Kapitel 2-♕

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Der Ritt zog sich in die Länge und ich musste zugeben, dass es so langsam verdammt langweilig wurde. So langweilig, dass ich viel Zeit zum Nachdenken hatte. Den Austausch wollte ich nicht akzeptieren, doch das würde nichts an der Situation ändern. Der einzige Lichtblick in meinen dunklen Gedanken war, dass Tristan, der andere Auserwählte, ebenfalls den Ritt mit mir antrat. Ich musste mich mit ihm gut stellen, denn ich würde ihn als meinen Verbündeten brauchen. Vielleicht könnten wir zusammen entkommen und so dem ganzen Drama entfliehen. Die Bäume zogen immer weiter an mir vorbei, bis wir vor einem imposanten Palast haltmachten. Mein Pferd streckte seinen Kopf und wieherte, als ob es seinem König die Ehre erweisen wollte. Die Wachen hatten während der Reise Stillschweigen bewahrt, daher überraschte es mich nicht, dass sie auch bei der Ankunft kein Wort mit mir wechselten. Vielleicht war das sogar besser so, denn so musste ich mir ihre belanglosen Aussagen nicht anhören und konnte meine Ohren vor diesen Schwätzereien bewahren. Mit angewidertem Schnaufen betrachtete ich die Situation. Plötzlich durchzuckte es meinen Körper, als sich das prunkvolle Tor, vor dem wir standen, öffnete und den Blick auf einen königlichen Vorgarten freigab. Links und rechts vom Schotterweg befanden sich Sträucher und Bäume, die mit kleinen Laternen und Lichtern geschmückt waren. Sie waren so hell, dass sie selbst bei Tageslicht königsblau erstrahlten. Das Licht spiegelte sich auf dem Weg wider. Ich wollte mir alles rasend schnell einprägen, denn die Route könnte bei meiner Flucht nützlich sein. Ich wusste nicht, ob der König Tristan und mir jemals erlauben würde, den Palast zu verlassen. Mit jedem Huftritt wurde mir immer bewusster, dass dies die Realität und meine Zukunft war. Ich lauschte den wehenden und raschelnden Blättern im sanften Nachmittagswind und erblickte weiter hinten im Garten einen riesigen Springbrunnen. Er war mit Silber verziert und hatte atemberaubende Verzierungen. Einzelne Perlen des Wasserstrahls flogen durch die Luft, und es sah so aus, als ob die Luft funkelte. Im Bann der Schönheit des Brunnens vergaß ich beinahe, dass wir nun vor dem großen Eingangstor standen. Mein Pferd setzte seine Tritte aus und auch die Wachen hielten an. Sie schwangen sich beide vom Pferd, und ich tat es ihnen gleich. Jetzt war es so weit. Ich merkte, wie sich mein Atem beschleunigte und die zuvor so elektrisierende Luft plötzlich ganz dünn wurde. Mir fiel auf, dass der Eingang nicht dekoriert war. Natürlich war mir bewusst, dass sie meine Ankunft nicht begrüßen würden, doch ich hatte schon mit einer Kleinigkeit gerechnet, wenn man bedenkt, dass die Bewohner der Frühlingslichtung jedes Jahr Blumen sammelten und Girlanden für die Auserwählten zusammenstellten. Dass es keine Dekoration gab, spiegelte erneut das traurige Leben im Mitternachts-Wald wider. Die Wachen rührten sich keinen Millimeter. Sollte ich nun auf das Tor zugehen? Was sollte ich dann machen? Einfach klopfen? Das war gewiss nicht der richtige Weg, obwohl es mir gleich war, ob ich die Sitten des Waldes befolgte.
Mit einem donnernden Geräusch öffneten sich die Flügel des Tores und darin standen der König selbst und eine weitere Person. Der König war so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Er war von einem dicken schwarzen Mantel eingehüllt und trug sein Schwert um den Körper, welches genauso glänzte wie die Krone auf dem Kopf. Die Krone war mit blauen Edelsteinen besetzt, die denselben Farbton hatten wie die Lichter im Vorgarten. Mein Blick richtete sich auf seinen Begleiter. Er war nicht gerade kleiner als der König und trug eine Uniform, die sich an seinen athletischen Körper schmiegte. Die braunen welligen Haare fielen ihm zum Teil ins Gesicht und verdeckten seine grau-grünen Augen, die desinteressiert wirkten.
Das musste Prinz Wilson sein.

Tears of fearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt