Teil 3

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Nina und ich sitzen auf meinem Bett. Wir schweigen. Wir sagen nicht einfach nichts, sondern wir versuchen zu verstehen. Sie hat die Augen geschlossen und zieht die Luft mit der Nase ein. Sie versucht mich ,,mit anderen Augen zu sehen“, wie sie es nennt.

DU RICHST GUT

Stellt sie mit einem erstaunten stirnrunzeln fest. Es ist schön nicht alleine zu sein. Sie hat meine Hand auf ihr Gesicht gelegt, damit ich sie fühlen kann. Sie hat sich vorhin selbst beschrieben:

,,Ich bin ungefähr so groß wie du, habe große grüne Augen, Sommersprossen und schulterlanges orangenes Haar. Mein Gesicht ist rund und mein Mund groß. Meine Wimpern sind  etwas zu kurz. Ich versuche diesen Makel immer zu überschmincken. Aber sonst bin ich ungeschminckt.“

Also habe ich meine Hände auf ihr Gesicht gelegt und versucht das gesagte zu fühlen. Ich weiß nicht warum es mir so wichtig ist zu wissen, welche Augenfarbe sie hat. Ich habe es im Gefühl, dass es noch einmal wichtig für mich sein könnte.

Nina und ich sind befreundet.

Meine erste Freundinn nach dem Unfall.

Sie haben mir erzählt, dass ich einmal viele Freundinnen hatte und ein echter Männerschwarm war. Sie sagen, dass ich jedes Wochenende einen anderen Freund hatte und doch nur einen wollte. Dieser eine hat mich zappeln lassen. Jetzt weiß ich, dass er mich nie verdient hätte, auch wen ich mich nicht einmal an seinen Namen erinnere.

WOLLEN WIR INS KINO GEHEN

Sie sagt das als ob es ganz normal wäre. Es scheint ihr egal zu sein, dass ich nichts höre und sehe.

ICH MÖCHTE EINFACH ZEIT MIT DIR VERBRINGEN

Ich nicke und gehe Richtung Tür um meine Mutter um Erlaubniss zu bitten. Sie kommt mir entgegen. Sie richt seltsam gut.

,,Darf ich heute mit Nina in die Stadt? Ich komme auch früh zurück.“

Sie überlegt lange und ich habe genug Zeit um selbst einzusehen, dass heute nichts mehr daraus wird. Es ist schon nach 6:00 Uhr und höchste Zeit ins Bett zu gehen.

SCHATZ DU BRAUCHST DEN SCHLAF DAS WEIßT DU DOCH

Ich nicke. Ja, das weiß ich.

Nina ist hinter mich getreten und spielt mit ihrem Armband.

DANN SEHEN WIR UNS MORGEN

Ich nicke und sie umarmt mich zum Abschied. Wieso kann ich nicht so sein wie alle anderen Kinder. Warum bin ich etwas anderes. Meine Mutter hat al gesagt, dass ich etwas besonderes wäre. Sie meint, dass das gut wäre. Ich finde es anstrengend und nervig.

Wenn ich sterben würde, würde ich dann mein ganzes Leben wieder sehen? Oder würde mir der Anfang fehlen. Ich weiß nicht was passiert ist und ich werde es nie erfahren, wenn es mir niemand sagt.

Ich habe Angst ins Bett zu gehen. Ich werde Alpträume bekommen. Vielleicht auch ein Stück der Wahrheit näher kommen. Vielleicht eine neue Farbe kennenlernen oder von einem neuen Wort träumen. Vielleicht werde ich aber auch von dieser unglaublichen Leere verschluckt, vor der ich so schreckliche Angst habe. Dann falle ich in ein unendliches nichts. Es ist graußam.

Ich schließe meine Augen und versuche an nichts zu denken. Mich zu erinnern. Heute will ich nicht meine Eltern streiten und weinen hören. Ich sollte froh sein, dass ich nicht jeden Tag in die verheulten Augen meiner Mutter sehen muss. Doch könnte ich das würde sie nicht weinen. Sie ist so empfindlich.

Jedesmal wenn ich mich auf die andere Seite drehe habe ich das Gefühl kurz hochgehoben zu werden und von vielen Engeln umsorgt ins Bett gelegt zu werden. Doch sie fliegen. Ich habe Angst vor dem fliegen. Ich weiß nicht warum.

