Nicht aus dem Kopf

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Kapitel 15

Ian

Es war kein guter Tag. Ian konnte sich allerdings auch nicht daran erinnern, dass irgendein Freitag für ihn jemals gut gewesen wäre. Während sich andere auf das nahende Wochenende freuten, begann für ihn selbst am Freitag das Grübeln darüber, wie er seine Arbeit erledigen konnte, wenn doch alle anderen um ihn herum freihatten.

Wenn Ian dann zu dem Schluss kam, dass er rein gar nichts tun konnte, begann die Langeweile. Eine Langeweile, die meist schon am späten Freitagnachmittag seinen Höhepunkt erreichte und damit endete, dass er sich verzweifelt daran versuchte nützlich zu sein. Meist bedeutete das, dass er sich durch einen weiteren kaum machbaren Workout quälte oder seine Schwester durch die Gegend fuhr, um zumindest etwas Zeit mit seiner Familie zu verbringen, aber warum es ihn ausgerechnet heute zum Universitätscampus führte, wusste er nicht wirklich.

Lola war längst nicht mehr hier. Seine Schwester war von seinem Vater zu irgendeiner Gala eingeladen worden, für die sie die Hälfte des Tages dann der Uni hatte, schwänzen müssen, um sich darauf vorbereiten zu können.

Warum also stand er hier und starrte den nie abbrechenden Strom von kommenden und gehenden Studenten an, als würde er jemanden suchen? Sich selbst einzugestehen, dass er tatsächlich nach jemanden bestimmten Ausschau hielt, fiel ihm schwer.

Aber es war so. Emily. Er bekam sie einfach nicht aus dem Kopf. Weder jetzt noch die vergangene Nacht, die er eigentlich mit Donna hatte verbringen wollen. Vielleicht hätte der Sex mit Donna endlich dafür gesorgt, dass er dieses Mädchen endlich vergaß, aber gut der Sex rein körperlich wohl auch geworden wäre...er wollte sie nicht. Er wollte Donna weder in seinem Bett, noch sein Leben mit ihr verbringen und das alles hatte alleine sie zu verantworten: Emily.

Während Ian auf dem Parkplatz stand und weiter unwillkürlich jeden Winkel nach dem Grund seiner Rastlosigkeit absuchte, begann es zu regnen. Heftig, genauso als wolle der Himmel selbst seinen Gemütszustand unterstreichen. Er hatte keine Ahnung, was er machen sollte. Er wollte Emily dieses Patent nicht durch Erpressung oder etwas anderen abluxen und selbst wenn er es einfach so bekam, wollte er es nicht seinen Vater übergeben. Auf keinen Fall. Es musste eine andere Lösung geben. Doch sein Zeitplan war knapp und brachte seine Familie in Bedrängnis. Ian hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Und das gefiel ihm nicht. Er der für alles Pläne schmiedete und vielleicht einen kleinen Kontrollzwang hatte.

Die Studenten rannten in die einzelnen Universitätsgebäude oder auf ihre Wagen zu und Ian legte stöhnend den Kopf in den Nacken. Regen. Ja, das passte genau zu seiner Stimmung. Er sollte dies, als Aufforderung sehen, von hier zu verschwinden und sich dieses Mädchen auf den Kopf schlagen. Vielleicht auch endlich damit anfangen, die nötigen Schritte einzuleiten, um an dieses Patent zu kommen, doch er rührte sich nicht.

Für einen Moment betrachtete er geradezu hypnotisiert, wie die Tropfen auf die Frontscheibe seines Wagens fielen und stellte fest, was genau in an Emily interessierte. Sie war wie dieser Regen: Unbequem und eigentlich ein Ärgernis, brachte aber dennoch eine kühle frische mit, die ihm guttat. Scheiße. Wenn er so weiter machte, konnte er unter die Poeten gehen und es gab kaum etwas ihn mehr der Lächerlichkeit preisgeben würde.

Er war nie in seinem Leben wirklich an eine Frau interessiert gewesen, dass gerade diese Hexe es so leicht zus schaffen schien, wo er sie doch kaum kannte beunruhigte ihn. Wurde er schwach? Sentimental? Beides keine guten Optionen in seiner Situation.

Als Ian es endlich geschafft hatte sich einzureden, dass er diesen Unsinn zu beenden musste und seinen Wagen drehte, um nach Hause zu fahren, fiel ihm ein Mädchen an dem Fahrradständer der Bibliothek auf. Sie trug einen Hoodie und einer Windjacke an und hatte sich die definitiv nicht Regenfeste Kapuze über den Kopf gezogen. Doch Ian sah die blonden, langen Locken, die darunter hervorlugten und vor allem welche Mühe das Mädchen hatte bei dem Regen, ihr Fahrrad aufzuschließen. Einen Schirm, mit dem sie sich schützen konnte fehlte komplett. Das war Emily. Sie musste es sein. Emily, das erfrischende Ärgernis.

