Lieber eine Rote Karte, als dich nicht zu beschützen... [Bravertz]

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Miteinander stehen beide im hitzigen Halbfinale der Euroleague. Es sind nur noch wenige Minuten zu spielen.  Das aktuelle Unentschieden führt zu nichts und plötzlich wird Julian gefoult. Oder auch: "Eine Liaison in der Hitze des Halbfinales"


Unter tönenden Fans geht er zum Boden, der Stollen des Gegners peitsch in seinen Knöchel. Der Schmerz durchfährt ihn, schützend streckt er die Arme vor sich, um den Sturz abzufangen. Unsanft landet er auf dem Bauch. Schmerzerfüllt beißt er in den Rasen und presst seine Hand auf die Blessur. Die Rufe der Zuschauer mit dem sehnsüchtigen Optimismus, dass es ein leichter Schlag ist. Als er aufsteht, verebbt sein Hinterkopf. Ein stechender Schmerz setzt ihm zu, lässt seine Sicht verschwimmen.

„Verdammt", keucht er, versucht sich auf alle viere zu drängen. Der Schmerz zwingt ihn auf seine Knie, lässt seinen Atem überschnappenden Zügen hervorschießen. Das Rauschen der Menge füllt seine Ohren und sein Kopf scheint zu pulsieren. Das Aroma von Gras und Schweiß liegt in seinem Mund. Er spuckt den unbeliebten Geschmack aus, versucht seine schwankende Welt zu stabilisieren. Als sein Herz flattert, steigt seine Sorge in seinen Körper auf.

Eine Hand bohrt sich in seine Schulter, an den neonfarbenen Schuhen erkennt er, dass es sein Freund ist. Der sich zu ihm herunterbeugt und versucht von dem Schmerz abzulenken.

„Jule, alles gut? Geht es? Die Sanitäter kommen gleich! Bist du blöd gefallen?" vor lauter Sorge sprudeln die Fragen aus Kai hinaus.

Julian schüttelt den Kopf. Zugleich kann er die Tränen der Bekümmernis nicht zurückhalten, als er seinen Freund ansieht, der sich um ihn sorgt. Seine Augen treffen auf Kais olivgrüne Iriden, die sich mit den Sorgen verengen.

„Es tut weh, Kai", entkommt es ihm, als er seine Wunde bestätigt. Er presst seine Hand härter auf den Knöchel, versucht dem stechenden Schmerz Paroli zu bieten.

Die Sirene ertönt und die Sanitäter eilen mit einer Trage auf das Feld. Julian stöhnt, sein Körper fühlt sich an wie Blei. Und seine Beine wollen ihm nicht gehorchen. Sein Herz pumpt das Blut durch seine Adern. Der Schweiß tropft von seiner Stirn und sein Magen krampft sich zusammen.

„Jule, du musst stark sein, okay?", sagt Kai zu ihm.

Julian sichtet in seinen Augen den Mut und die Kraft, die er dringend braucht. Mit einem Nicken bestätigt er Kais Worte. Obwohl der Schmerz ihn quält, weiß er, dass er die Schlacht aufnehmen wird. Er ist ein Kämpfer auf und neben dem Rasen. Und er wird alles daran setzen, das Spiel, das er so liebt, nicht zu verlieren. Er lässt sich auf seinen Po rollen und erklärt dem Sanitäter die Situation. Der  Strumpf verfärbt sich blutrot. Und er beißt sich auf die Unterlippe.

„Alles gut!" Kai sitzt inzwischen in der Hocke neben ihm, krault sein Haar und flüstertet ihm Lappalien ins Ohr.

„Harvey, bleib auf Abstand, bitteee." Julian schiebt den Kopf seines Freundes weg, blickt ihn eindringlich an. „Muss nicht jeder wissen."

„Fick dich, ich mach' mir Sorgen, verdammt, wenn du dumm gelandet wärst, hätte ..."

„Es ist aber nichts passiert, also entspann dich."

Kais Iriden blitzen zornig und der Mensch, der im hinten auf den Rücken klopft. Blitzschnell dreht er sich herum, schubst ihn von sich und pfeift. „Fass mich nicht an."

Die Person stolpert rückwärts und Kai nutzt diesen Augenblick, um aufzustehen. Er lässt seine Augen wandern und bemerkt die Blicke, die auf ihnen ruhen - besorgt, neugierig, ängstlich. Er schnaubt und sichtet auf Julian herab, der weiterhin auf dem Boden sitzt und seinen Knöchel reibt. Als die Person ihn wiederholt berührt, dreht er sich flink herum und blickt in die Augen von Julians Angreifer.

„Sorry Mate, es war keine Absicht."

„Wäre es keine Absicht gewesen, würde er da nicht liegen, du Depp!"

„Wie hast du mich genannt?"

„'nen nutzlosen Depp." Pfeift Kai zurück und schreitet bedrohlich auf den Manchester-Spieler zu. Das Halbfinale der Euroleague ist im vollen Gange. Die Atmosphäre ist glühend und er ballt seine Hand.

Julians Angreifer, ein hochgewachsener Mann mit leuchtenden grünen Augen. Beobachtet ihn herausfordernd und reckt die Brust heraus. Er hat keine Angst, und das macht Kai erboster. „Du ...", murmelt er drohend und macht einen Schritt auf ihn zu. Zwischen ihnen entsteht eine Intensität.

„Kai, bitte...", flüstert Julian vom Boden aus und versucht, sich hochzuziehen. Der Schmerz in seinen Augen geht Kai durch und durch. Aber er kann sich nicht umdrehen, nicht vor diesem grünäugigen Deppen.

„Fahr dich herunter, Havertz", warnt der Manchester-Spieler und verschränkt die Arme vor der Brust.

Aber Kai ignoriert ihn, seine Augen verengen sich vor Wut. „Du hast Julian weh getan", sagt er langsam und kontrolliert. Die Worte sickern durch den Lärm der Menge und der Andere schreit zurück. Es ist ein wildes Durcheinander, ein Hin und Her von Schubsen und Schreien. Eine Traube bildet sich um sie. Der Schiri versucht, die Spieler zu beruhigen.

Schlagartig, geschieht es. Kai beabsichtigt auszuholen, und seine Hände werden festgehalten und er wird nach hinten gezogen. Mit aller Kraft versucht er sich zu wehren, die Person hinter ihm hält ihn fest. - Julian erzwingt sich auf die Beine zu kommen, lässt den Pein durch sich hindurchfließen, ihn verstärken, ihn antreiben. Das Weh ist vorübergehend. Er stemmt seine beiden Beine in den Boden. Der Schmerz ist vergessen, das Einzige, das zählt, ist Kai vor einer Prügelei zu bewahren.

Er humpelt, so rasch er kann, zur Traube, stößt gegen die Menschen, die versuchen, Kai festzuhalten. Es ist ein unwirkliches Gefühl. Alles um ihn herum ist stumm. Er hört nicht das Geschrei, das Grunzen und Stöhnen, er hört nicht die lauten Proteste des Schiedsrichters.

Seine Welt scheint sich zu drehen, bis sie stillsteht. Er greift nach Kais Arm, der gegen die Fesseln zuckt. Julian zwingt ihn, sich anzuschauen. Und in seinen Augen ist so viel Schmerz und Verzagen, dass es Kai beim Anblick der Atem stockt.

Julian zieht ihn weg, weg von der Menschenmenge. Sie flüchten vor dem Chaos, und Julian humpelt unbeholfen neben Kai her.

„ Kai ...", keucht er erneut, als sie sich am Rande des Spielfeldes verstecken. Julian verzieht das Gesicht vor Schmerz. Den geschwollenen Knöchel ignoriert er und schaut Kai ernst an. „Versprich mir, dass du so etwas nicht noch einmal machst. Du musst dir nicht alles gefallen lassen, Kai. Aber bitte, versprich es mir."

Kai blickt seinen Freund gebrochen an, nickt langsam. „Ich verspreche es", flüstert er und Julian lässt erleichtert die Luft aus seiner Lunge entweichen.

Sie stützen sich gegenseitig und blicken hinüber zum Spielfeld, wo das Chaos langsam nachlässt. Julian beißt die Zähne aufeinander und versucht, die aufsteigende Panik zu ignorieren. Die Konsequenzen sind klar. Aber in diesem Atemzug - inmitten des tobenden Stadion-, ist das unwichtig. Wichtig ist, dass Kai unversehrt ist und sein Versprechen hält.

Und ist es ein Aufreger. Als nicht nur Julians Angreifer eine Gelbe Karte bekommt, sondern auch Kai eine gezeigt wird. Einen Augenblick später zückt der Schiri die Rote Karte. - Sie diskutieren nicht, da sie sich alle korrekt verhalten müssen, um eskalierende Situationen zu vermeiden. Julian weiß das, er kann nicht anders handeln. Der Beschützerinstinkt meldet sich unaufhaltsam.

„Es ist gut", sagt Kai und legt seine Hand auf Julians Arm. Der besorgte Gesichtsausdruck wirkt entschlossen. „Ich habe es verdient." Seine Stimme zittert kaum.

Julian schüttelt hartnäckig den Kopf. „Nein, hast du nicht."

Die Debatte ist zwecklos. Die Rote Karte wurde gezeigt, das Urteil getroffen. Mit gesenktem Kopf und rasenden Herzen schreitet Kai vom Spielfeld, begleitet von den tobenden Reaktionen der Zuschauer. Und Julian fällt einen Entschluss, er würde spielen. Er richtet sich seinen Stutzen und gibt seinem Trainer das Zeichen, dass er spielt. Beflügelt durch Kais Taten, bemerkt er keinen Schmerz.

Zurück auf dem Feld wird die Freistoßposition bestimmt, die Spieler stellen sich auf. Und Julian befindet sich auf dem Punkt, wo er soeben zu Boden ging. Er schließt seine Augen, wartet auf den Pfiff. Er ertönt und er schießt. Der Ball fliegt in einem wunderschönen Bogen und senkt sich. Der Torwart springt in die rechte Ecke und die Kirsche knallt ins Tor. Sie würden ins Finale einziehen.

Fußball Onshots, Klappe zuvielteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt