Die Stille der Nacht

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Ich erwachte mit dem ohrenbetäubenden Schrei meiner Mutter. Schnell versuchte ich mich wieder zu fassen und mich an den Albtraum zu erinnern. Doch alle gebliebenen Erinnerungen waren nun nur noch Fetzen.

Ich sehe blutige Spuren an hellen Wänden. Jede Menge Chaos in einem engen Raum, schon fast eine Zelle. Meine Mum streckt mir ihre Hand entgegen und fleht mit Tränen voller Angst in den Augen nach Hilfe und Vergebung. -Vergebung? Was sollte das denn wieder heißen. Ich fühle wie verzweifelt sie ist und dass all ihr äußeres starkes Erscheinungsbild vollkommen verschwunden ist. Sie scheint am Ende zu sein. Kaputt, hilflos und leer. Keine Hoffnung mehr. Immer wieder murmelt sie: "Nein, bitte vergib mir. Hilf mir. Du bist immer noch meine Cat. Doch bitte, bitte tue mir das nicht an. Oh Gott, schütze mich vor all diesen Monstern." In ihren Augen sind keine Anzeichen auf Trauer oder Wut. Sie sieht einfach gleichgültig aus. Ohne zu hoffen, doch sie glaubt immer noch. Aber ihr Körper sieht kalt aus. Ich höre keinen Puls mehr, was bei meinem guten Gehör nicht normal ist. "Du hast es nicht anders verdient!", sagt mein Mund, ohne dass ich das will.

Abriss. Wieder war alles schwarz bis ich endlich geschockt meine Augen aufriss. Ich lag auf dem Sofa, eine Decke umklammerte meine Beine und schützte mich vor diesem kalten Wetter. Früher hatte ich den Winter am meisten geliebt, doch seit ich einen Führerschein besaß war mir der Sommer viel lieber. Ich sah aus dem Fenster neben dem Kamin. Ich hatte ein mulmiges Gefühl, denn ich wusste ganz genau, dass etwas nicht stimmte. Ich stand langsam auf, wickelte die Decke wie ein Hotdog um mich ein und ging zur Haustür. Die Tür lag einen Spalt offen, also zog ich sie vorsichtig weiter auf. Zu meinem Bewundern saß Liam auf der Schaukelbank sofort rechts neben dem Eingang. Eine kalte Briese umgab mich, so dass ich die warme Decke noch enger um mich schlang. "Was machst du hier?", fragte ich überrascht und setzte mich neben ihn. Er starrte durchgehend gerade in den Himmel und beobachtete die Sterne, die mir heller vorkamen als sonst. "Ich weiß nicht weiter. Ich habe immer einen Plan, doch dieses Mal sind es zu viele. Was wenn die Mentabolis den Krieg gewinnen. Ich will nicht, dass unsere Geschichte so endet. Aber ich habe keine Antwort darauf. Ich weiß nicht was in der Zukunft passieren wird. Ich weiß ja nicht einmal was hier und jetzt passiert." Sonst kam er immer stark und selbstsicher rüber. Als wäre sein früher menschlicher Teil seiner Seele untergegangen, genau so wie auch seine Gefühle, doch endlich gab er zu, dass auch bei ihm nicht alles perfekt lief. "Weißt du, manchmal suchen wir zu angestrengt nach Antworten, die direkt vor uns liegen. Man muss nur die Augen öffnen um sie zu verstehen und wahrzunehmen.", sagte ich ruhig und gelassen. Er antwortete nicht, sondern schaute wieder nach vorne in die endlose Ferne. "Liam, ich muss dir etwas gestehen... Seit dem du mir das mit der Fähigkeit der Vampire erzählt hast, Gedanken zu hören und zu manipulieren, mach ich das sehr oft bei Leuten. Auch bei dir, aber ich habe gemerkt, dass..." Er leiß mich nicht aussprechen und erklärte: "Du kannst meine Gedanken nicht lesen. Ich bin ein alter, erfahrender, doch immer noch gut-aussehender Vampir. Ich kenne mich damit aus und habe gelernt meine Gedanken vor Räubern wie dir zu schützen, Süße." Er zwinkerte frech und brachte mich ein weiteres Mal in Verlegenheit. "Glaube mir, Cat. Meine Gedanken sind mein Eigentum und das Einzige, was mir niemand nehmen kann!" Ich lächelte und ich musste zugeben, ich war stolz darauf ihn kennengelernt zu haben. Ich war stolz darüber, dass er mich liebte. "Darf ich dich etwas fragen?" Er nickte. Kurz fragte ich mich, ob die Frage nicht dumm ankommen würde, trotzdem stellte ich sie unüberlegen und war gespannt auf seine Antwort. "Was würdest du machen, wenn die Person, die du liebst nur noch eine Woche zu leben hätte? Was würdest du tun wenn sie abends neben dir liegt? In deinen Armen? Könntest du schlafen?" Er sah mich ein bisschen erschüttert an, doch fasste sich nach kurzer Zeit wieder schnell. "Ich hätte zu sehr Angst, dass sie am nächsten Tag nicht mehr aufwachen würde... Ich glaube, ich würde Tag und Nacht an ihrer Seite stehen und es genießen... aber mit dem Hintergedanken, dass es jeder Zeit vorbei sein könnte. Ich könnte ihr rund um die Uhr in ihre Augen blicken und mich fragen "Wieso sie?" ... Mich würde der Gedanke kaputt machen, dass jemand wie sie plötzlich nicht mehr bei mir wäre... Ich könnte nicht ohne sie leben. Ich würde zu ihr fahren, sie umarmen und nie wieder loslassen wollen. Ich würde alles geben um ihre letzten Wünsche zu erfüllen. Ich würde sie um alles in der Welt glücklich sehen wollen. Ihr Lächeln wäre mir mehr Wert als alles andere und ich würde ihre Tränen wegwischen und ihr sagen, dass alles wieder gut wird... Und wenn es soweit wäre, dann würde ich mich neben sie legen und so lange dort bleiben bis sie ihre lebensfrohen Augen zufrieden schließen würde.... bis sie schlafen würde... für immer. Aber davor würde ich ihr zuflüstern, dass ich bald bei ihr sein würde... egal wo ihre Seele danach hinkommt, ich würde sie nicht lange alleine warten lassen."