Eine Weile beobachtete Ian das Spektakel und hielt sich davon ab zu ihr zu eilen und ... ja was zu tun? Er hatte sich nicht gerade beliebt bei ihr gemacht und damit würde sie sicher nicht positiv auf ihn reagieren. Es war definitiv besser, einfach nach Hause zu fahren, wie er es geplant hatte. Vielleicht konnte er ihr mit etwas Abstand folgen, um sicherzugehen, dass sie mit ihrem Fahrrad nicht stürze, aber er sollte definitiv nicht aus seinen Wagen aussteigen und zu ihr gehen. Definitiv. Das wusste Ian und dennoch traf ihn der Regen direkt ins Gesicht, als er die Tür öffnete und zu ihr eilte. Dumm. Dumm. Dumm. Es war dumm und doch...

Ian hielt inne, als er einen Blick auf ihr Gesicht erhaschte und feststellte, dass sie nicht nur nass war. Sie weinte. Sie hatte sich gerade vom Fahrradschloss erhoben, hielt einen abgebrochenen Schlüssel in der Hand und dabei liefen ihr die Tränen über die Wangen.

Was war los? Sie weinen zu sehen stellte etwas mit ihr an, dass er nicht beschreiben konnte. Er hatte Emily bereits wütend, frustriert und auch desinteressiert erlebt. Aber Tränen? Nein, ein Mädchen wie sie weinte nicht weinfach. Sie mag wie eine zerbrechliche Puppe aussehen, aber tief in ihren inneren war sie kein Kätzchen, sondern eine Löwin. Eine, die eine Gazelle zu fall brachte, ohne um sie zu weinen.

"Emily!" rief Ian ihr zu. Zu seiner Überraschung drehte Emily sich zwar zu ihm um und begegnete seinem Blick, aber sie sah weder wütend noch verstimmt aus, als sie ihn sah. Alles, was sie tat war ihn anzustarren, während Ian den Kragen seines Mantels aufstellte, um sich zumindest etwas vor dem Regen zu schützen.

Mit jeden Schritt, den er näher kam, nahm er mehr von ihr wahr. Sie weinte nicht wegen diesen abgebrochenen Schlüssel. Ihre Augen waren rot unterlaufen und glasig, während ihre Lippen leicht bebten. Nein. Sie weinte nicht wegen dem Regen oder dem Missgeschick irgendetwas hatte sie so tief getroffen, dass sie nicht einmal dazu in der Lage schien, diese Verletzung vor ihm zu verstecken. Fast als wäre es ihr gleich, wer ihren Schmerz sah, als würde nichts um sie herum eine Rolle spielen. Nicht einmal er selbst.

Ian blieb stehen, begegnete ihrem Blick und wartete darauf, dass Emily ihn wieder zum Teufel jagen würde, aber da kam nichts. Gar nichts. Sie stand da und starrte zurück, während der Regen sie langsam komplett zu durchnässen schien.

"Ich weiß nicht, wie ich nach Hause kommen soll", sagte sie nach einer Weile. Ihre Stimme klang gebrochen, ergeben und definitiv nicht so, wie er es von ihr gewohnt war. Dieses Bild stellte etwas in ihm an. Ian konnte und wollte es nicht benennen, aber er spürte es genauso intensiv wie die Regentropfen, die ihn langsam den Nacken herab rannen.

"Ich kann dich fahren", bot er an und zu seiner Überraschung nickte Emily lediglich und sah dabei einfach nur erschöpft aus. Als hätte sie nicht einmal die Kraft, sich mit ihm streiten zu wollen. Alles was sie tat, war es einen letzten Blick auf ihr Fahrrad zu werfen.

Ian spürte wie es ihm in den Händen kribbelte sie zu berühren, sie zum ersten Mal wirklich anzufassen, indem er sie in den Arm nimmt und damit diese tiefe Trauer in ihr zu vertreiben. Denn sie schmerzte auch ihm. Auch, wenn er sich weigerte, es sich tatsächlich einzugestehen. Es fühlte sich so richtig an, das tun zu wollen. So, so richtig. Doch er beschränkte sich darauf, ihr den Rucksack abzunehmen und ihn für sie zu seinen Wagen zu tragen. Als Emily nicht folgte, blieb er stehen und kämpfte, mit sich ihre Hand zu nehmen. Sie starrte ihn an, sah ihn aber nicht und weil er sich nicht anders zu helfen wusste, wagte es Ian eine Hand auf ihren Rücken zu legen und sie zu seinen Wagen zu führen. Sie ließ es geschehen, als wäre sie eine Puppe. Eine wunderschöne, unendlich traurige Puppe. Tot, leblos, kaputt. Eine Puppe, die ihm erlaubte für einen winzigen Moment zu glauben, dass sie ihm gehören könnte.

 Eine Puppe, die ihm erlaubte für einen winzigen Moment zu glauben, dass sie ihm gehören könnte

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Two clashing heartsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt