Rehe mit großen Füßen Teil7

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Den Abend verbrachte ich zusammengekuschelt mit One Ear vor dem Kamin. Die Wärme tat mir gut und das Knacken der Scheite in den Flammen beruhigte mich. Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass meine Gedanken immer wieder zu der Begegnung mit der unheimlichen Alten im Wald wanderten. Sie hatte mir Angst eingejagt, auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte.

An diesem Abend schloss ich die Haustür ab. Ich hatte betont fröhlich alte Schlager im Radio mitgesungen, als ich für den Kater und mich das Abendessen herrichtete, das aus weichem schwedischen Brot und Käse bestand. Irgendwie hatte ich keine Lust verspürt, noch zum Angeln zu fahren.

Stattdessen entfachte ich ein Feuer im Kamin und setzte mich mit einem Glas Rotwein davor. Den Wein hatte ich in der Vorratskammer entdeckt. Eigentlich mochte ich Wein nicht so gerne, aber jetzt beruhigte er meine Nerven und machte mich schläfrig. Ich hoffte, Rune würde nichts dagegen haben, dass ich die Flasche geöffnet hatte. Ich starrte in die Flammen, während ich den Kater kraulte, der sich auf meinem Schoß zusammengerollt hatte. Immer wieder sah ich das Gesicht der alten Frau vor mir. Warum sollte ich verschwinden? Was war im Wald so gefährlich? War die Frau verrückt?

Ich trank einen weiteren Schluck des schweren Weines. Dann hörte ich ein lautes Knirschen. Es kam nicht vom Feuer. Ich fuhr herum und starrte auf die Fensterfront. Draußen war es stockdunkel. Gerade hatte sich eine Wolke vor den Mond geschoben. Langsam erhob ich mich und trat ans Fenster. Dort stand ich eine Weile und starrte in die Finsternis, bis der Mond wieder zum Vorschein kam. Sein Licht erhellte die Holzveranda und den Rasen hinter dem Haus nur spärlich. Meine Augen gewöhnten sich allmählich an die nächtliche Dunkelheit hinter dem Fenster, so dass ich bis zum See blicken konnte. Langsam erkannte ich immer mehr Einzelheiten. Die kleinen Wellen auf dem dunklen Wasser und das Ruderboot, das am Anleger lag. Aber weder auf dem Rasen, noch auf dem See war irgendetwas oder irgendjemand zu sehen. Was hatte ich auch erwartet? Eine Bande gedungener Mörder? Oder die irre Alte mit blitzendem Messer? Dennoch wandte ich mich fröstelnd ab. Ich nahm wieder meinen Platz vor dem Kamin ein, doch so richtig wollte ich mich nicht entspannen. Gerne hätte ich Vorhänge vor den Fenstern zugezogen, aber im Wohnzimmer gab es keine Vorhänge. Wozu auch? Richtung See hin stand kein anderes Haus und eigentlich guckte auch niemand durch die Fenster. Dennoch fühlte ich mich an diesem Abend beobachtet. Als die Holzscheite nur noch glommen, stand ich auf und ging ins Bad.


***

 Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war der Kater schon verschwunden. »Prima«, murmelte ich im Halbschlaf, »dabei war er doch heute mit Kaffee kochen dran.«

Ich krabbelte aus dem Bett. Wieder fühlte ich mich völlig zerschlagen. Diesmal lag es nicht an der Autofahrt. Es lag eindeutig an der viel zu weichen Matratze. In drei Wochen würde ich mich bestimmt freuen, wieder in meinem eigenen Bett zu schlafen, auch wenn ich das Haus meiner Eltern nach der Beerdigung erst als schrecklich leer empfunden hatte.

Der Frühnebel hing noch vor dem Fenster, als ich die Küche betrat. Ich setzte wie gewohnt Kaffeewasser auf und ging zur Tür, um einen kurzen Blick hinaus zu werfen. Die Luft war feucht. Ich hoffte, dass die Sonne später noch rauskommen würde, sonst war heute definitiv kein Badewetter.

»One Ear! Frühstück!«, rief ich den Kater. Doch der ließ sich nicht blicken. Wahrscheinlich stromerte er durch den nahen Wald und sorgte selbst für seine Mahlzeit. Gerade wollte ich die Tür wieder schließen, als mir die Spuren auffielen – Spuren von nackten Füßen im taunassen Gras. Sie führten rund um das Haus herum. Rasch zog ich meine Strickjacke und meine Turnschuhe an und ging hinaus. Ich folgte den Spuren. Sie führten weiter um das Haus herum bis zum Wohnzimmerfenster. Dem Fenster, an dem ich gestern gestanden und auf den Rasen geblickt hatte! Dann entfernten sich die Spuren wieder vom Haus und führten auf den Wald zu. Mich fröstelte. Ich zog meine Strickjacke enger um mich. Vielleicht waren das die Spuren eines Tiers. Von dem Kater waren sie definitiv nicht. Vielleicht von einem Reh. Die kamen öfter mal in der Dämmerung aus dem Wald. Diese Spuren mussten noch ganz frisch sein. Doch so sehr ich mir auch einredete, die Abdrücke würden von einem Reh stammen, so konnte ich doch nicht ignorieren, dass dieses Reh dann verdammt große Füße gehabt haben musste.

Kjell - das Geheimnis der schwarzen SeerosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt