Am Abend lenkte ich mich mit der Zubereitung des frischen Fisches ab. Captain One Ear leistete mir in der Küche Gesellschaft. Als ich den Fisch in die Bratpfanne gab, fing der Kater an ungeduldig um meine Beine zu streichen. »Immer mit der Ruhe, One, du bekommst auch etwas ab.«
Während ich am Herd stand, liefen in meinem Kopf immer die gleichen Bilder ab. Ich sah vor mir, wie ich verzweifelt aus dem dunklen Zulauf gerudert war. Und immer wieder drängten sich die gleichen Frage auf: Wie hatte ich nur gegen den Wind dorthin kommen können? Wahrscheinlich durch irgendeine Strömung, versuchte ich mich zu beruhigen. Außerdem war ja nicht wirklich etwas passiert, außer, dass der Anker sich gelöst hatte, als ich schlief. Vermutlich war er doch nicht so fest gewesen oder es lag am Wellengang. Ich hatte einfach hysterisch reagiert. Aber nach alldem was damals passiert war, war es selbstverständlich, dass ich so reagiert hatte. Das Maunzen des Katers holte mich aus meinen Gedanken in die Wirklichkeit zurück. Beinahe wäre mir der Fisch in der Pfanne angebrannt. Schnell stellte ich den Herd ab. Ein Stückchen vom Filet stellte ich One Ear hin. Der Kater begann sofort, geräuschvoll zu fressen. Den Rest häufte ich mir auf einen Teller, gab frische Zitrone dazu und setzte mich an den Küchentisch. Der Fisch schmeckte vorzüglich. Dennoch stocherte ich nach ein paar Bissen auf meinem Teller herum. Sollte das nun ewig so weitergehen, dass ich jeden Abend da saß und mich mit düsteren Gedanken plagte? Anscheinend hatte ich doch etwas zu viel Zeit zum Nachdenken. Irgendwann stellte ich den Rest des Essens in den Kühlschrank und ging ins Bett.
In dieser Nacht fingen die Albträume wieder an. Dennoch unterschied dieser Traum sich von denen, die ich in den Jahren nach unserem letzten Schwedenurlaub gehabt hatte. Zwar war ich im Traum wieder neun Jahre alt, doch diesmal saß ich allein in dem Ruderboot. Um mich herum brodelte das schwarze Wasser des Waldsees. Am Himmel zogen dunkle Wolken auf. Ein moderiger Geruch hing in der Luft und nahm mir den Atem. Dann entdeckte ich einen Strudel im Wasser. Das kleine Boot begann sich zu drehen, immer schneller und schneller, während der Geruch zunahm und ich kaum noch Luft bekam. Ich fing an zu schreien. Immer wieder rief ich nach meinem Bruder. Das Boot drehte sich immer schneller und wurde von dem Strudel in die Tiefe gezogen. Im Traum schrie ich, bis die schwarzen Wellen über mir zusammen schlugen.
Schweißgebadet erwachte ich. Noch lange lag ich im Bett und wollte nicht aufstehen. Der Albtraum der letzten Nacht stand mir noch vor meinem geistigen Auge. ›Man soll sich seinen Ängsten stellen‹, sagte mir einmal meine Lehrerin, als ich mit zwölf Jahren heulend aus der Schule gelaufen war, nachdem mich eine Mitschülerin beim Schwimmunterricht untergetaucht hatte. Doch heute würde ich mich meinen Ängsten nicht stellen. Ich hatte nicht die geringste Lust auf den See hinauszufahren.
Ich beschloss, dass es mal wieder Zeit für einen Ausflug war und ich wusste auch genau, wo ich hin wollte. Wenn das Leben bitter ist, braucht man Zuckerstangen!
Erfüllt von neuem Elan ging ich duschen und machte mich fertig. Eine Stunde später stieg ich in meinen Fiat und fuhr nach Gränna. Im Sommer war dies ein beliebter Touristenort, doch um diese Jahreszeit war es auch dort schon etwas ruhiger. Dennoch konnte man in den vielen kleinen Läden Zuckerstangen kaufen, für die Gränna so berühmt war. Ich fand schnell meinen Lieblingsladen. Ein großes Schild mit der Aufschrift Polkagrisar wies mir den Weg. Dort konnte man den Zuckerbäckern durch eine Scheibe bei ihrem Handwerk zusehen. Nachdem ich eine Zeit lang der Zubereitung der rot-weißen Süßigkeiten zugeschaut hatte, kaufte ich im Laden mehre Zuckerstangen verschiedener Geschmacksrichtungen. Ich nahm auch zwei für Kari mit.Anschließend brachte ich meine Beute zum Auto und überlegte, ob ich dem Brahehus, einer Ruine mit Blick über den See oder der Insel Visingsö einen Besuch abstatten sollte. Gränna hatte neben seinen süßen Versuchungen nämlich noch einen Vorteil. Es lag am Vättern. Das ist der zweitgrößte See Schwedens. Ich entschied mich, zur Insel zu fahren. Im Auto hatte ich Badesachen, einen Krimi und ein Handtuch und stopfte alles in meine Tasche. Dann machte ich mich auf den Weg zur Fähre. Es dauerte nicht lange, da legte sie auch schon an. Die Überfahrt war herrlich. Die Sonne stand am wolkenlosen Himmel. In der Ferne entdeckte ich schon die alte Ruine am östlichen Strand. Es war eine von zwei Schlossruinen, die sich auf der Insel befanden. Kurz darauf legten wir an. Ich wanderte erst eine Weile durch den Eichenwald und besuchte dann die Ruine von Näs slott an der Südspitze der Insel. Ich liebte es durch alte Ruinen zu spazieren. Man konnte so schön träumen und sich vorstellen, wie es früher einmal dort ausgesehen hatte. Später aß ich in einem kleinen Ausflugslokal zu Mittag. Der Tag war zu schön, um schon zurückzufahren und so ging ich an den Oststrand nahe der Fähranlegestelle, um noch eine Weile am Strand zu liegen und zu lesen. Ich suchte mir einen sonnigen Platz und breitete mein Handtuch aus. Zunächst fiel es mir schwer, mich auf das Buch zu konzentrieren, aber dann nahm mich die Geschichte gefangen und ich las und las.
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Kjell - das Geheimnis der schwarzen Seerosen
Ficção AdolescenteKjell - Das Geheimnis der schwarzen Seerosen Schweden, das Land geheimnisvoller Mythen, sagenumwobener Gewässer und junger Männer mit leuchtend blauen Augen. Es ist das erste Mal, dass die neunzehnjährige Sofie Bachmann seit dem Autounfall ihrer Elt...