Teil 1

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Ich gehe den Flur entlang und rieche die verschiedenen Menschen. Ich merke sofort mit wem ich mich anfreunden kann und mit wem es nie funktionieren wird. Es wird gleich klingeln. Ich werde es nicht hören. Meine Mutter ist schon vorgestern mit mir den Raumplan durchgegangen. Warum?

ICHBINNINAUNDDU

Ich hasse es. Warum können mich die anderen nicht einfach ignorieren? Ich laufe doch schon am Rand und weiche den Leuten aus. Doch es tut weh, wenn jemand wieder und wieder in mein Ohr brüllt. Alles was sie sagen, alles brennt sich in meinen Bauch. Ich verstehe nix, wenn sie zu schnell reden.

HALLO

Sei still. Ich möchte sie anschreien. Ihr sagen, dass sie ihren Mund halten soll. Ja ich habe sie verstanden. Ich blicke ihr in die Augen (oder jedenfalls in die Richtung). Meine werden hinter einer Sonnenbrille versteckt. Ich versuche langsam und deutlich zu reden. Die Worte purzeln einzeln aus meinem Mund.

,,Ich ... leise ... heiße ... dich ... freut ... reden ... treffen ... Clara ... Bitte ... mich ...zu.“

Wenigstens brennt mir dieses komische Gerät nicht meine eigenen Worte in den Bauch. Nina bleibt stehen und eilt an mir vorbei in unser Klassenzimmer.

Es war sowas von klar, dass Nina kein Wort mehr mit mir reden würde. Sie haben mir gesagt, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. Was das wieder bedeutet?

DUBISTCLARAODER

Nicht schon wieder. Sie redet zwar deutlich leiser, aber es ist trotzdem nicht so viel besser. Ich nicke unbestimmt in ihre Richtung und hoffe, dass sie mich in Ruhe lässt. Wir haben uns schon vorgestern kennengelernt. Sie ist meine neue Klassenlehrerin, Frau Kranich.

ICHWERDEDICHDERKLASSEVORSTELLEN

Sie hat gemerkt, dass sie zu laut redet. Das ist ja mal etwas ganz Neues. Soll sie mich vorstellen wem sie will. Solange sie nicht rumschreit. Davon wird mir nämlich schlecht.

Sie öffnet eine Tür und betritt das Klassenzimmer. Ich folge in einem kleinen Abstand.

ICHMÖCHTEEUCHEINENEUESCHÜLERINN

VORSTELLEN

RUHEBITTE

Mein Magen rebelliert. Ich muss mir eine Hand auf den Mund drücken um nicht auszuspucken. Was denkt sie sich dabei, so rumzuschreien?

BITTEBEHANDELTCLARAGUTSIEMÖCHTENICHTDASS

IHRLAUTMITIHRREDETODERZUSCHNELL

Sie wusste gar nichts und trotzdem mehr als ich. Wahrscheinlich sitzten hier vor mir Mädchen die sich meine Freundinnen genannt haben. Doch jetzt, jetzt sind sie nicht mehr da.

SETZEDICHDOCHNEBENKATRININDERVIERTENREIHE

Sie hat es geschafft. Ich überlege einen Moment zu klatschen, doch lass es sein. So besonders ist das auch nicht.

MEINENUMMERIST7477

Ich nicke und lasse mich neben Karin fallen. Die rutscht sofort mit einem sturen Naserümpfen zur Seite. Eine der Personen, die ich niemals wirklich mögen werde.

Der Rest des Schultags verläuft öde. Ich stelle mein Gerät auf die verschiedenen Lehrer ein und genieße den Film der sich vor meinem Inneren Auge bietet. Mathe ist ab sofort mein neues Lieblingsfach. Zahlen sind einfacher als Worte auszusprechen. Herr Glasbach ( der Mathelehrer) mag mich auch schon etwas.

Deutsch kann ich dagegen gar nicht leiden. Frau Grauß berichtet Stundenlang von ihrem Leben. Darüber wie leid es ihr tut, dass ich diesen Unfall hatte und so weiter. Alle anderen hören nach einer Weile einfach nicht mehr zu, aber ich habe nicht einmal die Chance.

Am besten ist Biologie zu verstehen. Unsere Lehrerin redet langsam, gleichmäßig und leise. Sie ist sehr geduldig. Für alle anderen ist der Untericht wahrscheinlich äußerst langweilig, aber nicht für mich.

Es klingelt und ich packe eilig meine Sachen zusammen. Es ist nicht viel. Nur ein Block, ein Füller und ein Tintenfass. Beinahe hätte ich die Tinte verschüttet, doch Nina erbarmt sich und hilft mir. Es ist alles so ungewohnt und neu für mich. Sie flüstert mir ins Ohr.

WENNDUNOCHEINMALHILFEBRAUCHSTDANNSAGBESCHEID

Sie macht eine längere Pause und fragt noch leiser:

WOHERHASTDUDIETINTE

Ich weiß es nicht. Es ist alles so neu. Sie haben mir gesagt, dass wenn ich mit dieser Tinte schreibe ich die Tinte danach fühlen könnte. Also taste ich nach Ninas Hand und lasse sie vorsichtig über das Blatt streifen.

WAS

Sie kann es nicht spüren. Ich kann es ihr nicht sagen. Ich lege ihr eine Hand auf die Augen und sie fährt erneut über das Papier. Sie stockt. Jetzt weiß sie, dass ich anders bin. Verrückt! Das ist glaube ich das richtige Wort.

Nichts sehen, nichts hören und nichts sagen können.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt