allem Überfluss war ich auch noch verletzt und hatte keine Ahnung, wo ich hinfliegen sollte, wo ich ein sicheren Ort finden würde.

Mit der Zeit hatte sich der leichte Westwind vom Vormittag zu Sturmböen entwickelt. Es wurde  immer schwieriger für mich, gegen den Wind anzufliegen. Dann begann es auch noch zu Regnen. Na toll. Jetzt werde ich sogar noch nass.

In dem Moment erfasste mich der Wind und wirbelte mich in der Luft herum. Schnell hatte ich die Orientierung verloren, wusste nicht mehr wo oben und wo unten war. Ich konnte nicht gegen den Sturm ankämpfen und spürte, wie ich schnell immer tiefer trudelte. Schon bald konnte ich unter mir die raue See erspähen. Blöder Sturm! Ich habe es doch wirklich schon schwer genug!  Das war das letzte was ich dachte, bevor ich ins Meer stürzte und die Wellen über mir zusammenschlugen.

Stundenlang trieb ich im Meer, kämpfte mich an die Oberfläche, sobald die Wellen mich unter Wasser zogen und hielt Ausschau nach Land. Ich hatte wirklich keine Kraft mehr, zu fliegen. Wieder ging ich unter, doch als ich diesmal auftauchte, konnte ich am Horizont Umrisse erkennen. Land, endlich! Doch es dauerte weitere Stunden, bis ich die Insel endlich erreicht hatte. Am Strand brach ich erneut zusammen, meine Kräfte hatten mich endgültig verlassen.

Als ich aufwachte, schien die Sonne warm auf meine schwarzen Schuppen. Ich hörte Vögel zwitschern und Wellen sanft ans Ufer spülen. Alles wirkte so irreal, so unwirklich friedlich. Doch als ich mich umsah stellte ich fest, dass ich immer noch genau da lag, wo ich zusammengebrochen war. Es war also doch kein Traum. Ich seufzte, dann stand ich vorsichtig auf. Immerhin fühlte ich mich wieder kräftiger, nachdem ich so lange geschlafen hatte. Oder bewusstlos war. Wie auch immer.

Nun nahm ich mir die Zeit, diesen dämlichen Pfeil aus meiner Flanke zu ziehen, der dort tatsächlich immer noch steckte. Es tat verdammt weh, aber ich war froh, als er draußen war und schleuderte ihn mit meiner Schwanzflosse ins Meer. Sekunden später meldete sich mein Magen, um mir mitzuteilen, dass ich sein Ewigkeiten nichts mehr gegessen hatte. 

Ich brauchte nicht lange, um mir einige Fische zu fangen. Sie schmeckten nicht so gut wie die in meinem Zuhause, aber sie machten satt. In meinem alten Zuhause dachte ich und mir wurde schmerzlich bewusst, dass ich nun wirklich heimatlos war. Ich beschloss die Insel zu erkunden, um mich abzulenken.

Gegen Mittag hatte ich einiges herausgefunden. Erstens, die Insel hatte einen großen Wald mit einigen Seen, der größte lag in einer Art Krater im Westen der Insel. Zweitens, es gab viele Verstecke und genug Futter auf der Insel, um eine ganze Drachenarmee zu ernähren. Drittens, im Osten der Insel war ein Zweibeinerdorf. Ein verdammtes ZWEIBEINERDORF! Und das gerade als ich dachte, ich hätte eine gute Insel gefunden. Das ist mal wieder typisch. Ich kann ja nicht ein Mal im Leben Glück haben. Ich war jedoch immer noch ein wenig erschöpft von den vergangenen Ereignissen, also entschloss ich mich dazu, vorerst auf der Insel zu bleiben, so weit weg vom Dorf, wie es nur ging.

Der letzte Nachtschatten - pausiertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt