Kapitel 2 - Wiedersehen

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,,Ja, ja, ich hab's verstanden..." Nevan grummelte und verdrehte die Augen, während seine Mutter nur wiederholt seufzte, und die Stirn runzelte. ,,Nein, du hast es nicht verstanden, Nevan. Du kannst die Firma nicht mit diesen Noten übernehmen. Du kannst mit einem solchen Notendurchschnitt nicht einmal die Stufe schaffen!"

Er stand von seinem Stuhl auf und trat zu seiner Mutter. ,,Mom, du musst dir keine Sorgen machen, ich habe bereits einen Mitschüler um Hilfe gebeten." Sie sah mit hoffnungsvollen Augen zu ihrem Sohn. ,,Wirklich?" Er nickte, ,,Ja, und jetzt hör' auf deine Stirn so zu runzeln, sonst bekommst du noch mehr Falten." Seine Mutter lachte auf und sagte noch etwas, doch Nevan nahm das nicht wahr.

Seine Gedanken waren voll und ganz bei seinen Noten. Das mit der Hilfe von einem Mitschüler war natürlich gelogen, sein Ego war viel zu groß, um einen aus der Schule für Hilfe zu fragen. Doch die brauchte er, ziemlich dringend sogar. ,,Ich geh' raus", sagte er kurz angebunden und lief förmlich nach draußen, er achtete auch gar nicht mehr auf seine Mutter, die ihm noch etwas zurief.

Er schwang sich auf sein Motorrad und fuhr los. Irgendwohin, Hauptsache er vergaß seine Probleme, auch wenn nur kurz.

Er beschleunigte und fühlte sich für die Momente, als er über die Straßen raste, so glücklich und unbeschwert. Es war ein unglaubliches Gefühl, eines, das er leider viel zu selten verspürte.

An einer Ampel machte er halt, und spürte den Druck an seiner Seele, der mit jeder Sekunde, die er länger stehen blieb, schwerer wurde. Er seufzte und sah sich um, da stach ihm jemand ins Auge. Es war das Mädchen von der Tankstelle, die er mit Zelos und den anderen "ausgeraubt" hatte.

,,Hey, kleine!" Er wusste nicht, wieso er sie rief, wahrscheinlich nur weil er sonst nichts zu tun hatte, redete er sich ein. Entgegen seinen Erwartungen drehte sich das Mädchen zwar um, doch lief in dem Augenblick, in dem sie ihm in die Augen sah, weiter, immer schneller.

In dem Moment wurde die Ampel grün, und Nevan holte die Braunhaarige schnell ein. Genau zum richtigen Zeitpunkt, dachte er sich.

Er wurde langsam, und sie schneller, doch ehe sie überhaupt gucken konnte, hatte Nevan ihr Handgelenk ergriffen. Es war bereits Nacht, die Straßen waren kaum noch befahren, was machte sie also noch hier draußen?

,,Kleine? Ignorierst du mich etwa?" Er grinste und sah ihr in die Augen, doch sein Blick wurde nicht erwidert. ,,Ganz genau", antwortete sie jedoch, und versuchte, sich loszureißen, doch Nevans Griff blieb eisern. Ein paar Autos hinter ihm hupten, aber er ignorierte es gekonnt. Sollten sie halt  um sie herum fahren, es gab sowieso kaum Gegenverkehr.

,,Was macht so ein kleines Mädchen wie du um diese Uhrzeit noch auf den dunklen Straßen?" fragte er und legte den Kopf schief. Er spürte, wie sie anfing zu zittern, was ihn nur noch mehr grinsen ließ. ,,Hast du etwa Angst vor mir?" Belustigt hoben sich seine Augenbrauen, als sie hektisch den Kopf schüttelte. ,,Dann hast du ja sicher nichts dagegen aufzusteigen, oder?" Um seine Worte zu unterstreichen, klopfte er auf den Platz hinter sich.

Sereia schluckte einmal, ehe sie sich traute zu antworten. ,,Du hast keinen zweiten Helm." Nevan lachte auf und zog sich den, den er auf hatte, vom Kopf.

Sereia wusste nicht, warum er das tat. Wieso zeigte er ihr sein Gesicht? War das nun ein Vorwand, um sie für ewig gefangen zu halten? Oder wollte er sie nun verschleppen und in einer dunklen Gasse umbringen?

Er ließ ihr Handgelenk los und stülpte ihr den Helm über. Er fühlte sich schwerer auf ihrem Kopf an, als sie immer angenommen hatte. ,,Siehst du, da hast du deinen Helm", meinte er, ,,Jetzt steig' auf." Sereia schüttelte den Kopf. ,,Ich hab sowas noch nie gemacht." murmelte sie und sah, wie Nevan anfing zu grinsen. ,,Dann wird das jetzt dein erstes Mal", er stieg vom Motorrad, jetzt stand er genau vor ihr, und Sereia konnte gar nicht anders als ihm das erste Mal an diesem Abend wirklich in die Augen zu sehen. Und seine Seelenspiegel waren wortwörtlich so atemberaubend, dass Sereia für einen Moment vergaß zu atmen.

Plötzlich spürte sie, wie sie hochgehoben wurde, und gab ein hohes Quietschen von sich. ,,W-was machst du?" stammelte sie, und fühlte, wie sie abgesetzt wurde, am Motorrad, und sofort schwang sich auch Nevan rauf. ,,S-solltest du nicht eigentlich v-vorne sitzen?" Sie spürte seinen Atem auf ihrem Ohr und fühlte, wie sich sein Körper gegen ihren presste. ,,Keine Sorge, ich bin ein guter Fahrer, außerdem bist du klein genug, dass ich etwas sehen kann."

Nevan gab Gas und Sereia fühlte sich augenblicklich wie verzaubert. Die kühle Nachtluft peitschte ungehindert gegen ihr Gesicht, die anfängliche Angst war verschwunden, nur das Gefühl von Freiheit und Sorglosigkeit machte sich in ihr breit. 

Doch so schnell wie es da war, war es auch wieder weg. 

,,W-warte mal, wo fahren wir ü-überhaupt hin?"


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