Zwei Stunden vergingen und wir setzten uns zusammen mit Olivia und Blade in den Wagen. Wie immer ließ ich die Stille nicht lange verweilen und fing sofort mit meiner nervigen Fragerei an. "Wohin wollen wir fahren?" Blade zog noch einmal an seiner verstümmelten Zigarette und warf sie daraufhin aus dem Fenster. Durch die dunklen Gläser seiner Sonnenbrille, die er Tag und Nacht aufhatte, sah er mich kalt an. "Zu unserer einzigen Hilfe, die uns bleibt. Ariana... Die hübscheste menschliche Frau, die ich jemals in meinem langen Leben gesehen habe. Alleine ihre Augen beschreiben einen tiefen Ozean voller Geheimnisse. Sie ist so wunderschön, einfach traumhaft." Olivia hustete unecht und rollte mit ihren Augen. "Oh Gott, Blade, jetzt mach es doch nicht so dramatisch. Wir wissen, dass sie unheimlich gut aussieht und du dich in ihre Schönheit verguckt hast. Ist gut jetzt." Blade ballte seine Hände in eine Faust. "Halt die Klappe, Olivia. Man riecht deinen Neid förmlich!" Sie hingegen wusste zu kontern. "Ach ja? Das einzige, was ich rieche ist, dass du seit Tagen nicht duschen warst, du Stinker!" So ging es die ganze Fahrt lang, ungefähr zwei Stunden bis wir endlich ankamen. "Oh verdammt, ich hatte noch nie so starke Kopfschmerzen!", meckerte ich nachdem ich befreiend aus dem großen Geländewagen sprang. Liam nickte nur. Vor uns befand sich ein schmaler Weg, der uns nach einigen Schritten zu einem bescheidenen Haus führte. Nicht zu groß, nicht zu klein. Ideal für eine Stadtfamilie, die sich ein wenig von der City abgrenzen wollte. "Und diese Ariana kann uns wobei helfen...?", fragte ich ohne eine vernünftige Antwort zu erwarten, da ich mir keine Unterstützung von einem Menschen vorstellen konnte. Liam drückte mir ein Messer in die Hand. "Nur zur Sicherheit... Du musst uns eine Schachtel von dort mitbringen. Da hat ihr verstorbener Vater eine Liste mit all den Namen, der Mentabolis-Anhänger angefertigt. Ohne diese kommen wir nicht weiter, hörst du?! Wir brauchen sie unbedingt!" Ich sah ihn mit unglaubwürdiger Miene an. "Wie bitte? Ihr wollt, dass ich um diese Uhrzeit noch alleine in ein Haus einbreche, ohne dass ich die Person kenne?! Wollt ihr mich etwa umbringen?", flüsterte ich geschockt. Liam lachte laut. "Wenn ich mich nicht täusche, haben wir uns mit dieser Idee -die sogar von dir abstammt- so richtig kennen gelernt oder nicht, Süße?" Ich sah grimmig zurück auf das Haus ohne auf Liams Kommentar einzugehen, obwohl ich wusste, dass er Recht hatte. "Na schön. Wenn ihr meint... Aber falls ich da umgebracht werde, verspreche ich euch, dass mein Geist euch euer verdammt ewiges Leben zur Hölle höchstpersönlich machen wird!" Entschieden trat ich in die Richtung des Hauses. So wie es schien, wollte mich keiner von den Dreien aufhalten oder mitkommen. Ich war auf mich alleine gestellt.

Unsterbliche VerführungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt