Kapitel 3

7 0 0
                                    

Gegenwart

Seit zwei Wochen haben wir wieder Schule. Ich sehe Frau Pierce jetzt wieder öfters und das macht mich zwar glücklich aber mir geht es allgemein trotzdem immer schlechter. In letzter Zeit habe ich so oft überlegt mit ihr darüber zu reden aber ich weiß nicht ob das nicht komisch wäre ohne Grund zu ihr zu gehen und zu erzählen, dass es mir nicht gut geht. Ich meine sie hat das nie angeboten oder so. Allerdings ist sie ja Pädagogin deswegen sollte sie damit umgehen können. Ich nehme mein Handy in die Hand und schreibe Luna, dass es mir nicht gut geht. Sie antwortet sofort und fragt was los ist. Ich erzähle ihr, dass ich in letzter Zeit wieder oft ans Selbstverletzen gedacht habe und, dass ich mich wieder so leer fühle. Ich erzähle auch, dass ich so oft das Gefühl habe, dass mein Leben einfach an mir vorbei zieht, ohne dass ich es wirklich mitbekomme. Ich überlege ob ich ihr von Frau Pierce und meinen Gefühlen erzählen soll. Ich weiß, dass Luna mich niemals dafür verurteilen würde und sie auch niemanden etwas sagen würde. Ich entschließe mich dazu, ihr von meinem Gefühlen zu berichten.

Lina ich muss dir was sagen. Halte mich jetzt bitte nicht für verrückt aber ich glaube ich habe Gefühle für eine meiner Lehrerinnen entwickelt und seit es mir wieder schlechter geht überlege ich immer öfter, ob ich mit ihr darüber reden soll. Ich will sie aber nicht damit nerven/belasten und das Problem ist, dass sie auch nie sowas in der Art angeboten hat (also das wir ihr schreiben können wenn es uns nicht gut geht) und ich weiß nicht ob das komisch wäre wenn ich einfach zu ihr gehen würde oder ihr schreiben würde.

Mein Puls erhöht sich beim absenden der Nachricht. Ich lege mein Handy zur Seite und starre für einige Zeit an die Decke. Ich denke darüber nach, was das schlimmste wäre was passiert, wenn ich zu Frau Pierce gehe. Ich nehme mein Handy wieder in die Hand aber nur um Musik anzumachen. Ich sehe zwar, dass Luna mir geantwortet hat aber ich lese ihre Nachricht nicht durch. Ich entscheide mich dazu ihr später zu antworten. Ich lege mich hin und schließe meine Augen. Ich denke daran, wie glücklich ich als Kind gewesen war. Auf allen Kinderfotos von mir habe ich ein breites Grinsen. In Videos sieht man mich eigentlich auch nur lachen. Ich frage mich, was sich in den letzten Jahren geändert hat und warum ich mich jetzt so leer fühle. Nicht mal mehr weinen kann ich seit mehreren Monaten. Selbst wenn ich eigentlich glücklich bin beziehungsweise glücklich sein sollte fühlt es sich gedämpft an. Als würde ich positive Emotionen nicht wirklich spüren können. Dafür sind dann die negativen Emotionen und Gedanken so intensiv, dass ich das Gefühl habe sie würden mich erdrücken. In solchen Momenten habe ich mich früher oft selbstverletzt. Ich bin aber seit zwei Monaten clean, was nicht heißt dass ich nicht mehr den Drang verspüre oder nicht mehr dran denke. Bis jetzt konnte ich aber dagegen ankämpfen aber um ehrlich zu sein weiß ich nicht wie lange ich das noch schaffe. Vor allem in den letzten Wochen denke ich wieder oft daran. Viel zu oft. Ich öffne meine Augen wieder und lese die Nachricht von Luna. Sie hat geschrieben, dass sie nicht denkt, dass ich verrückt bin und mich ermutigt Frau Pierce zu schreiben oder sie anzusprechen. Sie hat mich gefragt wann ich sie wieder regulär im Unterricht habe. Ich antworte ihr, dass ich froh darüber bin, wie sie reagiert hat. Ich schreibe, dass ich sie übermorgen im Unterricht habe. Wir beschließen, dass ich sie einfach nach der nächsten Stunde ansprechen und fragen soll, ob sie kurz Zeit hat. Um ehrlich zu sein habe ich riesige Angst davor. Was wenn sie nicht mit mir reden will? Wenn sie mich sofort weg schickt oder mir sagt ich soll mir woanders Hilfe suchen? Vielleicht denke ich zu viel drüber nach und mache mir zu viele Gedanken, vielleicht aber auch nicht. Ich schaue auf die Uhr.
22:36
Eigentlich sollte ich jetzt schlafen gehen. Ich gehe ins Bad und mache mich bettfertig. Währenddessen denke ich ununterbrochen über Frau Pierce und meinen Plan nach. Ich weiß nicht, ob ich wirklich die Mut haben werde zu ihr zu gehen. Aber wir werden sehen. Vielleicht wird ja alles gut? Vielleicht aber auch nicht. Erschöpft lege ich mich wieder ins Bett. Ich schließe meine Augen und versuche einzuschlafen aber es klappt nicht. Ich liege bestimmt eine halbe Stunde einfach regungslos da. Irgendwann nehme ich wieder meine Kopfhörer und mein Handy und höre erneut Musik. Gerade ist wieder so ein Moment, in dem ich mich leer beziehungsweise schon fast wie taub fühle. Ich bekomme zwar theoretisch alles mit aber es ist wie als würde ich alles durch einen Schleier sehen und fühle. Wobei ich gerade nicht mal etwas fühle. Außer vielleicht Leere, aber ich weiß nicht ob man das unbedingt als Gefühl bezeichnen kann.
Wieso kann ich nicht einfach wie jeder andere Mensch sein? Wieso kann es mir nicht einfach gut gehen? Wieso geht es mir für ein paar Tage, ja vielleicht sogar Wochen gut aber dann falle ich wieder in ein Loch und es fühlt sich so an als würde ich jedes Mal tiefer fallen. Ich habe einfach keine Motivation und Kraft mehr zu versuchen, dass es mir irgendwie besser geht. Manchmal denke ich, dass es vielleicht leichter wäre, wenn ich einfach sterben würde. Eigentlich will ich mir mein Leben nicht nehmen aber wenn ich wüsste, dass ich wenn ich morgen meinen normalen Schulweg gehe von einem Auto überfahren werde und sterbe, würde ich nichts dagegen tuen. Ich würde mich sogar erleichtert fühlen, dass mein Leben endlich vorbei ist. Alles wäre so viel leichter.  Unzählige Male habe ich mir schon gewünscht von einem Auto angefahren zu werden oder auf irgendeine andere Weise bei einem Unfall zu sterben. Dann hätte ich keinen Suizid begannen, aber ich wäre trotzdem gestorben. Ich habe mir auch schon öfter vorgestellt, wie mein Umfeld reagieren würde wenn ich tot wäre. Ich seufzen und atme tief aus und ein. Ich gucke auf die Uhr und sehe, dass es bereits nach ein Uhr ist. Ich versuche nochmal einzuschlafen und dieses Mal funktioniert es zum Glück innerhalb von 20 Minuten.

as deep as the pacific ocean Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt