Jagdinstinkt

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Sie zog die Jacke enger um ihren dünnen Körper, als sie eine kühle Brise erwischte. Die Abende wurden immer kälter. Ihr Blick richtete sich in Richtung Himmel. Die ersten Sterne waren schon zu sehen. Es war einer dieser Tage, wo man sie klar sehen konnte. New York war wahrlich eine schöne Stadt, doch hatte auch sie ihre dunklen Ecken.

„Komm gut nach Hause", schallte es zu ihr herüber. Eine Arbeitskollegin verabschiedete sich mit einem Winken von ihr, ehe sie in ihrem Auto verschwand. Wie gerne würde sie jetzt auch diesen Luxus genießen. Sie bog stattdessen nach rechts ab und steuerte auf eine der vielen U-Bahn-Stationen, die es in dieser Stadt wie Steine am Meer gab, zu. Sie müsste erst noch eine halbe Stunde mit der Bahn fahren, ehe sie die Wärme ihrer Wohnung empfangen konnte.

Sie steckte sich die Ohrstöpsel ihres MP3-Players in die Ohren und summte zu Three Days Graces Last To Know die Melodie mit. Sie lief vor sich her und bemerkte nicht einmal den Schatten, der sie nun seit einigen Straßen verfolgte.


Er hatte noch nie einen so süßen Duft erfasst. Er roch sie schon auf mindestens 5 Kilometer Entfernung. Ihr Geruch war so unverfälscht rein und durchdrang seine Sinne. Ihr Duft benebelte seinen Verstand und schickte ihm die süßesten Gedanken. Er folgte dem Geruch. Er konnte sie genau erkennen, trotz der Dunkelheit, die allmählich einbrach. Sie lief summend die Straße entlang und hing wahrscheinlich ihren Gedanken nach. Ein Grinsen legte sich auf seine Lippen. Er hatte sie gefunden, seine Beute.

Er betrachtete sie genau, als er begann ihr mit einigem Abstand zu folgen. Sie hatte dunkles Haar, welches durch caramelfarbene Strähnen durchzogen war. Sie war schlank, hatte jedoch Kurven, die durch ihren dünnen Mantel hervorgehoben wurden. Ihre Hände in die Taschen ihres Mantels vergrabend, bemerkte sie ihn nicht einmal, als er sich an ihre Fersen heftete. Sie schweifte ab und zu mit dem Blick nach links um zur anderen Straßenseite gucken zu können. Jedoch bemerkte sie ihn weiterhin nicht, was ihn leicht schmunzeln ließ. So naiv.


Zu dieser Tageszeit trieben sich nicht viele auf den Straßen herum. Es waren hauptsächlich jüngere Menschen anzutreffen, die sich verabredet hatten oder sich zufällig über den Weg gelaufen waren.

Als sie sich zum dritten Mal zu ihrer Linken drehte und vorgeblich die Menschen vor den Geschäften beobachtete, kam es ihr schon ein wenig suspekt vor, dass der Mann hinter ihr sie so lange verfolgte. Sie waren nun schon eine Weile denselben Weg entlanggeschritten und sie bekam langsam ein mulmiges Gefühl. Sie ließ sich jedoch nichts anmerken. Nichts war schlimmer als eine eingebildete Paranoia! Sie würde einfach ihren Weg fortsetzen. Wenn er bei ihrer U-Bahn-Station ebenfalls abbiegen sollte, würde sie in Panik verfallen, versprach sie sich.

Sie achtete für eine Sekunde nicht auf ihre Umgebung und bekam so auch nicht mit, wie sich ein Schatten aus einer Gasse ihr näherte. Erst als jemand an ihrer Tasche zog, die sie sich über die Schulter gehangen hatte, schrak sie aus ihren Gedanken auf. Sie wandte sich ihrem Angreifer zu, welcher allerdings eine Maske trug, sodass sie sein Gesicht nicht erkennen konnte.

Sie konnte sich vor Schreck nicht mehr bewegen. Erst als sie die Worte „Tu das lieber nicht, Junge" von hinten vernahm, kam wieder Leben in ihren Körper und sie schlug nach den Händen ihres Angreifers. Er ließ vor Schreck von ihr ab als er die Worte der dunklen Stimme realisiert hatte. Er rannte davon, wieder zurück in die Gasse. Er hatte wohl nicht erwartet, dass ihr jemand zu Hilfe kommen würde. Sie drehte sich zu ihrem Retter um, als ihr Angreifer aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Ihr lag schon ein „Danke" auf den Lippen, bis sie bemerkte, dass er direkt hinter ihr stand. Sie erschrak erneut und sprang einen deutlichen Satz zurück.


Er sah ihr belustigt dabei zu, wie sie versuchte Abstand zwischen sie zu bringen. Herzallerliebst, wirklich. Er war aufgerückt, als er sah, wie ein Mann aus der Gasse gesprungen war, um sie zu attackieren. Sie hatte wirklich verdammtes Glück, dass er sie für seine Zwecke benutzen wollte. Sie war seine Beute! Er würde sie nicht mehr hergeben, geschweige denn teilen. Ein anderer hätte sich einfach abgewandt und behauptet er hätte nichts bemerkt, geschweige denn gesehen.

One shot: One hitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt