Kapitel 3-♕

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Meine volle Aufmerksamkeit wurde von seinen Augen gefesselt. Dieses stechend distanzierte grau-grün glich einem Wald an einem wilden Wintertag. Vor meinen Augen bildet sich das Bild von einem grauen Nebel, der sich dicht über den Wald legt und mit dem dunklen Grün der Nadelbäume konkurriert. Es müssen lediglich einige Sekunden vergangen sein, doch für mich fühlten sich die Sekunden wie Minuten an. Durch die bisher ruhige Luft ertönte die feste Stimme von König Amres.
   "Ophelia Atkins, Bewohnerin des Frühlingshofes, Willkommen am Mitternachts-Hof. Ich hoffe, der Ritt war nicht zu anstrengend für die zarten Hände einer jungen Dame."
Unbewusst entwich mir ein leises Schnauben. Ich war nicht einmal fünf Minuten an diesem lächerlichen Hof und schon drängten meine Beine in Richtung Sattel, um mein Pferd in Richtung Heimat zu lenken. Meine weit geöffneten Augen, die mit einer hochgezogenen Augenbraue meinen Gemütszustand widerspiegelten, wanderten zu dem nächsten Anwärter des dunklen Königreichs. Dieser verzog keine Miene und starrte mit seinen leeren Augen durch mich hindurch. Perfekt, ein patriotischer Möchtegern-König und ein depressiver, abwesender Prinz.
   "Wilson Price, unser zukünftiger König und gleichzeitig mein Sohn, wird dich höchstpersönlich durch unsere Hallen führen und dir dein zugewiesenes Zimmer zeigen". Sein Kopf wandte sich bestimmend seinem Sohn zu. Dieser gab endlich ein Lebenszeichen von sich und nickte desinteressiert. Ich holte tief Luft. Ein, und aus. Immer wieder. Und wieder.
Mein erfolgloser Versuch der Beruhigung wurde von einem Klatschen unterbrochen. König Amres Hände knallten laut aufeinander und es erklang erneut seine rauchige Stimme.
   "Dann ist ja jetzt alles geklärt. Nun müssen wir nur noch auf den letzten Bewohner warten... Wie hieß er noch gleich, Julius?" Seine Frage richtete sich an einen schlaksigen jungen Mann, einige Meter weiter entfernt. "Tristan, mein Herr", stotterte dieser mit zögernder Stimme.
   "Aber natürlich, Herr Tristan Blake", er lachte und fuhr fort "wenn sein Charakter so langsam ist wie seine Reitkünste, wird der Aufenthalt recht träge werden!"
Angewidert von seinen Aussagen, wandte ich meinen Blick ab, denn sonst hätte ich entweder würgen müssen oder wäre versucht gewesen, seine arrogante Zunge mit meinem Schwert zu durchtrennen. Da ich weder erschien bin, um Freundschaften zu schließen, noch, um einen positiven Eindruck zu hinterlassen, ging ich kühl an der Majestät, seinem Sohn und der kompletten Dienerschaft vorbei. Kurz vor dem Tor hielt ich inne und wandte mich an Prinz Wilson: "Was jetzt? Zeigen Sie mir nun mein Zimmer, oder muss ich es selbst finden?" Das war das erste Mal, dass ich Wilson mit einem Schmunzeln auf seinen zärtlich rosa Lippen sah.

Als ich durch die Tore des Schlosses trat, wurde mir sofort bewusst, dass dies kein Ort war, an dem ich mich jemals zuhause fühlen würde. Ich setzte einen Fuß vor den anderen und erblickte meterhohe Decken. Sie gingen so hoch, dass ich dachte, sie würde bis in die Wolken reichen. Wolken waren definitiv angenehmer als diese dunklen kalten Mauern. Grauer Stein zeichnete sich überall ab und sperrte mich in mein neues Zuhause ein. Mein Blick wanderte durch das Foyer, um irgendetwas Angenehmes an diesem Ort zu finden, doch nein, hier war nichts, was mich an Menschlichkeit oder an mein altes Zuhause erinnerte. Wilson Price stand vor mir, ein spöttisches Lächeln auf den Lippen. "Willkommen in unserem bescheidenen Anwesen, Ophelia", sagte er mit einem Hauch von Arroganz in der Stimme. "Wie du eben mitbekommen hast, wird das für die nächste Zeit dein Zuhause sein."
  "Das ist und wird nie mein Zuhause sein.", ich wollte die Worte mit Abscheu aussprechen, doch ich flüsterte sie eher zu mir, als sie an ihn zu richten.
  "Also..", versuchte es seine Hoheit erneut, "ich habe auf das ganze Spiel hier auch keine Lust, glaub mir. Du kannst überall langlaufen, wo du willst, doch es gibt drei Regeln. Quatsch mich nicht unnötig an und geh mir einfach aus dem Weg, dann haben wir auch kein Problem."
Es war mir ja schon zu blöd zu fragen, aber ich tat es trotzdem und sagte mürrisch: "Das waren zwei Regeln."
  "Hm?", kam es desinteressiert von ihm. Toll, er hatte mir nicht einmal zugehört. Klasse. Ganz klasse.
Ich seufzte missbilligend. "Du hattest was von drei Regeln gesagt. Das waren erst Zwei, Sherlock."
Nun hatte ich offenbar doch seine Aufmerksamkeit, denn seine müden Augen nahmen einen komischen Blick an." Renn mir nicht wie ein verliebter Welpe hinterher"
Ich konnte nicht anders, als mit meinen Augen zu rollen. Dieser Prinz war genauso arrogant wie sein Vater. Na schön, Wilsons Aussehen war jetzt nicht ganz abschreckend, doch niemals würde ich, wie ein seiner lächerlichen Frauen hinter ihm herlaufen, nur damit er Notiz von mir nimmt. Allein bei dem Gedanken könnte ich mich übergeben. Ich rümpfte die Nase und wand meinen Blick ab. Die Räume waren glücklicherweise groß genug, um ihn aus dem Weg zu gehen. Ich werde definitiv nicht ihre Gefangene sein, obwohl ich es gezwungenermaßen bin. Meine Lederkluft wärmte mich etwas, als ein kalter Windhauch an meinem Nacken vorbeizog.
  "Ich mache das nur, weil mich mein Vater darum gebeten hat.", gab er mir zu verstehen, als er seinen Arm hob, um mir den Weg vorzugeben. Ich rollte mit den Augen und ging an seinem ausgestreckten Arm vorbei. "Und du machst immer, was dir dein Daddy sagt?", fragte ich ihm beim Gehen. Ich war tatsächlich etwas traurig darüber, dass ich seinen Gesichtsausdruck dabei nicht erkennen konnte, da er mich überholt hatte und nun vor mir ging. Ich vernahm ein Schnauben und anscheinend beließ er es dabei. Während wir durch die langen Flure liefen, meinte Wilson auf einmal Small Talk zu führen. "Wie gefällt es dir bisher bei uns? Ich hoffe doch sehr, dass du dich ein wenig amüsieren kannst." Meine Antwort kam scharf und direkt "Nicht besonders." Wilson lachte nur leise über meine Direktheit. Er schien meinen Widerstand herauszufordern. Schließlich erreichten wir mein neues Zimmer - klein und düster im Vergleich zu meinem alten Zuhause. Als Wilson sich umdrehte, um zu gehen, fragte er mit einem Grinsen:   "Brauchst du Hilfe beim Einrichten?" Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn herausfordernd an. "Witzig", antwortete ich gespielt. Mit einem letzten spöttischen Blick verabschiedete sich Wilson von mir und ließ mich allein zurück in diesem feindlichen Territorium aus Steinmauern und Intrigen. Die Zeit hier wollte ich schnell hinter mich bringen - auch wenn dieser attraktive Prinz wohl noch einige Überraschungen für mich bereithalten könnte...


Ich war nun endliche allein. Sosehr ich mich darüber freute, desto erschreckender wurde das Gefühl. Ab jetzt werde ich immer allein sein. Ich konnte mich nur auf mich selbst verlassen, weshalb ich hier keine Freundschaften eingehen wollte. Eins wusste ich, und zwar, dass ich keinem hier vertrauen konnte. Erst würden sie nett zu mir sein und ehe ich mich versehe, hätte ich ein Messer im Rücken. Messer. Mit schnellem Griff kontrollierte ich meine Dolche am Körper. Sie waren alle noch da. Zusammen mit meinem großen Schwert am Rücken fühlte ich mich etwas sicherer. Meine schweren Taschen waren noch bei meinem Pferd, obwohl ich nicht glaubte, dass ein paar von meinen Habseligkeiten hier etwas Geborgenheit in das Zimmer bringen könnten. Langsam begann ich mir diesen Raum näher anzuschauen. Blieb an jedem Kratzer in der Felswand und an jedem dunklen Fleck hängen. Ich wollte mir alles einprägen. Neben diesen Belanglosigkeiten hielt ich nach Fluchtmöglichkeiten Ausschau, doch es schien aussichtslos. Hier würde ich nicht mehr herauskommen. Meine Gedanken drifteten zu meiner Familie ab. Ich stellte mir vor, dass meine Mutter seelenruhig in der Schneiderei arbeitete. Sie saß immer in ihrem alten Lieblingssessel und stickte ein Muster auf ein Stück Stoff. Seit ich denken kann, war sie kreativ begabt und war somit das Herzstück der Schneiderei. Amy kam ganz nach ihr, sie saß meistens neben meiner Mutter, auf einem kleinen Hocker und summte ein Lied, welches uns unsere Mutter immer vorgesungen hatte, während sie ihre eigene Stickerei betrachtete. Meine Mutter sang dieses Lied, als wir noch kleiner waren. Ich vermisste die Sicherheit und meine Familie, weshalb ich mich an diesem Lied festhielt, wie eine Rettungsleine vor dem Ertrinken. Schwer ließ ich mich auf mein steinhartes Bett fallen. Die Matratze glich eher einem Steinboden als einer federweichen Unterlage. Die nächsten Nächte werde ich definitiv nicht viel Schlaf bekommen. Ein dumpfes Geräusch von großen Toren hallte durch die Gänge und ich wusste es: der andere Auserwählte war angekommen.

Tears of fearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt