Teil 5

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Damals.

Ich weiß nur von Berichten, Zeitungsartikeln und Fotos, was damals wierklich passiert ist. Es muss schrecklich gewesen sein und ich denke nur ungern daran zurück.

Damals.

Ich flog mit meiner alten Klasse nach Ägypten. Es war unsere Abschlussfahrt. Es versprach eine schöne Zeit zu werden. Ich gehöre zu den besseren Mädels und habe schon wieder einen neuen Freund. Die anderen, die neidisch waren, haben mich warscheinlich Oberzicke genannt.

Wir flogen also nach Ägypten, Kairo. Als wir dort angekommen waren, bekomme ich schreckliches Heimweh, da meine Mutter anruft und erzählt, dass meine Uroma im sterben liegt. Wir verstehen uns prächtig, also möchte ich zurückfliegen.

Damals.

Allein.

Meine Mutter und auch mein Vatter gaben ihr Einverständnis, nachdem ich lange gebettelt hatte. Meinen Freundinnen erzähle ich natürlich, dass meine Eltern mich überedet hätten. Als ich dann in das Flugzeug steige.

Damals.

Allein.

Scheint alles ganz normal. Die Luft ist trocken und ich brate in der Sonne. Meine Haut ist wunderschön braun und die Reise hat sich auch so gelohnt. Dachte ich jedenfalls. Es passierte etwas furchtbares.

Damals.

Allein.

Das Flugzeug begann zu brennen. Warum? Es konnte nie jemand erklären. Warscheinlich ein Terroranschlag! Ich glaube, dass Gott in diesem Moment die Schiksale vieler Menschen erfüllen wollte und uns eine zweite Chance geben, wenn er uns rettete. Wir konnten nich landen, weil das Meer zu tief war, aber wir haben es zumindest versucht.

Damals.

Allein.

Fallen.

Wir fallen. Wohin? Eine Stuardess meint ich soll springen, da ich mit die einzigste bin, die dünn genug ist um durch das schmalle Loch in der Wand zu passen. Ich gehöre zu den wenigen, die sich retten können. Sie meint, dass wir alle sterben, aber wir sollen es versuchen. Ich warte nicht auf ihr genauen Anweisungen, achte nicht auf ihre Hände, die sich in meine Arme bohren und nicht auf den Fallschirm, den sie mir umlegen will.

Damals.

Allein.

Fallen.

Springen.

Ich spürte die kalte Luft. Meine Brust zieht sich zusammen. Meine Augen tränen, obwohl ich sie fest zudrücke. Ich schiebe meine Arme in die Schwimmweste. Es ist kalt. Ich spüre wie mein Trommelfell platzt und meine Augen dem Druck nicht länger standhalten. Ich frierre. Ich rolle mich zusammen und hoffe, dass ich noch nicht sterben muss. Meine Lunge brennt, alles tut weh. Meine Haut reißt an einigen Stellen auf, das Blut spritzt nach oben. Mein Magen leert sich. Warum verlier ich nicht das Bewusstsein? Wieso muss ich das alles miterleben?

Damals.

Allein.

Fallen.

Springen.

Eintauchen.

Ich schlage hart auf die Wasseroberfläche auf, frierre. Es ist ziemlich kalt. Langsam verliere ich mein Bewusstsein. Endlich! Ich höre Leute nach mir schreien und spüre noch, wie jemand mich aus dem kalten Wasser zieht. Sie wollen mich retten. Ich will nicht gerettet werden. Es tut so weh.

Damals.

Allein.

Fallen.

Springen.

Eintauchen.

Vergessen.

Das sind die einzigsten Dinge, an die ich mich noch erinnern kann. Nicht mal mehr daran, in welche Richtung ich meine Haare gebürstet habe oder wie ich heiße.

Man hätte mir Bilder zeigen können, mir Tonbänder vorspielen können, wenn ich hören oder sehen würde, aber ich tu es nicht und bis jetzt ist niemand auf die Idee gekommen mir diese verschollenen Freundinnen vorzustellen. Wir sind umgezogen, weil meine Mutter meinte, dass das alles leichter macht. Leichter für mich bestimmt nicht, aber wenn sie meint, warum nicht. Ich muss mich sowieso ganz neu orientieren und wenn es in einer anderen Stadt ist, in einem anderen Land. Meine Mutter hat mir versprochen, dass es Wege gibt, dass ich irgendwann alleine nach London zum studieren kann. Vielleicht gehe ich aber auch lieber nach Paris. Ich weiß es noch nicht. Ich weiß nichts. Alle sagen mir, dass ich es leichter hätte, als wenn ich zum Beispiel querschnittsgelähmt wäre, aber dann könnte ich wenigstens noch Bücher lesen oder schreiben. Es ist nicht schlimm nichts zu sehen. Es ist furchtbar zu wissen was einem alles entgeht und verloren gegangen ist.

Meine Hände zittern. Ich möchte mich nicht verletzen, brauche keinen Schmerz um zu spüren, dass ich lebe! Ich möchte eure Hände fühlen mich geliebt fühlen, mich erinnern. Die Ärtze sagen, dass ich mich an euch erinnern werde, aber wo bleibt ihr den alle? Ihr guten Freunde? Wo seid ihr jetzt wo ich euch so sehr brauche?

Ich werde mich erinnern, obwohl ich vergessen will. Ich möchte nicht wissen, wieviel Spaß wir damals hatten, doch ich will die Farben zurück, die Wörter, einfach alles. Es wird wiederkommen und mich in seiner Maße begraben. Ich werde nie wieder vergessen können wie schön mein Leben einmal war. Ich werde immer an euch denken, wenn ich morgends aufwache und nichts hören kann. Werde bereuen mir jemals gewünscht zu haben nichts zu sehen, um den Anblick einer ganz bestimmten Person nicht länger ertragen zu müssen und ich werde bereuen mir gewünscht zu haben nichts mehr zu hören, damit ich nicht länger eure Stimmen hören muss. Doch tief in meinem Herzen werde ich froh sein, dass ich damals so etwas sagen konnte und darüber lachte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 16, 2013 ⏰

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