Alles ist ruhig und da höre ich ihn. Einen einzigen Ton, der meine Ohren klingen lässt. Ich erinnere mich an diesen einen Ton. Er muss wichtig gewesen sein in meinem Leben. Für einen kurzen Moment ist es wie, wenn ich nur die Augen öffnen müsste und aufstehen bräuchte um wieder hören und sehen zu können. Doch als ich mich am morgen aufsetze und nach dem Lichtschalter taste höre ich nichts und obwohl das Licht an sein müsste sehe ich nichts. Entäuscht lasse ich mich zurück in die Lacken fallen.

Es ist Sonntag, also warum früh aufstehen? Achso, natürlich wegen Nina. Sie wollte mit mir in etwas, das sie Kino genannt hat. Meine Mutter meinte, dass ich nichts verstehen würde, da es ein Film auf Großleinwand ist. Trotzdem will ich mit Nina dorthin. Ich schlüpfe schwungvoll in meine Hausschuhe und hüpfe die Treppe herunter. Ja, ich renne beinahe.

Plötzlich packen mich die Hände meines Vatters an den Schultern.

SCHATZ DU HÄTTEST DICH ERNSTHAFT VERLETZEN KÖNNEN

Warum kann er mich nicht einfach glücklich sein lassen. Warum muss er mir das schon wieder unter die Nase reiben?

Es tut weh. Kann er sich das vorstellen. Es schmerzt in meinem Herzen. Vielleicht habe ich auch seines verletzt, aber im Gegensatz zu ihm kann ich nix dafür.

Er zieht mich in eine Umarmung. Manchmal verstehe ich ihn nicht. Er scheint sich wierklich Sorgen zu machen. Aber warum um meinen Körper und nicht um meine Seele?

,,Ich will heute mit Nina ins Kino.“

Er reibt meinen Rücken und nickt an meiner Schulter. Manchmal liebe ich ihn dafür, dass er nicht mit mir redet, außer es muss wierklich sein.

Ich bitte ihn mir die Wahlwiederholung zu drücken und er macht es. Er hält mir das Handyans Ohr und ich warte auf Nina’s Antwort.

HALLOCLARA

Sie scheint wirklich aufgeregt zu sein. Obwohl ich nicht weiß, ob sie zusagt freue ich mich ihre Stimme zu hören.

,,Wollen wir heute zusammen ins Kino gehen? Vielleicht noch etwas essen und wenn du willst besuche ich danach noch deine Familie.“

Schweigen am anderen Ende. Ihr scheint etwas peinlich zu sein.

DU CLARA

Ich habe Zeit. Ich warte. Hauptsache ist, dass ich ihre Stimme wieder höre.

ICHHABEWIRKLICHLUSTMICHMITDIRZUTREFFEN

Ich warte wieder. Warum zögert sie dann mit einer Antwort.

ABER KÖNNTEN WIR NICHT LIEBER WIEDER ZU DIR DANACH ICH MAG EUER HAUS

Es ist also nur der Besuch bei ihrer Familie, der sie stört. Ich lache und ich glaube, dass sie einstimmt. Sicher bin ich mir nicht.

,,Dann komme ich in einer Stunde vor das Kino. Bis später.“

JA

Das ist wierklich schön. Ein berrauschendes Gefühl nicht in die Klinik, sondern zum Kino zu fahren.

Meine Mutter findet das allerdings nicht ganz so berauschend. Sie findet, dass ich wenigstens später nocheinmal mit meinem Psychater zusammen den Tag verarbeiten soll. Dankbar falle ich ihr um den Hals.

Ich sitze im Auto. Der Fahrtwind weht mir die Haare aus dem Gesicht. Es ist kalt. Ich trage eine sommerlich dünne Jacke und flache Ballerinas. Meine Mutter hat das Outfit zusammengestellt, damit ich keine Angst haben brauche, dass meine Farben nicht zusammen passen.

Es ist Ehrensache, dass mein Vatter mir ein Kompliment macht. Es bedeutet mir sehr viel. Obwohl meine Mutter die Kleidung zusammengestellt hat. Es ist schön etwas Nettes zu hören zu bekommen. Wundervoll.

Nichts sehen, nichts hören und nichts sagen können.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt