Luke POV
Nachdenklich sah ich Bart hinterher. Seine Worte hatten mich schon etwas verunsichert. Es stimmte vielleicht, dass wir manchmal etwas respektlos waren, aber das waren wir dann auch nicht mit Absicht, sondern eher weil wir nicht über unsere Worte nachdachten.
Aber ich hatte keine Ahnung, ob der Rest, den er sagte auch stimmte. Waren wir wirklich so schlimm?
Klar, waren wir alle keine Engel und bauten auch mal scheiße, unsere Noten könnten besser sein und wir waren auch nicht so, wie viele das von uns erwarteten, aber eigentlich fand ich das alles nicht so schlimm.
Jake und Cole sagten immer, dass wir mit uns und unserem Leben glücklich werden müssen, egal was andere davon hielten. Sie hatten ja auch recht, aber wenn man dann sowas hörte, war es doch etwas verunsichernd.
Jake schien zu bemerken, dass ich über all das nachdachte, denn er sagte: "lass sich davon nicht verunsichern. Das ist die Meinung von einem Mann, der euch überhaupt nicht kennt. Es wird immer Menschen geben, die an allem etwas auszusetzen haben, aber auf die solltest du nicht hören. Macht so weiter wie bisher auch und lasst euch nicht verbiegen wegen sowas".
Wahrscheinlich hatte er Recht. Eigentlich lies ich mich auch nicht so schnell verunsichern, aber irgendwie brachten mich Barts Worte schon zum nachdenken.
"Es gibt immer jemanden der sagt, dass wir keinen Respekt haben und schlecht erzogen sind. Nervt euch das nicht?", lenkte ich das Thema auf meine Brüder. Hierbei geht es ja nicht nur um uns, es ist ja ein Stück weit auch Kritik an unseren Brüdern.
"Uns ist die Meinung von anderen Menschen, gerade was das angeht, herzlich egal. Es gibt immer jemanden, der denkt, dass er es besser kann und weiß, und diese Menschen können das alles bei sich handhaben wie sie wollen, aber wir erziehen euch so wie wir es für richtig halten und da haben anderen Menschen nicht mitzureden. Im Gegensatz zu ihnen, geht euch das alles allerdings sehr wohl etwas an und falls ihr ein Problem haben solltet, damit wie wir euch erziehen, dürft ihr uns das gerne sagen", erwiderte Cole.
Ich hätte auch gerne diese Einstellung, dass es mir egal ist, was andere von mir denken. Ich meine, bei den meisten ist mir scheiß egal was sie von mir denken, aber bei der eigenen Familie sah das anders aus.
Jeder von uns wusste, wie viel Mühe sich Jake und Cole mit uns gaben und wir waren sehr dankbar dafür, was sie alles für uns machten. Keiner von uns hatte ein Problem damit, wie sie uns erziehen. Klar, waren wir manchmal genervt von ihnen und ihren Regeln, aber ich denke, dass auch das dazugehört.
"Aber jetzt mal im Ernst? Sind wir wirklich so schlimm? Wir haben schon das ein oder andere Mal scheiße gebaut, wie da an der mexikanischen Grenze zum Beispiel?", fragend sah ich meine Brüder an.
"Ja, das war dumm, aber passiert. Jeder macht Fehler, auch Erwachsene, aber vor allem in eurem Alter. Ihr seid weder schlimm noch verzogen oder respektlos. Es gibt bei uns die ganz normalen Diskussionen und Probleme wie in jeder Familie auch. Bart hat ein völlig anderes, verzerrtes Bild davon, wie Jugendliche sein müssen. Gibt nichts auf die Meinung von jemanden, der ehrlich gesagt nicht wirklich eine Ahnung von Kindern und Jugendlichen hat. Wir sagen euch, wenn etwas nicht stimmt, aber hört nicht auf Leute wie ihn", antwortete Jake sofort.
Wahrscheinlich hatte er recht. Es war nur schwer selber einzuschätzen, aber ich denke, dass so lange Jake und Cole zufrieden mit uns waren, dass wir uns keine Gedanken machen mussten...
Mila POV
Müde hatte ich mich gegen Liams Oberkörper gelehnt, während er seinen Arm um mich legte. Wir saßen noch immer am See und versuchten uns vom Rest der Familie fernzuhalten.
Während die Zwillinge, Mason und ein paar unserer Cousins begannen Alkohol zu trinken, redeten Liam und ich etwas über das Camp und unsere anstehenden Sommerferien.
Es wurde immer später und wir alle warteten eigentlich nur noch auf die Rede unserer Nana, die aber einfach nicht kommen wollte. Inzwischen war ich echt müde und wollte eigentlich nur noch heim in mein Bett.
Gähnend sah ich in den dunklen Wald hinein, der das ganze Haus mitsamt See umschloss, als Alex zu uns kam. Die Jungs versuchten schnell den Alkohol zu verstecken, aber Alex sagte grinsend: „Wir wissen, dass ihr trinkt. Es ist alles gut, übertreibt es einfach nicht".
Etwas ertappt sahen die Jungs zu Alex, der das alles aber wirklich ganz entspannt sah. Jake und Cole hatten letztens gesagt, dass sie nicht wollen, dass die Jungs bei jeder Gelegenheit Alkohol trinken, weshalb sie es nun versuchten heimlich zu machen, dies allerdings nicht wirklich funktionierte.
„Wollt ihr heim gehen?", fragte Alex an uns gerichtet. „Dürfen wir?", erwiderte Mason etwas überrascht wissen.
„Ihr wart lange genug hier, ihr dürft gehen, wenn ihr möchtet", antwortete Alex zu unser aller Erleichtern. „Endlich", sagte Dylan, während sie sich alle erhoben.
Ich stand ebenfalls langsam auf und kuschelte mich müde an Alex, während ich fragte „kommt ihr auch mit heim?". „Ich komme mit, ja. Jake und Cole bleiben noch und Mike muss nochmal arbeiten", antwortete Alex, bevor er mir sanft einen Kuss auf meinen Haaransatz gab.
Ich war echt total müde. Langsam löste ich mich von Alex und folgte meinen Brüdern. Wir verabschiedeten uns von unserer Nana und redeten noch kurz mit Jake und Cole, bevor wir uns langsam auf den Weg zur Haustüre machten.
Wir warteten vor dem Haus auf Alex, der abseits stand und etwas mit Mike besprach, der ebenfalls mit uns zum Parkplatz kommen wollte. Manchmal würde ich schon gerne wissen, was meine Brüder immer so heimlich über ihre Jobs besprachen.
„Pass auf Mila, vielleicht lebt hier irgendwo der Waldschrat und befindet sich gerade auf der Jagd nach dir", sagte Dylan grinsend zu mir, woraufhin ich ihm den Mittelfinger zeigte. Mein Blick fiel auf das kleine Waldstück, durch das wir laufen mussten um zurück zum Parkplatz zu gelangen.
Es war komplett unbeleuchtet und dementsprechend dunkel. Mir wurde schon etwas mulmig zumute. Dunkelheit und Wald waren nicht meine beliebtesten Kombinationen.
„Halt einfach die Klappe, Dylan", sagte Liam kopfschüttelnd. „Komm, wir gehen vor, bevor du wieder deine Klappe nicht halten kannst und es später bereust", sagte Luke zu seinem Zwilling, bevor sie sich zusammen mit Mason durch den pechschwarzen Waldabschnitt zum Parkplatz bewegten.
Auch Mike und Alex machten Anstalten, langsam zu uns zu kommen, weshalb auch Liam und ich langsam in Richtung Parkplatz liefen. Die anderen waren wahrscheinlich schon am Auto, zumindest konnte ich sie weder hören noch sehen.
Es war schon ein wenig gruslig, als wir über den Waldweg liefen. Der Mond spendete etwas Licht, trotzdem war es sehr dunkel. Ich drehte mich um und konnte sehen, dass Mike und Alex erneut vor dem Haus stehen geblieben waren.
Warum kommen die nicht einfach? Ich begann mich sehr unwohl zu fühlen. Liam war zwar bei mir, trotzdem wollte ich nicht hier sein. Sofort kamen mir wieder die Gruselgeschichten des Waldschrates in den Kopf.
Ob es ihn wirklich gibt? Wenn es Menschen gibt, die andere entführen, kann es auch den Waldschrat geben. Was ist, wenn der Entführer der Mädchen auch irgendwo im Wald lebt? Chapter hat damals auch in einer verlassenen Waldhütte gelebt.
Gänsehaut überkam mich. Ich möchte hier einfach nur noch weg. Während Liam sein Handy aus seiner Hosentasche holte, blieb ich stehen und drehte mich erneut zu Mike und Alex um, welche zunehmend in der Dunkelheit verschwanden. Soll ich zu ihnen zurückgehen?
Nein, lieber bleibe ich bei Liam. Schnell drehte ich mich wieder zu meinem Bruder um, welcher zwei Schritte weiter stehen geblieben war und auf mich wartete, während er mit dem Rücken zu mir stand und auf seinem Handy tippte.
Gerade, als ich zu ihm laufen wollte, spürte ich plötzlich einen leichten Luftzug hinter mir und hörte ein leichtes Knacken.
Erschrocken wollte ich mich umdrehen, doch da spürte ich schon eine warme Hand auf meinem Mund. Es ging alles so schnell.
Es war wie damals, als Chapter mich entführt hat. Plötzlich tauchen die Erinnerungen und Bilder wieder in meinem Kopf auf. Jemand drückte mich mit dem Rücken an seinen Oberkörper, legte die freie Hand um meinen Bauch und hob mich hoch.
Panisch wollte ich aufschreien, als ich plötzlich in den Wald gezogen wurde...